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„Die einfachste Form der Risikoreduktion besteht darin, Extremrisiken zu begrenzen“

Die Investmentindustrie sucht zunehmend nach Lösungen, um die erhöhte Fragilität der Finanzmärkte bei extremen Ereignissen zu berücksichtigen. Ein mittlerweile etabliertes Verfahren zur Messung extremer Risiken ist der „extreme Value-at-Risk“ (eVaR), der auf der Grundlage der Naturkatastrophenforschung entwickelt wurde. IPE Kooperationspartner alternative investor information (www.altii.de) hat Dr. Frank Schmielewski von der RC Banken Gruppe gefragt, was die Finanzwelt von den Naturwissenschaften lernen kann.

Dr. Frank Schmielewski

altii: Was hat eine Portfoliokonstruktion mit Naturkatastrophen zu tun?
Schmielewski: Diese Analogie ist recht einfach zu erklären. Naturkatastrophen sind extreme Ereignisse, die selten auftreten und mit großen Schäden verbunden sind. Gleiches gilt für Tsunamis an den Finanzmärkten, wie etwa die Subprime-Krise 2007/2008 drastisch vor Augen geführt hat. Es drängt sich daher förmlich auf, von Forschern, die sich mit der Abschätzung von Flutwellen, Hochwasserständen oder dramatischen Niederschlägen beschäftigen, zu lernen und die Extremwertstatistik auch für die Finanzmärkte anzuwenden.


altii: Sie sagten, Drawdowns sind für Anleger mit Schmerzen verbunden. Das ist eher ein Ausflug in die Medizin. Wie hängt das zusammen?
Schmielewski: Auch in diesem Fall greife ich gern auf Analogien zurück. Anleger, die die Rückschläge an den Aktienmärkten in den vergangenen zwei Dekaden miterlebt haben, wissen, was es heißt, schmerzvolle Drawdowns zu erfahren. Wir reden hier ja nicht über die Vernichtung von Vermögenswerten von einigen wenigen Prozent, sondern von massiven Verlusten von teilweise mehr als 50%. Wenn das keine Schmerzen im wahrsten Sinne verursacht?


altii: Wie kann man diese Schmerzen im Portfolio messen?
Schmielewski: Die gel
äufigen Kennziffern, wie etwa die Sharpe Ratio oder die durchschnittlichen Drawdowns, sind aus Sicht des Investors abstrakte Größen. Einige meiner Kollegen aus der Finanzökonomie haben daher mit dem Pain Index oder dem Ulcer Index Kennziffern entwickelt, die schmerzhafte Drawdowns an den Finanzmärkten deutlich besser quantifizieren. Diese machen meines Erachtens die Bedrohung eines Portfolios in Krisenzeiten deutlich transparenter und gaukeln Investoren nicht eine scheinbare Sicherheit vor.

altii: Wie sieht ein Therapieansatz aus?
Schmielewski: Nun, Schmerzen kann man mit Schmerzmitteln reduzieren. Besser als eine symptomatische Behandlung ist allerdings eine kausale Therapie, sodass es erst gar nicht zu Schmerzen kommt. In unserem Fall hieße dies, extreme Verlustpotenziale zu vermeiden und auf krisenresistente Portfolios zu setzen. Herzstück unserer Therapieempfehlung ist der extreme VaR (eVaR), der auf der Grundlage von Extremwertverteilungen mit einer quasi deterministischen Parameterschätzung potenzielle Extremrisiken einzelner Finanzinstrumente oder eines Investmentportfolios abschätzt. Sind diese erst einmal besser zu diagnostizieren, ist die weitere Behandlung relativ nebenwirkungsarm.

