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Gastbeitrag: Umsetzung von Solvency II im Asset Management von Versicherungen

Ab dem 1.1.2013 müssen alle Versicherungsunternehmen in der Europäischen Union (EU) nach dem Omnibus-II-Richtlinienentwurf der EU-Kommission vom 19.1.2011 die an Basel II für Banken angelehnten Bestimmungen von Solvency II der European Insurance and Occupational Pensions Authority (EIOPA) auf nationaler Ebene umsetzen. Hierfür steht ihnen eine Über-gangsfrist von bis zu zehn Jahren zur Verfügung. Als Pendant zur europäischen Richtlinie führte die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) bereits am 1.1.2006 den Swiss-Solvency-Test (SST) in der Schweizer Versicherungswirtschaft ein, der seit dem 1.1.2011, mit einer Übergangsfrist von zwei Jahren, verbindlich gilt.

Peter Klein

Ziel beider Richtlinien ist es, mit einer übergreifenden risikobasierten Versicherungsaufsicht die Investitionen der Versicherungsnehmer vor Insolvenzen zu schützen. Mit Solvency II messen die Versicherungsunternehmen die Risiken, die sie mit den Policen auf der Passiv- und den Kapitalanlagen auf der Aktivseite eingehen. Es wird nach einem 3-Säulen-Modell verfahren: Säule 1 bestimmt die Höhe der Eigenkapitalunterlegung (Minimum- und Zielsolvenzkapital) im Verhältnis zu den anrechnungsfähigen Eigenmitteln (vorhandenes Solvenzkapital), Säule 2 bezieht sich auf die Prozesse von Risiko-Management und Compliance und Säule 3 umfasst das Berichtswesen im Einklang mit anderen gesetzlichen Berichtspflichten wie die Bilanzierung nach IFRS. Dabei kann zwischen der Anwendung einer Standardformel − die weniger aufwändig, jedoch kapitalerhöhend ist − oder der Erstellung eines auf die jeweilige Geschäftsstruktur zugeschnittenen internen Modells − das aufwändig, aber kapitalschonend ist − gewählt werden.

Damit Unternehmen die komplexen Anforderungen von Solvency II bewältigen können, bedarf es einer effizienten und flexiblen IT-Infrastruktur. Diese muss in der Lage sein, alle notwendigen Funktionen zu integrieren, um die Kapitalanlagen von Versicherungen zu steuern und mit der Darstellung der Vermögenswerte im Investment Management zu der von Solvency II verlangten ganzheitlichen Risikomessung beizutragen.

Erfahrungen mit dem SST
In der Schweiz hat sich herausgestellt, dass die Vorgabe der FINMA, nach der der zusätzliche Aufwand für die Versicherer bei der Durchführung des Solvenztests verhältnismässig bleiben soll, in der Praxis nicht umzusetzen ist. Zentraler Streitpunkt hierbei ist das standardisierte SST-Modell, das weder bei den großen noch bei den mittelständischen und kleinen Anbietern auf die Risikovorgaben eingeht und insbesondere das Lebengeschäft, das deutlich mehr Kapital bindet als andere Bereiche, vernachlässigt. Daraus resultiert ein zeitlich und finanziell hoher Aufwand für den Einsatz interner, von der Aufsicht einzeln zu bewilligender Risikomodelle.

Ferner stehen die risikofreie Zinskurve zur Bewertung der Versicherungspassiva und das Bewertungsmodell für Aktien- und Immobilienanlagen zur Debatte. Einerseits basiert der Diskontierungssatz auf Bundesobligationen, die für die abzusichernden Risiken nicht den Zeithorizont von Versicherungen widerspiegeln, andererseits werden Immobilien wie die Aktien zu Risikoanlagen deklariert. Neben Kapitalerhöhungen und der Umschichtung in risikoärmere Anlageklassen, die offenkundig weniger Ertrag erwirtschaften, ist es Gruppengesellschaften begrenzt erlaubt, Garantien zur Minimierung der Risiken zu hinterlegen. Dadurch erzielen Schweizer Tochterunternehmen von ausländischen Versicherungsgesellschaften jedoch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den inländischen Versicherungen, da sie von den auswärtigen Mutterkonzernen günstige Garantien beziehen und somit wesentlich weniger Eigenkapital unterlegen müssen. Die eidgenössischen Versicherer betonen, dass beide Richtlinien stark voneinander abweichen und Solvency II im Vergleich zum SST weniger streng ausgelegt ist.

