Hill: Woher kommen Ihre Begeisterung für den Mittelstand und Value Investing?
Siebel: Mein BWL-Studium verbrachte ich in Teilen in den USA. Ich hatte das Glück, mit Prof. Dr. Bey an einen renommierten Finance-Professor zu geraten, der mich in einem Student Investment Fund-Kurs „triezte“, eigene DCF-Modelle aufzustellen, SWOT-Analysten der Geschäftsmodelle durchzuführen und dies dann vor versammelter Mannschaft zu präsentieren. Die Standardwerke von Benjamin Graham und Aswath Damodaran lagen da als Grundlage auf meinem Tisch. Damals wurde ich „ins kalte Wasser geworfen“, das hat mich bis heute geprägt und zu einem Jünger des „Value Investing“ gemacht. Das Schöne an der damaligen Übung ist, dass ich DCF-Modelle seitdem verstehen und vor allen Dingen auch selbst rechnen kann. Nicht ganz unwichtig, wenn man vom „Fair Value“ einer Aktie spricht und manchmal fragwürdige DCF-Modelle präsentiert bekommt. Zur Jahrtausendwende begann ich meine Karriere bei der Fondsgesellschaft der damaligen WestLB. Da habe ich direkt die Erfahrung mit platzenden Blasen an den Aktienmärkten gemacht und auch privat Geld verloren. Durchaus lehrreich, ich laufe seitdem nicht mehr jedem „Hype“ hinter. Meine Zeit in London im Bereich Asset Management und die Zusammenarbeit mit Aktienanalysten auf der „Sell Side“ haben meinen Horizont erweitert, ist doch die Sichtweise auf Unternehmen hier ganz unterschiedlich. Ich konzentrierte mich dann auf Mittelstandsaktien, neudeutsch „Small & Mid Caps“. Dies bedeutete ausgiebige Bilanzanalysen, das Studium von umfangreichen Sektor- und Aktienpublikationen der Banken und das Reisen zu Investmentkonferenzen in den verschiedenen Ländern und zu den Unternehmen selbst. Nach einer Zwischenstation beim Bankhaus Lampe, bei der ich wie auch bei der WestLB einen Nebenwerte-Publikumsfonds auflegte und eigenverantwortlich managte, gründete ich 2013 die Peacock Capital GmbH. Es war gut, dann bereits einen langfristigen und belastbaren Track Record für Nebenwerte vorweisen zu können. Dies ist Investoren wichtig. Bis heute hat mich die Leidenschaft für Nebenwerte nicht losgelassen. Unser Fonds, der Peacock European Best Value Fonds ist ein europäischer Nebenwerte-Fonds. In ihm pocht das Herz eines echten „Value Investing“-Anhängers.
Hill: Langfristdenke und Nachhaltigkeit bestimmen auch die Denke im Mittelstand. Welche Bedeutung hat bei Ihrem Investmentansatz die aktuelle Diskussion zum Thema ESG und Taxonomie?