altii: Weniger Risiko einzugehen bedeutet im Allgemeinen auch, weniger Rendite zu bekommen. Ist das kein Widerspruch zu Markowitz?
Schmielewski: Ja, diese Beobachtung ist ein Widerspruch zu Markowitz. Dessen theoretisches Kosten-Nutzen-Modell in extremen Verlustphasen an den Märkten wird auch immer wieder in Frage gestellt, weil es auf falschen Annahmen zur Verteilung von Verlusten und deren Korrelationen beruht. Wir konnten in breit angelegten Untersuchungen zeigen, dass weniger Risiko nicht mit weniger Rendite verbunden ist, ganz im Gegenteil: Das Nichteingehen extremer Risiken wird durch eine höhere Rendite belohnt. Mit dieser Ansicht stehe ich im Übrigen auch nicht allein, denn geschätzte Ökonomen wie Haugen und Heins oder auch Mandelbrot haben bereits Anfang der 1970er Jahre auf diesen ökonomischen Widerspruch aufmerksam gemacht.

altii: Wie kann man die riskanten Tage erkennen?
Schmielewski: Hier will ich gern den Wissenschaftlern Taleb und Mandelbrot folgen, die ja gezeigt haben, dass diese riskanten Tage, die ganze Portfolios an den Rand des Ruins treiben können, nicht zu prognostizieren sind. Allerdings sind zumeist schon weit vor dem Ausbruch des Erdbebens die Vorbeben zu erkennen, sodass der Investor hinreichend Zeit findet, sein Hab und Gut in Sicherheit zu bringen. Dies ist der genau der Punkt, an dem wir mit unseren eVaR-Abschätzungen ansetzen.

altii: Damit sind wir bei der praktischen Anwendung. Wie können Investoren die Extremwerttheorie in ihren Anlageentscheidungen berücksichtigen?
Schmielewski: Die einfachste Form der Risikoreduktion besteht darin, Extremrisiken zu begrenzen. Die Extremwertstatistik zielt genau darauf ab. Sie ist ebenso wenig in der Lage, in die Zukunft zu schauen und Punktprognosen zu liefern. Mithilfe der Extremwertverteilungen lassen sich für einzelne Investments und für das Portfolio jedoch potenzielle Schäden valide abschätzen und die Fragilität des Portfolios messen. Ich meine, das ist aus Sicht eines Investors schon ein signifikanter Fortschritt.

altii: Gibt es derzeit Assetklassen, die ein höheres Risiko haben als im vergangenen Jahr?
Schmielewski: Ein gutes Beispiel ist Gold, das einen signifikant höheren eVaR ausweist als noch vor einem Jahr und das Niveau der globalen Aktienmärkte längst erreicht hat.

altii: Kernstück der Therapie ist der eVaR. Was verbirgt sich dahinter?
Schmielewski: Der eVaR schätzt, wie bereits erwähnt, die fetten Enden der Verlustverteilungen, die ja genau das Extremrisiko repräsentieren, mit einer höheren Genauigkeit ab als die herkömmlichen Methodologien. Zur Abschätzung greifen wir dabei direkt auf die Erkenntnisse der Naturkatastrophenforschung zurück. Diese haben wir wesentlich weiterentwickelt und auf die Finanzmärkte adaptiert. In Märkte oder Assets zu investieren, die nur geringere eVaR-Werte ausweisen, ist meines Erachtens der richtige Weg, Schmerzen zu vermeiden, ohne Renditen opfern zu müssen.

altii: Der eVaR soll auch ein Frühwarnsystem sein, der vor Schwarzen Schwänen warnt. Lassen sich mit dieser Methode auch Prognosen erstellen?
Schmielewski: Der eVaR ist insofern ein Frühwarnsystem, als er es ermöglicht, in den verschiedenen Assetklassen oder für einzelne Investments sich aufbauende Extremrisiken frühzeitig zu erkennen. Dies impliziert jedoch nicht, dass wir vorhersagen könnten, wann ein Extremereignis an den Märkten eintritt.Auch hier möchte ich auf eine Analogie aus dem Bereich der Natur­katastrophen verweisen. Es ist sicherlich möglich, die Deichhöhe abzuschätzen, die erforderlich ist, um sich gegen eine Sturmflut zu schützen. Vorherzusagen, wann die Sturmflut in Zukunft eintreten wird, ist allerdings nicht möglich. Ich meine jedoch, einen guten Schutz vor drastischen Schäden zu haben, ist wichtiger, als die Prognose eines Ereignisses, dem man dann schutzlos ausgeliefert ist. Im Übrigen wird aus diesem Grunde der eVaR als Frühwarnindikator ganz wesentlich durch die Professional Risk Managers‘ International Association (PRMIA) vorangetrieben.

