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Gastbeitrag: Klare Regeln oder „gesunder Menschenverstand” – Indizes folgen verschiedenen Konzepten

„Die meisten Käufer und Verkäufer wissen, dass sie dieselben Informationen haben. Sie handeln die Aktien vorrangig, weil sie unterschiedliche Meinungen zu ihnen haben“, beschreibt Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman den Aktienmarkt. Er erklärt die unterschiedlichen Einschätzungen unter anderem damit, dass die einzelnen Akteure ihre Fähigkeit, die richtigen Aktien auszuwählen, überschätzen.

Konrad Sippel

Genau diese diskretionären Entscheidungen wollen Investoren mit passiven, indexbasierten Invest- ments ausschließen. Denn zahlreiche Studien belegen, dass es den wenigsten professionellen Investoren langfristig gelingt, den Markt zu schlagen. Aber auch bei den Indizes lohnt sich der Blick ins Detail. Bekannte Benchmarks, wie etwa der EURO STOXX 50 einerseits und der S&P 500 andererseits, unterscheiden sich erheblich darin, wie sehr sie die Indexzusammensetzung auf Basis von Regeln oder der Meinung eines unabhängigen Indexkomitees bestimmen.

Der wesentliche Unterschied zwischen den einzelnen Indexkonzepten liegt in der Funktion und den Einflussmöglichkeiten des Indexkomitees. Bei strikt regelbasierten Indizes, wie dem DAX oder dem europäischen Leitindex EURO STOXX 50, kann das unabhängige Expertengremium nicht unmittelbar beeinflussen, welche Titel für das Indexportfolio ausgewählt und wie diese gewichtet werden. Dies geschieht ausschließlich auf Basis der quantitativen Indexregeln. Dagegen überwacht das Indexkomitee, ob das Regelwerk des Index eine treffende Abbildung des Marktes unterstützt. Denn mit der Weiterentwicklung der Finanzmärkte und einzelner Finanzinstrumente können sich Situationen ergeben, die bei der Konzeption des Index nicht vorherzusehen waren.

So haben sich beispielsweise die Regeln des DAX kontinuierlich weiterentwickelt. Nahezu jährlich haben die Indexexperten das Regelwerk des deutschen Leitindex angepasst und insbesondere auf die Marktverwerfungen in Folge der Finanzkrise reagiert. So sieht der Index seitdem unter anderem Ausschlusskriterien für hochvolatile Werte vor. Zudem wurde der Mindest-Freefloat auf 10% erhöht und es werden meldepflichtige Termingeschäfte bei Übernahmen berücksichtigt. Auch mehr als 20 Jahre nachdem der DAX erstmals berechnet wurde, spiegelt der Index dank der regelmäßigen Verbesserungen den deutschen Aktienmarkt exakt wider und ist eine wichtige Grundlage für Investments.


Klare Regeln machen Indexzusammensetzung transparent
Ausnahmesituationen, wie sie in der Finanzkrise aufgetreten sind, fordern auch ein Indexkomitee mit direkten Eingriffsmöglichkeiten heraus. Ein Beispiel hierfür ist der Umgang der wichtigsten Benchmarks für den US-Aktienmarkt mit der Aktie von General Motors in der Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Krise des US-Autobauers verschärfte sich damals und mündete schließlich 2009 in dessen Insolvenz nach Chapter 11. Während das Indexkomitee des S&P 100, also eines Auswahlindexes für die 100 größten US-Unternehmen, bereits im Juli 2008 die GM-Aktie aus dem Indexportfolio nahm, gehörte das Traditionsunternehmen bis zum Juni 2009 zu den 30 US-Unter- nehmen im Dow Jones Industrial Average.

Nahezu zeitgleich zählte das Indexkomitee von S&P das Automobilunternehmen nicht einmal mehr zu den 500 größten US-Aktien und nahm den Wert aus dem S&P 500. Dies zeigt, wie unterschiedlich Indexkomitees die Zugehörigkeit eines Unternehmens zu einer Benchmark bewerten können. Die Zusammensetzung des Portfolios und der Zeitpunkt der Anpassungen sind in diesen Ausnahmesituationen daher wenig transparent und kaum nachvollziehbar, was das Portfoliomanagement und etwa den Einsatz von Derivaten auf Basis des jeweiligen Index erschwert. Anders bei strikt regelbasierten Indizes: Hier bestimmen die quantitativen Kriterien den Zeitpunkt für die Anpassung des Index. Im Fall von General Motors hätten solche Regeln zu einem frühzeitigen Ausschluss aus dem Index geführt. Zudem können Investoren anhand der klaren Regeln die Indexzusammenfassung antizipieren.


Kontinuität im Indexportfolio sicherstellen
Ein Motiv für den starken unmittelbaren Einfluss eines Indexkomitees besteht darin, eine höhere Kontinuität im Indexportfolio herzustellen. Durch die gewöhnlichen Marktschwankungen ergeben sich beständig kurzfristige Veränderungen in der Rangfolge der Unternehmen nach ihrer Marktkapitalisierung. Gerade für langfristig orientierte Investoren ist es jedoch wichtig, zahlreiche Anpassungen im Index zu vermeiden. Andernfalls beeinträchtigen die hiermit verbundenen Handelskosten die langfristige Wertentwicklung zu stark.