Siebel: Ab 2022 sieht die sogenannte Taxonomie-Verordnung der EU vor, dass Unternehmen und auch Anbieter von Finanzprodukten bzgl. ihrer ökologisch nachhaltigen Tätigkeiten und Investments in verschiedene Kategorien eingruppiert werden. Damit entsteht endlich hinreichender Druck auf die Branche, ökologische Kriterien bei ihrem Wirtschaften ernst zu nehmen. Angesichts dramatischer Bilder aus der Antarktis und Dürreperioden in Europa ist es Zeit, endlich Gas zu geben. Wir haben bereits Anfang des Jahres darauf reagiert und im Sinne einer ‚Entsprechenserklärung‘ hinsichtlich diverser ESG-Kriterien unsere Firmen im Portfolio zu screenen. Wir verwenden seit jeher bei unseren Treffen mit den Vorständen analytische Fragebögen zum Geschäftsmodell und den Bilanzen. Diese haben wir mit ESG-Kriterien ergänzt. Zudem nutzen wir auch unser Analystennetzwerk. So bieten diverse Partner in Europa mittlerweile ESG-Konferenzen an, auf denen die börsennotierten Firmen ESG-Rechenschaftsberichte präsentieren. Als kritische Investoren darf der Fokus auf das ‚S‘ und ‚G‘ allerdings nicht fehlen. Als kritischer Value-Investor ist nicht nur die Akkuratheit der Bilanz wichtig, sondern auch die Qualität des Managements und des Aufsichtsrates. Wie der Fall Wirecard zeigt, führt ein hinwegsehen schnell zu schlimmen Vermögensverlusten. Für uns war die Firma stets ein rotes Tuch. Zu verbandelt war der Vorstand mit dem Aufsichtsrat, der kritische Hinweise renommierter Journalisten stets als Unfug abtat. Noch in 2018 wies eine Investmentbank nach, dass ein Großteil der E-Commerce-Umsätze von Wirecard nicht existieren könne. Zwei Gründe, die alle Alarmlampen aufleuchten ließen. Dass Wirecard dann noch dubiose Praktiken nutzt, um Kritiker einzuschüchtern beziehungsweise zu überwachen, wie die Financial Times Ende 2019 berichtete, macht ein Investment nur noch unseriöser. Es ist überraschend, wie viele Unternehmen beispielsweise dem deutschen Corporate Governance Kodex nicht vollumfänglich entsprechen. Nebenwerte sind besonders attraktiv für ESG-Investoren. Ich konzentriere mich seit knapp 20 Jahren auf europäische Nebenwerte. Der Trend hin zu Nachhaltigkeit ist hier besonders eindrucksvoll. Man erinnere sich an die Einführung des EEG im Jahre 2000. Als Vorreiter hat Deutschland hier den Weg für die erneuerbaren Energie-Branche geebnet, „Pure Plays“ entstanden zuhauf. Nordex und Vestas sind bekannte Namen, spannender wird es jedoch in der zweiten und dritten Reihe, wenn es um die Themen Wasserstoff, Solar, Wind, Rohstoffe und Elektromobilität geht. Das fängt an bei italienischen IT-Software-Firmen, geht über unser langjähriges Investment in Corticeira Amorim, dem Marktführer für Kork und endet zum Beispiel bei dem Elektro-Ladestation-Hersteller Compleo, der kürzlich in Deutschland sein Börsendebut feierte. Viele Unternehmen bieten hier Alleinstellungsmerkmale und einen starken „wirtschaftlichen Burggraben“, die man sonst nur Unternehmen wie Google oder Apple zurechnet. Gemeinsam mit unseren Partnern und Analysten in Europa haben wir bereits eine „Green Deal“-Liste erstellt, die diese „Pure Plays“ beinhalten. Im Best Value Fonds orientieren wir uns an diesen Leitlinien. Angesichts der Vielzahl von innovativen „pure ESG-Plays“ bei Nebenwerten denken wir auch über einen „PURE ESG“-Fonds nach, der sich wohl nur mit innovativen Nebenwerten zu einem wachstumsstarken Produkt formen lässt. Der Fokus auf Nebenwerte mit engem Kontakt zum Management stellt sicher, dass der Fondsmanager fokussiert agiert und stets gut informiert ist.
Hill: Wie sehen Sie die Diskussion um Value vs. Growth? Ist es mehr oder weniger ein „ausgelutschtes“ Thema oder besitzt es nach wie vor eine Bedeutung bei der Kategorisierung von Investments?
