Das deutsche Alterssicherungssystem beruht auf drei Säulen oder auch Schichten, die sich insgesamt ergänzen und in Summe die Altersversorgung im Ruhestand sicherstellen sollen. Für alle drei Säulen haben sich die Parteien in ihren Wahlprogrammen mehr oder minder klar positioniert, und in allen drei Säulen besteht erheblicher, über die Jahre aufgelaufener Reformbedarf, der in der nächsten Legislaturperiode dringend angegangen werden sollte.
Die betriebliche Altersversorgung braucht mehr Verbreitung
Für die betriebliche Altersversorgung (bAV) war in der Ampel-Koalition ein breiter Fachdialog bAV geführt worden und auf dieser Basis der Entwurf eines zweiten Betriebsrentenstärkungsgesetzes entstanden. Enthalten: eine ganze Reihe von Änderungen und Verbesserungen der Rahmenbedingungen. Schwerpunkte waren die Themen Sozialpartnermodell, Abfindung, Pensionskassen und Geringverdiener-Förderung. Eine zeitnahe Verabschiedung des Entwurfs ist dringend geboten. Allerdings ist nicht zu vergessen, dass der Entwurf unter der Arbeitshypothese stand, dass er nur Aspekte enthält, die Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen gleichermaßen mittragen. Es handelt sich deshalb um eine Sammlung kleiner Schritte. Um die drängenden Probleme der Altersversorgung anzugehen, reicht der Entwurf bei weitem nicht aus.
Was sind die wesentlichen Fragestellungen der bAV? Die bAV braucht mehr Verbreitung, rechtssichere Optionen für renditestärkere Modelle und eine schlüssige Einbettung der an Garantien in der bAV zu stellenden Anforderungen im Vergleich zur privaten geförderten Altersvorsorge in ein Gesamtkonzept der drei Altersvorsorgesäulen. Alle drei Elemente kommen im Regierungsentwurf des damaligen BRSG 2 zu kurz, und hier sollte in einem neuen Gesetzentwurf, sofern der BRSG 2-Entwurf als Grundlage genommen würde, jedenfalls nachgebessert werden:
• Für mehr Verbreitung der bAV kann eine betriebliche Opting-out-Option sorgen. Das Thema wurden zwar im BRSG 2 adressiert, aber die im damaligen RegE enthaltene zusätzliche Opting-out-Option für tariflose Bereiche ist schlicht ungeeignet, die Verbreitung der bAV nachhaltig zu fördern. Daher wäre eine wirksame betriebliche Opting-out-Option, die entsprechend dem individualrechtlichen Konzept des in § 1a BetrAVG heute schon enthaltenen Opting-in-Prinzips für den Anspruch auf Entgeltumwandlung jenseits von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen ermöglicht werden sollte, ein Gewinn für die bAV und sollte in ein künftiges Betriebsrentenstärkungsgesetz aufgenommen werden.
• Mehr Renditechancen in der bAV bedeutet, weniger Garantievorgaben zu machen – insofern wäre als Mindestanforderung eine Senkung der Garantievorgabe zur Beitragszusage mit Mindestleistung von der sog. Beitragsgarantie auf z. B. 60-80% der Beiträge ein wichtiger Schritt, um mehr Rendite und damit mehr Versorgung für die Begünstigten zu ermöglichen.
• Ein schlüssiges Gesamtkonzept für Garantien bedeutet jedoch weitergehend, dass die bAV in ähnlicher Weise wie die staatlich geförderte private Altersvorsorge behandelt werden sollte – Garantieerleichterungen, die in der pAV im sog. pAV-Reformgesetz des BMF für die Anspar- und die Rentenphase in weitem Umfang zugelassen werden sollten und die auch jetzt in den Wahlprogrammen der Parteien postuliert werden, müssten zur Vermeidung schädlicher Kannibalisierungseffekte auch für die bAV Anwendung finden. Dabei ist ein zentraler Gedanke von Bedeutung: staatlich zulagengeförderte Altersvorsorge – ob in bAV oder pAV – sollte für die Rentenphase eine lebenslange Absicherung vorgeben, um die Interessen der Begünstigten, aber auch der Beitrags- und Steuerzahler zu wahren und einen wesentlichen Beitrag zur Vermeidung von Altersarmut zu leisten.