altii: Wie lässt sich der eVaR mit anderen Investment-Strategien verbinden?
Schmielewski: Das zeigen unsere eVaR-Nutzer sehr eindrucksvoll, etwa die Acatis Investment GmbH, die den eVaR mit ihren Value-Ansätzen synergistisch nutzt, oder die Veritas Investment GmbH, die auf den eVaR, einen Quality-Value-Ansatz und einen ESG-Indikator setzt.


altii: Gibt es einen Index oder ähnliches, über den man direkt in den eVaR investieren kann?
Schmielewski: Seit Juni 2013 unterstreicht der Modulor Low eVaR Index, der durch die Solactive AG realtime berechnet wird, die Validität unserer Low-eVaR-Strategien. Natürlich ist es darüber hinaus möglich, in die Produkte unserer Partner, wie der Acatis Investment GmbH oder der Veritas Investment GmbH, zu investieren.

altii: Welche Vorteile hat der eVaR gegenüber herkömmlichen Volatilitätsstrategien oder dem normalen VaR-Ansatz?
Schmielewski: Unsere Vergleichsberechnungen zeigen, dass Low-eVaR-Strategien den Pain Index deutlicher reduzieren, als die weitverbreiteten Minimum-Variance- oder Low-VolatilityKonzepte. Für mich ist dies im Übrigen kein überraschendes Ergebnis, denn diese Strategien beruhen auf fälschlichen Verteilungsannahmen. Ein direkter Strategievergleich mit dem Modulor Low eVaR Index wird dies bestätigen.

altii: Warum werden Extremwerttheorien bisher im Risikomanagement kaum genutzt?
Schmielewski: In der Vergangenheit waren die Parameterschätzungen der Extremwertverteilungen mehr Kunst als Wissenschaft. Dies konnten wir in einem mehrjährigen Forschungs- und Entwicklungsprojekt korrigieren, sodass heute die Schätzungen nur noch mit geringen und akzeptablen Modellrisiken behaftet sind.

altii: Gibt es noch andere Analogien aus der Naturwissenschaft, die Anleger für sich nutzen können? Forschen Sie daran?
Schmielewski: Ja, es gibt weitere Analogien, die uns interessieren und an denen wir arbeiten. Sehr interessant sind für uns die in den Naturwissenschaften gut erforschten, sich selbst verstärkenden biokybernetischen Prozesse, die meines Erachtens die Dynamik auch der Finanzmärkte bestimmen. Ohne in die Einzelheiten gehen zu wollen, glaube ich feststellen zu können, dass wir von allen komplexen Systemen der Natur sinnhafte Zusammenhänge lernen und auf die Finanzmärkte adaptieren können.

Das Interview führte Alexander Heintze. Der Beitrag erscheint auch bei unseren Kooperationspartner alternative investor information (<link http: www.altii.de>www.altii.de).

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Dr. Frank Schmielewski ist Mitglied der Geschäftsleitung der RC Banken Gruppe und seit mehr als 20 Jahren im Risikomanagement international führender Unternehmen tätig. In Zusammenarbeit mit führenden Asset Managern entwickelte er das eVaR-Konzept zum Monitoring extremer Risiken an den Finanz-märkten und unterschiedlicher Assetklassen sowie zur risikobasierten Portfoliokonstruktion und Portfoliooptimierung.

Die RC Banken Gruppe ist ein auf die Finanzindustrie spezialisiertes Beratungs- und Softwareunternehmen, das u.a. eine Lösung zur automatisierten Abschätzung von Extremwertverteilungen entwickelt hat, die weltweit bei Kapitalanlagegesellschaften und Banken im Einsatz ist.