Siebel: Die Themen Growth- und Value-Aktien sind ja seitens diverser Anbieter – zumeist von denjenigen, die dauerhaft und größtenteils in Technologiefirmen investieren – effektiv ausgeschlachtet worden. Kein Wunder, denn in den letzten Jahren haben Growth-Titel klar Value-Titel geschlagen. Durch Corona haben dann wachstumsorientierte Digitalisierungsgewinner noch einmal deutlich zugelegt. Einige Firmen werden durch diesen Paradigmenwechsel auch dauerhaft profitieren. Viele Firmen scheinen jedoch wieder einmal „gehypt“ zu sein. Denn die Wirtschaftslehre belegt immer wieder eines: Da, wo durch Innovationen und neue Marktfelder viel Geld verdient werden kann, nimmt der Wettbewerb schnell zu. Ein gutes Beispiel sind hier die Online-Konferenz-Anbieter Microsoft, Google, Zoom, und Teamviewer. Viele Investoren schauen hier riskanterweise nur auf Umsatzwachstum, Cashflow-Rechnungen stellt kaum jemand an. Und da liegt das Problem. Cashflow wird nicht nur durch Umsatzwachstum definiert, sondern auch durch Investitionsausgaben, die Veränderung von Working Capital und die Margenentwicklung. Und gerade bei diesen Faktoren überschätzen Investoren systematisch die Aussichten gerade junger Firmen. Bis dann die erste Gewinnwarnung kommt und der Kurs ins bodenlose fällt. Wir denken da etwas anders. Insbesondere bei Prognosen der Marge und der zugrundeliegenden Produktpreise sind wir deutlich vorsichtiger. Eine Firma kann noch so innovative Produkte kreieren. Kommt es zu starkem Wettbewerb, purzeln die Verkaufspreise schneller als man schauen kann. Viele Wachstumswerte kaufen kräftig zu, meist zu horrenden Preisen. Dies ist ein Warnsignal und führt dann im späteren Verlauf zu sogenannten „Impairments“, Abschreibungen auf den Wert der Firma, die dann die Bilanz verhageln. Uns sind Firmen lieber, die organisch und strukturell wachsen, am liebsten zweistellig. Denn aus dynamischer Sicht ist klar: Wo kein Wachstum, da kein Value. Die stumpfen Schubladen Value oder Growth passen einfach nicht, das sagte schon Warren Buffett.
Hill: Sehen Sie einen Widerspruch zwischen klassischem „Value Investing“ und dem Investment in moderne Technologie-Unternehmen?
Siebel: In unserem Portfolio befinden sich aktuell mehr als 20% Technologie-Aktien, die allerdings deutlich günstiger bewertet sind als die üblichen Verdächtigen. In Sachen Solidität des Geschäftsmodelles stehen sie übrigens großen Blue-Chip-Firmen in nichts nach. Im Gegenteil. Sie sind oftmals wesentlich glaubwürdiger, denn das Management sitzt oft mit dem Investor in einem Boot beziehungsweis das Unternehmen ist familiengeführt. Zudem achten wir bei Technologieinvestments darauf, dass Geschäftsmodelle halbwegs erprobt sind und eine vernünftige Kapitalrendite abwerfen. Eine gute Kennzahl ist hier der RoCE (Return on Capital Employed). Hier geht nicht nur der Nachsteuergewinn im Zähler in die Formel ein, sondern eben auch das eingesetzte Kapital. Dies beinhaltet einen sorgsamen Umgang mit dem Kapital der Investoren, insbesondere auch mit dem Working Capital. Studien haben gezeigt, dass Firmen mit dauerhaft hohem RoCE in der Tat zu den besten „Performern“ gehören. Schlicht auf „tolle Stories“ zu setzen und Marktführer ohne Bewertungsvernunft zu kaufen ist aus unserer Sicht risikobehaftet. Ein Unternehmen muss zeigen, dass es profitabel wirtschaftet. Viele der Firmen, die wir halten, steuern ihre Firma nach RoCE-Kriterien. Das ist eher die Ausnahme. Die vermeintlich „statische“ Kennzahl des RoCE ist daher exzellent geeignet, gute Geschäftsmodelle von riskanten zu unterscheiden. Wenn dann noch der Preis stimmt - hier ist EV/IC die richtige Kennzahl - dann schlagen wir zu. „Günstig“ auch im dynamischen Sinne hat Übrigens einen schönen Nebeneffekt: Denn meist werden kleine Nebenwerte besonders gerne von den großen Fischen geschluckt, wenn Sie günstig zu haben sind. Im Ergebnis profitiert der Investor dann von einer stattlichen Übernahmeprämie.