Schaut man zur bAV in die Wahlprogramme der Parteien, so finden sich hierzu vielfach nur wenig detaillierte Hinweise: alle wollen auch die bAV fördern, die Union spricht dabei direkt auf kleine und mittlere Arbeitgeber an (also die Verbreitung der bAV auf Arbeitgeberseite), die SPD betont ihren Schwerpunkt auf renditeorientierte Sozialpartnermodelle mit Tarifvertragserfordernis und Geringverdiener-Förderung, Bündnis90/Die Grünen wollen einen „Bürger*Innenfonds“ (also staatlich organisieren Fonds) auflegen, der auch für die bAV nutzbar sein soll. In einer als sich wahrscheinlich abzeichnenden Schwarz-Roten-Koalition wäre ein BRSG 2 mit ggf. weniger Tariferfordernis erwartbar. Bei anderen Koalitionskonstellationen fallen Prognosen definitiv schwer.
Was ist bei den anderen beiden Säulen der Altersversorgung zu erwarten?
In der gesetzlichen Rentenversicherung bleiben offene Finanzierungsfragen weiterhin ungeklärt. Es fällt stark auf, dass in den Wahlprogrammen zur gesetzlichen Rentenversicherung eher „beruhigend-defensiv“ agiert wird oder gar massive Leistungsausweitungen in Aussicht gestellt werden.
Kernpunkte in den Programmen sind im Wesentlichen, dass keine Anhebung des Renteneintrittsalters erfolgen soll, ein abschlagsfreier Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren bleiben soll und idealerweise auch das Beitragsniveau sich nicht steigern soll. SPD und Grüne sprechen sich klar für ein Leistungsniveau von mindestens 48% aus. Zwei Finanzierungsmaßnahmen finden sich ebenfalls vielfach: Verbreiterung der Beitragsbemessungsgrundlage durch Einbeziehung weiterer Berufsgruppen (z. B. Selbständige, Bürgerversicherung o. ä.) und – bei wohlwollender Interpretation – ein zeitlicher Aufschub der Inanspruchnahme von gesetzlichen Renten, also eine faktische Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch diverse entsprechende Anreizelemente. Eine Weiterarbeit über die Regelaltersgrenze hinaus soll bei der Union durch eine „Aktivrente“ (damit ist ein Steuerfreibetrag von 2.000 Euro monatlich für Arbeitsentgelt gemeint, wenn eine solche Weiterarbeit erfolgt) gefördert werden, SPD und Grüne setzen in diesem Punkt eher auf die Auszahlung von Sozialversicherungsbeiträgen. Es steht also zu erwarten, dass in der gesetzlichen Rentenversicherung bestenfalls Elemente einer Evolution des bestehenden Systems umgesetzt werden, jedoch keine grundlegenden Veränderungen. Dies hätte zur Folge, dass drängende offene Finanzierungsfragen weiterhin ungeklärt bleiben würden. Für die dauerhafte Stabilität und generationenübergreifenden Akzeptanz des gesetzlichen Rentensystems sind substanzielle Reformen erforderlich, die augenscheinlich nicht angegangen werden.
Bis dato geplante gesetzliche Initiativen zur staatlich geförderte privaten Altersvorsorge enthalten wegweisende Ansätze
Deutlich stärker akzentuierte Vorstellungen finden sich zum Thema einer Reform der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge. Diese Reform ist überfällig und sollte in der letzten Legislaturperiode angepackt werden, scheiterte jedoch am vorzeitigen Ende der Ampel-Koalition. Das sog. pAV-Reformgesetz (in der Fassung eines Referentenentwurfs aus dem damals FDP-geführten Bundesfinanzministerium) beinhaltete dazu einige – auch im Sinne der Generationengerechtigkeit – wegweisende Ansätze.