Aktueller Diskussionsstand zu Solvency II
Obwohl die Schweiz mit dem SST eine Vorreiterrolle in Europa einnimmt, scheinen die hier gemachten Erfahrungen die Umsetzung von Solvency II in der EU nur unerheblich zu beeinflussen. Dabei ähneln die bisherigen Stellungnahmen zu Solvency II der Kritik am SST. Grundsätzlich sind die Anforderungen zu detailliert und die Bewertungsregeln zu komplex. Kleinere Lebens- und Krankenversicherungen werden benachteiligt, insbesondere dann, wenn es sich bei der Rechtsform um Versicherungsvereine handelt, die nur bedingt über die Kapitalmärkte frische Mittel aufnehmen können.

Nach Solvency II liegen der Zinsstrukturkurve keine Anleihen, sondern liquide Swap Rates zu Grunde. Der abdiskontierte Wert der Versicherungsverbindlichkeiten reagiert jedoch selbst auf kleine Änderungen empfindlich. Folglich entscheidet der zufällige Kurvenverlauf zum Jahresende darüber, ob bei hohen Zinsen die zu erzielende Eigenkapitalquote sinkt bzw. bei niedrigen Zinsen die zu erreichende Eigenkapitalquote steigt. Darüber hinaus steht weiterhin der geplante Stressfaktor in Höhe von 25 % für Immobilienanlagen, der auf Annahmen des britischen Immobilienmarkts beruht, zur Diskussion, da die Wertschwankungen in Grossbritannien für alle anderen Märkte der EU nicht repräsentativ sind. Auch wenn die Höhe des festgelegten Stressfaktors durch die international diversifizierten Immobilienportfolios der Versicherer erklärt wird, widersprechen die Marktteilnehmer in Deutschland dieser Ansicht, da mehrheitlich in nationale Immobilien investiert wird.  Deshalb wird ein Stressfaktor von 15 % für angemessen gehalten. Unabhängig davon wird die Zuordnung von Immobilienfonds dem Aktienrisiko als wenig sinnvoll erachtet.

Abbildung der Kapitalanlagen
Zu befürchten ist, dass sich die andauernde Diskussion um Solvency II unmittelbar auf die Gesetzgebung auswirken wird, die dann zeitnah in der IT-Infrakstruktur eines Unternehmens umzusetzen ist. Hier steht zunächst die Erfassung sämtlicher Investments im Vordergrund. Klassische und exotische Finanzinstrumente sind nach einem einheitlichen Konzept und unter Einbindung verschiedener Datenlieferanten sowie die nachfolgenden Transaktionen als frei zu parametrisierende Geschäftsarten anzulegen. In Verbindung mit einer automatisierten und workflow-gesteuerten Verarbeitung von Front-to-Back kann der gesamte Geschäftsprozess dann kunden-spezifisch aufgesetzt werden.

Die Modellierung von Finanzinstrumenten beinhaltet auch die Anlage von (kündbaren) Schuldscheindarlehen und Vorkäufen, die häufig in den Portfolien deutscher Versicherer auftreten. Vorkäufe sind abhängig von den Vorgaben wahlweise als Rentengeschäft mit langer Valuta oder Termingeschäft abzubilden. Nachrichtliche Positionen wie Alternative Investments, Immobilien und Darlehen, die extern administriert werden, jedoch für das Controlling der Kapitalanlagen zu bewerten und zu verbuchen sind, können auf Einzelpositionsebene eingestellt oder als summierte Positionen in Laufzeitbändern zusammengefasst werden. Bei der Erfassung der Finanzprodukte bieten frei zu definierende Informationsfelder einen grossen Vorteil, da zur Einschätzung des Ausfallrisikos beispielsweise verschiedene Ratings parallel in den Stammdaten geführt werden können. Gleichzeitig können über Business Rules (einheitliche Regelsprache) die unterschiedlichen Ratings harmonisiert bzw. auch ein internes Ranking vorgenommen und das Resultat unter Berücksichtigung der Historie gespeichert werden. Business Rules und flexible Felder sind systemweit einsetzbar und werden u. a. auch zur Definition von Workflows und Kennzahlen sowie von positionstrennenden Merkmalen verwendet.

Da gemäss Solvency II die Bewertung aller Vermögenswerte für die Bestimmung des Eigenkapitals essentiell ist, wird an allen Stellen im System der Zugriff auf sämtliche Daten gewährleistet. Dadurch können die Stammdaten auch bei der Preisbildung für die einzelnen Vermögenswerte wie z. B. die theoretische Bewertung zinstragender Titel mittels Zins- bzw. Spread-Kurven herangezogen werden.

Bemessung der Risiken
Das Prudent-Person-Prinzip bedingt eine angemessene Abstimmung der Kapitalanlagen und Verbindlichkeiten sowie eine diversifizierte Anlage der Vermögensgegenstände im Interesse der Versicherungsnehmer. Die Zuordnung der einzelnen Positionen entsprechend dem Market- und Default-Risikomodul für das Zielsolvenzkapital nach dem Standardansatz der Quantitative Impact Study (QIS) 5 kann auf dem bestehenden Datenstamm oder auch auf Kennzahlenbändern aufbauen.