Allerdings lohnt sich ein langes Festhalten an Werten, die die quantitativen Kriterien nicht mehr erfüllen, in den seltensten Fällen. Denn es gelingt den wenigsten einmal aus dem Index ausgeschlossenen Unternehmen wieder in diesen zurückzukehren. Hinzu kommt: Übermäßige Schwankungen in der Indexzusammensetzung lassen sich nicht allein über die langfristige Perspektive eines Indexkomitees ausschließen. Vielmehr ist dies auch auf Basis einer strikt regelbasierten Indexzusammenstellung möglich, sofern die Indexregeln einen „Puffer“ bei den Anpassungen vorsehen.

Ein Beispiel hierfür ist der DAX. Seine Regeln für eine unmittelbare Indexanpassung, Fast-Entry oder Fast-Exit, sowie die reguläre jährliche Überprüfung der Index- zusammensetzung sehen eine Indexanpassung lediglich dann vor, wenn sich die Reihenfolge der Unternehmen bei Freefloat-Marktkapitalisierung und Börsenumsatz erheblich verändert. Beispielsweise wird ein Unternehmen nur unmittelbar in den Index aufgenommen, sofern es in beiden Kriterien mindestens fünf der 30 DAX-Titel hinter sich lässt.

Zwischen 2000 und 2011 haben es nur zwei Unternehmen geschafft, nach einem Ausschluss wieder in den Auswahlindex aufgenommen zu werden. Wenn die Index- zusammensetzung dagegen wie etwa im Fall General Motors zu spät an starke Veränderungen im Wert angepasst wird, kann der Index den Markt nicht mehr repräsentativ widerspiegeln. Die Folge: Investoren drohen Performanceabweichungen, wenn sie sich eng an der Benchmark orientieren.


Sonderfall Nachhaltigkeitsindizes
Eine nahezu ausschließlich an quantitativen Kriterien orientierte Portfoliozusammen- stellung, wie sie sich bei Blue-Chip-Indizes effektiv umsetzen lässt, fällt dagegen bei Investmentthemen – wie etwa Nachhaltigkeitsinvestments – schwer, auch wenn sich die Konzepte hier in den vergangenen Jahren erheblich weiterentwickelt haben. So steht heute eine breite Datenbasis zur Verfügung, mit der sich die einzelnen ökologischen und sozialen Kriterien oder Gesichtspunkte der Corporate Governance auswerten lassen. Für die STOXX Global ESG Leaders Indizes werden beispielsweise auf Basis der von Sustainalytics unabhängig erhobenen Daten rund 130 Key Performance Indicators (KPIs) ausgewertet, welche die DVFA, der Berufsverband der Investment Professionals in Deutschland, und die European Federation of Financial Analysts Societies (EFFAS), aufgestellt haben. Die STOXX Global ESG Leaders Indizes gewichten zudem die einzelnen Unternehmen – anders als die meisten anderen Nachhaltigkeitsindizes – nicht entsprechend ihrer Marktkapitalisierung sondern anhand ihrer Performance in den einzelnen Kriterien.

Dennoch steht ein starkes Indexkomitee zur Entscheidung von Grenzfällen zur Verfügung. Die über den Markt hinaus erweiterte Perspektive macht die Notwendigkeit von Portfolioanpassungen wahrscheinlicher, die sich nicht automatisch über das Regelwerk abdecken lassen. So lassen sich Umweltkatastrophen aber auch Skandale, wie beispielsweise Korruption, Waffenhandel, die Diskriminierung einzelner Mitarbeiter, oder auch erhebliche Verstöße gegen Corporate Governance Richtlinien, kaum rein quantitativ erfassen. Zwar schlagen sich die genannten Beispiele in jedem Fall in den KPIs und damit der Nachhaltigkeitsbewertung des Unternehmens nieder.

Es lässt sich jedoch in der Regel über diese rein quantitative Betrachtung nicht zuverlässig bewerten, ob die Verstöße so schwerwiegend sind, dass das Unternehmen unabhängig von seinem Abschneiden in allen anderen KPIs vom Index auszuschließen ist. So galt BP beispielsweise lange Zeit als ein nach Nachhaltigkeitskriterien führendes Unternehmen seiner Branche. Dies hat sich jedoch mit der Katastrophe im Golf von Mexiko im Frühjahr 2010 schlagartig verändert, worauf Nachhaltigkeitsindizes – unabhängig von der bisherigen Bewertung – unmittelbar zu reagieren haben.

Intelligente, strikt regelbasierte Indexkonzepte erweisen sich gerade für die meisten entwickelten Aktienmärkten als vorteilhaft. Sie verhindern diskretionäre Entschei- dungen, die sich nachteilig auf Transparenz und Performance auswirken und das Portfoliomanagement erschweren können. Bei ihnen kann sich das Indexkomitee darauf konzentrieren, das Regelwerk beständig zu verfeinern. Um ausgewählte Investment- themen abzubilden, lässt sich dagegen kaum auf die Zusammenarbeit mit einem aktiven Indexkomitee aus Experten für das jeweilige Thema verzichten.


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*) Konrad Sippel, Global Head of Product Development bei STOXX Limited.