Hill: Welcher Investor passt zu Ihrem Investmentstil? Von wem fühlen Sie sich verstanden, bei wem rennen Sie sozusagen „offene Türen“ ein?
Siebel: Eine nicht ganz einfache Frage. Je mehr man „Stock Picker“ ist, d.h. sich ausschließlich auf die Entwicklung der einzelnen Unternehmen verlässt, treten Trends und die Volatilität der Märkte an sich in den Hintergrund. Unternehmerisch denkende Investoren müssen auch schwache Marktphasen aushalten können. Unser Ziel ist es nicht, bei volatilen Märkten zum richtigen Zeitpunkt plötzlich gänzlich aus Aktien auszusteigen und dann wieder den richtigen Moment zum Einstieg zu finden. Die Erfahrung zeigt, dass gerade mit solchen Entscheidungen Geld auf der Straße liegenbleibt. Auch sehen wir keine Alternative zu Aktien beziehungsweise Nebenwerten. So halten wir zum Beispiel auch keine Goldposition, da Gold keinen realen Wert beziehungsweise inneren Wert besitzt und makroökonomisch bzw. emotionsgesteuert ist – ein sicherer Hafen in Krisenzeiten, es korreliert zu dem US-Dollar. Wir wollen unternehmerisch agieren, uns langfristig an einzigartigen Firmen beteiligen, letztlich wie ein Private Equity Investor. Unsere Lieblingsinvestoren sind daher die, die mit uns diesen Weg gehen und wissen, dass zum Beispiel auch interessante Investments in Sondersituation wie Restrukturierungen Zeit brauchen, um die gewünschte Rendite zu erzielen. Mit etwas Geduld sind so auch schwierige Phasen am Aktienmarkt zu meistern. Das gilt auch für die Frage, ob „Value“ oder „Growth“ mal wieder läuft. Der Investor sollte verstehen, dass gerade wir „Perlen aus der zweiten und dritten Reihe“ erwerben, die nicht sofort eine Woche später haussieren. Der Investor sollte auch wissen, dass Nebenwerte vom Rendite-Risiko-Profil vorteilhafter sind als Blue Chips. Die Belege dafür sind nun über die Jahre mehr als belastbar und eindeutig. Nebenwerte sind also als Kerninvestment zu verstehen und eben kein „Neben“-Kriegsschauplatz. Auch wenn einmal über einige Quartale Nebenwerte den Blue Chips hinterherlaufen. Genau dann gilt es eher, einzusteigen.
Hill: Unabhängige Asset Manager „brennen“ für Ihre Sache. Abwechslung weitet oft den Blick. Was machen Sie, wenn Sie gerade nicht Ihren Fonds managen?
Siebel: Zielgerichtetheit und Fokus sind denke ich mal Eigenschaften, die Investoren bei Fondsmanagern suchen. Als Kind begann ich bereits mit dem Sport des Bogenschießens. Ich hatte mit meinem Bruder damals schöne Übungsparcoure aufgebaut. Wildtierbilder auf zusammengebastelten Kartonstücken. Die haben wir auf einem Waldgrundstück aufgestellt und geübt. Bis 20m war die Trefferquote noch ganz ordentlich. Schwierig wurde es da immer ab so 40m. Selbst Windböen machen einem da schon einen Strich durch die Rechnung. Der Sport verlangt einem die Konzentration und Ruhe ab, bis zur letzten Sekunde des Abschusses. Eine gute Übung für mich, gelte ich doch als eher umtriebig. Der Sport ist etwas eingeschlafen. Eine nicht minder interessante Aufgabe, die mir Ausgleich und Entspannung gibt, ist der Segelsport. Meinen Sohn führe ich gerade in das Jollensegeln ein, was wahnsinnig Spaß macht. Es ist mir nicht mehr erlaubt, die Pinne zu halten. Er ist jetzt der Chef.
Hill: Vielen Dank für das Gespräch.
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*) Markus Hill ist unabhängiger Asset Management Consultant in Frankfurt am Main.
Kontakt: info@markus-hill.com; Website: www.markus-hill.com
Peacock Capital GmbH: www.peacock-capital.com