Vergleicht man die Wahlprogramme, dann erscheint diesbezüglich als Gemeinsamkeit, dass ein kapitalgedecktes privates Altersvorsorgedepot mit steuerfreier Ertragsthesaurierung, d. h. im Ergebnis mit nachgelagerter Besteuerung erst in der Auszahlungsphase, eingeführt werden soll. Die Union setzt hier auf ein Obligatorium für Kinder ab dem 6. Lebensjahr (sog. Frühstart-Rente) mit Fortsetzungsoption ab dem 18. Lebensjahr und Verfügung über das Altersvorsorgekapital erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze, während andere Parteien auf Freiwilligkeit – ggf. in Form einer Opting-out-Option – setzen. Bemerkenswert ist, dass z. B. im Modell der Union keine Garantien gegeben werden sollen. SPD und Grüne akzentuieren stärker den Förderfokus für kleine und mittlere Einkommensbezieher. Insgesamt dürfte jedoch das Produktkonzept, das dem pAV-Reformgesetzentwurf aus der Ampel-Koalitionszeit zugrundlag, in Kernelementen eine Ausgangsbasis für gesetzgeberische Aktivitäten der kommenden Legislaturperiode sein.
Zusammenfassung und Ausblick
Die rentenpolitischen Herausforderungen sind enorm. Reformen in allen drei Säulen der Alterssicherung sind zwingend und dringend erforderlich. Dennoch sind die Wahlprogramme bei diesem sensiblen Thema eher defensiv gehalten und der weitestgehende Reformvorschlag ist letztlich das obligatorische „Frühstart-Rentenkonzept“ der Union zur privaten Altersvorsorge und zur Förderung des Vorsorgespargedankens von Kindheit an. Dies zeigt, dass das Thema bAV in der Rentenpolitik nicht priorisiert wird, sondern nur „auch“ eine Rolle spielen wird.
Eine künftige Regierung sollte die bAV im Rahmen von Rentenreformen deutlich stärker in den Blick nehmen – nur in der bAV lässt sich ergänzende Altersversorgung für große Kollektive mit erheblichen – auch kostenseitigen – Skalen- und Effizienzeffekten umsetzen. Es sollte auch das Engagement der Unternehmen gewürdigt werden, die seit Jahrzehnten bAV anbieten und sich damit für ihre Mitarbeiter/-innen engagieren. Dazu sollten auch die bestehenden Rahmenbedingungen für die bAV verbessert werden.
Mit Blick auf die bAV ergeben sich folgende zentrale Forderungen, die vor diesem Hintergrund angegangen werden sollten. Das zweite Betriebsrentenstärkungsgesetz ist in weiten Teilen sinnvoll und sollte daher weitgehend umgesetzt werden. Änderungen bzw. Ergänzungen sind jedoch in folgenden wesentlichen Punkten erforderlich:
• Einführung einer betrieblichen Opting-out-Option, die zur Verbreitung der bAV beitragen kann.
• Absenkung der Garantievorgabe bei der Beitragszusage mit Mindestleistung auf 60-80% der eingezahlten Beiträge zur Ermöglichung renditestärkerer bAV-Systeme sowie Gleichbehandlung der bAV bei Einführung garantiereduzierter, staatlich zulagengeförderter pAV.
• Erhöhung der Abfindungsgrenzen für Kleinanwartschaften im BetrAVG ohne Einzahlungsvorgabe der erhöhten Abfindungen in die ansonsten umlagefinanzierte gesetzlichen Rentenversicherung.
• Einführung einer Weiterführungsoption für nicht-versicherungsförmige Pensionsfonds bei Insolvenz eines Trägerunternehmens.
• Einführung einer für die Unternehmen praktisch handhabbaren und rechtssicher anwendbaren Alternative zur Rentenanpassung an die jeweilige Inflation auch für Bestandszusagen.
Auch wenn es noch viele weitere Detailpunkte gibt, wären dies zentrale, wesentliche Themen, um die Verbreitung der bAV zu fördern, vorhandene praktische Hürden für die Durchführung der bAV zu beseitigen und damit die Altersversorgung in Deutschland nachhaltig zu stärken.
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*) Hanne Borst, Head of Retirement Germany/Austria, WTW, und Dr. Michael Karst, Head of Legal/Tax/Accounting and Head of Funding Vehicles, Retirement Germany, WTW
Gastbeitrag: Altersversorgung nach der Bundestagswahl – die Zukunft der Rentenpolitik