Zur Optimierung der Kapitalanlagen sowie zur Absicherung von Marktrisiken werden weitere Kennzahlen wie z. B. „Ökonomisches Exposure“ oder „Systematische Risiken“ aus selektierten Positionen gewichtet und die zum Erreichen der Zielvorgaben notwendige Anzahl von derivativen Kontrakten berechnet. Die Optimierungsmodelle lassen sich wiederum über Business Rules parametrisieren. Gleiches gilt für die Compliance-Regeln, mit denen die Einhaltung gesetzlicher, vertraglicher und interner Limitvorgaben ex-ante und ex-post geprüft wird, um die in Solvency II genannten Konzentrationsrisiken zu vermeiden. In diesem Zusammenhang sind auch Ausfallrisiken nicht zu vernachlässigen, die bei ausserbörslichen Geschäften auftreten, jedoch mit einem wirksamen Collateral Management niedrig gehalten werden können. In der Compliance ist eine Durchsicht bei indirekten Investments vorzunehmen, d. h. Fondszertifikate etc. sind in die fundamentalen Einzelpositionen zu zerlegen, die dem jeweiligen Marktrisiko zuzuweisen sind. Zur Minderung von Marktrisiken sind ferner Marktdatenszenarien und Stresstests (Verschiebung der Zinsstrukturkurve, Marktwertverluste, Fremdwährungsschocks etc.) unter Einbezug von Korrelationen zu simulieren. Auch weiterführende Verfahren wie parametrischer bzw. nicht-parametrischer Value at Risk stehen in einem integrierten System zur Verfügung und sind mittels Back Testing auf ihre Eignung prüfbar, um neben dem Standardansatz auch interne Risikomodelle darstellen zu können.

Bilanzierung und Reporting
Die von Solvency II geforderte vierteljährliche Berichterstattung an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht setzt einen jeweiligen Quartalsabschluss voraus. Als integraler Bestandteil ist die parallele Buchführung nach nationaler und internationaler Rechnungslegung in einem Investment-Management-System standardisiert. Über Regelwerke und Geschäftsarten können Abrechnungskomponenten generiert und gemäss den geführten Kontenplänen verbucht werden. Zu einer vollständigen Bewertung der kategorisierten Bilanzposten zählen auch die zu jedem Zeitpunkt durchführbare Simulation von Periodenabschlüssen, die Ermittlung eines möglichen Abschreibungsbedarfs und die Generierung von Cash-Flow-Projektionen für die Liquiditätsplanung. Neben quantitativen Angaben zu Solvenzbilanz und Kapital-Management in den Meldeformularen werden im qualitativ orientierten Aufsichtsbericht und im Bericht zur Solvenz- und Finanzlage des Unternehmens dezidierte Angaben zum Risiko-Management verlangt und Performance-Ergebnisse ausgewiesen.

Da in einer Asset-Management-Lösung nicht die Versicherungsverbindlichkeiten abgebildet werden, ist das gesamte Solvency II Reporting auch nicht in der Kapitalanlage zu erstellen. Die Belieferung eines integrierten Data Warehouse oder von Drittsystemen mit Datenpaketen, die den Anforderungen der QIS-5-Risikomodule entsprechen, ist durch eine flexible Reporting Engine bzw. Export-Funktion jederzeit zu gewährleisten. Der Prozess der Datenbereitstellung beinhaltet auch den direkten Zugriff auf Transaktionen und bewertete Positionen. Zeitintensive Periodenberechnungen sind hier durch den Einsatz von Cache-Technologie zu vermeiden, die dadurch charakterisiert ist, dass in einem ersten Lauf der gesamte Datenbestand, der die Grundlage für z. B. eine Bewertung bildet, von der Datenbank geladen wird und in den folgenden Läufen nur noch Datenänderungen berücksichtigt werden.

Fazit:
Die anstehenden Umstellungen nach Solvency II bei Versicherungen können durch Software-Anbieter erleichtert werden, sofern der enge Kontakt zu den Aufsichtsbehörden, Verbänden und den betroffenen Versicherungen bzw. Pensionskassen gepflegt wird und gesetzliche Direktiven ständig analysiert werden. Auf die regulatorischen Änderungen der EIOPA kann jedoch nur dann schnell reagiert werden, wenn die strukturellen Bausteine der Software-Systeme eine entsprechende Parametrisierung ermöglichen und somit auf Neuentwicklungen weitgehend verzichtet werden kann.


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*) Peter Klein ist Mitglied der Geschäftsleitung der Profidata AG (www.profidatagroup.com) mit Sitz in Urdorf, Schweiz.