Als „kleines Wunder“ bezeichnete der Schweizer Innenminister Alain Berset den Kompromiss, den die Sozialpartner für eine Reform der Gesetzesgrundlage für die obligatorische Schweizer betriebliche Altersvorsorge, das BVG, nun erzielt haben.
Eine der am längsten überfälligen Anpassungen, denen sowohl Gewerkschaften als auch Arbeitgebervertreter zugestimmt haben, ist eine sofortige Absenkung des Mindestumwandlungssatzes von 6,8% auf 6,0%.
Alle Experten sind sich einig, dass eine solche Absenkung schon längst überfällig ist, weil derzeit Rentenzahlung aus dem Vermögen von aktiven Pensionskassenmitgliedern querfinanziert wird. Jene Pensionskassen mit einem überobligatorischen Teil haben den Gesamtumwandlungssatz bereits deutlich gesenkt, teilweise schon unter die 5%-Marke.
In ihren Verhandlungen einigten sich der Gewerkschaftsbund SGB, die Gewerkschaft Travail.Suisse sowie der Verband der Arbeitgeber SAV auch auf einen Zuschuss für die nächsten 15 Generationen von Rentnern. Das soll die Absenkung des Umwandlungssatzes abfedern.
Die Sozialpartner riefen die Regierung auf, ihre Vorschläge möglichst bald in Gesetzesform zu gießen, damit diese dem Parlament vorgelegt werden und dann 2021 oder spätestens 2022 in Kraft treten kann.
In ihrer Pressemitteilung zeigten sich die Verhandler von ihrem Ergebnis überzeugt: „Die Lösung modernisiert das BVG, berücksichtigt ausgewogen vielfältige Interessen und ist dadurch mehrheitsfähig.“
Noch nicht sicher ist, ob über die Gesetzesänderung auch in einem Referendum abgestimmt werden muss.
Frühere Vorschläge, die u.a. eine Absenkung des Umwandlungssatzes beinhaltet hatten, wurden vom Schweizer Stimmvolk abgelehnt: Sowohl 2010 als auch im Zuge der AV2020 Reformabstimmung im September 2017.
AHV-Vorschlag bislang ohne Unterstützer
Das Scheitern dieses umfangreichen Gesamtreformpakets hatte auch dazu geführt, dass nun die Reform der ersten und der zweiten Säule getrennt voneinander verhandelt wurden.
Für die erste Säule wurde von der Regierung ein Reformvorschlag unterbreitet, der im Herbst vom Parlament behandelt werden soll.
Einerseits soll das Rentenalter der Frauen an das der Männer mit 65 Schritt für Schritt angeglichen werden – das wird auch für die zweite Säule gelten.
Wenn möglich, soll das bereits 2021 der Fall sein – daher auch der Reformname „AHV21“. Allerdings wird dies vom parlamentarischen Erfolg des Reformpakets abhängen.
Um Frauen für den Anstieg des Rentenanteils zu kompensieren, sollen über neun Jahre 700 Mio. Schweizer Franken in diverse Maßnahmen fließen.
Außerdem wurde festgelegt, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die der AHV zu Gute kommen soll, maximal 0,7 Prozentpunkte betragen wird. Dieser Nutzung von Steuergeldern hatten die Schweizer im Mai in einem Referendum zugestimmt.
Das Rentenalter soll nicht nur angeglichen werden, es soll auch flexibilisiert werden. Tatsächlich spricht man in der Schweiz von einem „Referenzalter“. Der Rentenantritt soll nunmehr zwischen 62 und 70 Jahren möglich sein, wobei länger arbeiten belohnt wird. Es sollen auch Teile der staatlichen Rente bezogen werden können, wenn man noch arbeitet.
Parallel dazu haben die Sozialpartner für das BVG Maßnahmen vorgeschlagen, die es für Arbeitgeber steuerlich bzw. lohnabgabentechnisch attraktiver machen, ältere Arbeitnehmer einzustellen.
Berset erwartet im Parlament im Herbst eine „ziemlich komplexe und emotionale Diskussion“ zu den Vorschlägen.
Allerdings haben linke Parteien bereits ihre Kritik daran signalisiert, dass Frauen durch das Paket zu sehr benachteiligt werden. Konservative Kreise wiederum befürchten negative wirtschaftliche Auswirkungen durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Schweiz: Kompromiss bei BVG-Reform / hoffnungsvoller AHV Reformvorschlag
