Foundation | Welcome

Menu


Investmentstile: Growth und Value, 4. und letzter Teil

Im vierten und letzten Teil der Serie erläutert Mark Robertson, unabhängiger Finanzjournalist und Finanzanalyst bei Vontobel Asset Management, Inc., New York von 1991–2000, warum die Trennlinie zwischen Growth und Value keinesfalls eindeutig ist.

Bei der Wertermittlung des künftigen Wachstums eines Anlagekandidaten ist daher die erste Frage, ob das Unternehmen über einen Wettbewerbsvorteil verfügt. Die zweite Frage lautet, ist der Vorteil nachhaltig? Manchmal ist die Antwort zu dieser Frage offensichtlich: Bei einem Pharmaunternehmen, das vor dem Patentablauf bei einem Blockbuster-Produkt steht und dessen Produkt-Pipeline keine patentgeschützten potenziellen Blockbuster enthält, ist die Antwort ein klares Nein. Bei der Ermittlung des Werts der Ertragskraft eines solchen Unternehmens muss der Investor, sobald der Wettbewerbsvorteil wegfällt, den Rückgang in der Kapitalrendite berücksichtigen. Man betrachte die Aktienkursentwicklung von Merck und Pfizer, die beide drastisch abstürzten, als die Sicherheit ihrer patentgeschützten und damit enorm profitablen Cox-2-Inhibitoren in Frage gestellt wurde. Der Rückgang im Wert der Aktien stellt zu einem großen Teil den Wert des Wettbewerbsvorteils dar, der mit diesen Präparaten verbunden wird. Dem gegenüber steht die Nachhaltigkeit des Wettbewerbsvorteils eines bestimmten Softwareherstellers – Microsoft. Das Quasi-Monopol ist seit geraumer Zeit im Visier von Kartellbehörden auf der ganzen Welt, und Wettbewerber zielen ständig auf die von Microsoft dominierten Märkte. Viele zufriedene Nutzer der Software des Unternehmens sind aber vermutlich in Unkenntnis über Konkurrenzprodukte und wären nicht geneigt, die Zeit und den Aufwand zu opfern, die für die Umstellung auf neue Softwareplattformen erforderlich wären. Der Vorteil von Microsoft erscheint mithin ziemlich beständig.

Die Begriffe «Marke» und «Franchise» werden mitunter bei der Diskussion über ein Unternehmen verwechselt. Es mögen erhebliche Investitionen in Marketing und Werbung erforderlich sein, aber der Wettbewerbsvorteil im Zusammenhang mit einem starken Markennamen kann durch kapitalkräftige Konkurrenten untergraben werden. Dies geschah im Fall von Daimler und ebenso bei einer Unzahl von Einzelhändlern im Luxusgüterbereich. Manchmal löst sich der Wert einer Marke einfach auf: In den 60er- und 70er-Jahren erzielten Levi’s Jeans Premiumpreise, die jeden anderen Jeanshersteller neidisch machten. Steigender Wettbewerb, demografische Veränderungen und die Gesetze der Mode im Zielmarkt sorgten für eine deutliche Erosion der Markenkraft von Levi’s. Eine starke Marke verschafft einen erheblichen Vorteil, ist aber in keiner Weise unangreifbar. Eine Franchise hingegen stellt einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil dar. Buffett, von dem wir glauben, dass er einiges von dem Thema versteht, äußert sich dazu wie folgt: Eine wirtschaftliche Franchise entstehe aus Produkten oder Dienstleistungen, die (1) gebraucht werden oder gefragt sind, für die es (2) in der Kundenwahrnehmung keine echte Alternative gibt und die (3) keiner Preisreglementierung unterliegen. Ein Anleger, der in eine Franchise investiert hat, kann erhebliches Vertrauen haben, dass der innere Wert des Unternehmens größer ist und größer bleiben wird als der Wiederbeschaffungswert sowohl des materiellen als auch des immateriellen Vermögens des Unternehmens.

Ein Wettbewerbsvorteil kann wie im Fall einer Franchise dauerhaft sein, oder vorübergehend, wie im Fall eines Medikamentenherstellers, dessen Patent ausläuft, oder eines Spielzeugherstellers, der auf der Woge des diesjährigen Verkaufsschlagers reitet. Bei der Ermittlung der künftigen Unternehmensgewinne muss der Investor wissen, welcher Fall zutrifft. Darüber hinaus muss sich der Anleger ein Bild davon machen, ob das Unternehmen in dem Teil des Geschäfts, in dem es einen Wettbewerbsvorteil genießt, über Expansionschancen verfügt. Aus Gründen der Vereinfachung soll in diesem Abschnitt davon ausgegangen werden, dass der Vorteil dauerhaft ist; uns interessiert an dieser Stelle das Wachstum innerhalb der Franchise. Der Wachstumsgedanke innerhalb der Franchise lässt sich am besten anhand eines Beispiels darstellen. Anbieter von Kabel-TV, die bestimmte Elemente einer Franchise aufweisen, glänzten in den 70er- und 80er-Jahren mit einem spektakulären Wachstum, da sie die Penetrationsrate bei den Haushaltsanschlüssen steigerten. Um den Betreibern Anreize für ihren Service zu bieten, gewährten ihnen die Regulierungsstellen großzügige Renditen auf das eingesetzte Kapital. Während die Regulierer mit strengem Auge über die Grundtarife wachten, hatten die Betreiber Gelegenheit, diese Renditen durch das Angebot von Premium-Diensten auszuweiten. Folglich war es für die Betreiber lukrativ, zusätzliches Kapital in ihre Unternehmen zu holen, um neue Nutzer zu gewinnen. Dieses neue Kapital stammte aus Krediten, der Ausgabe neuer Aktien und thesaurierten Gewinnen, die reinvestiert wurden. Diese Ausweitung der Kapitalbasis ist ein klassisches Beispiel für Investitionen in profitables Wachstum innerhalb einer Franchise. Durch Hochrechnung der Steigerungsrate bei der Haushaltsdurchdringung und der Kapitalrendite können Investoren eine Approximation des inneren Werts des Betreibers ermitteln, der nicht nur die attraktiven Renditen berücksichtigt, die auf dem Wettbewerbsvorteil beruhen, sondern auch das Wachstum im Rahmen der Kapitalzuführung, das ebenfalls eine über den Kapitalkosten liegende Rendite verspricht.

Mit der Erweiterung der Franchise schufen die Kabelbetreiber ein Geschäft, das hohe und relativ stabile Cashflowströme produzierte. Als sich die Penetrationsrate bei den Haushalten ihrem Sättigungsgrad näherte, stießen die Betreiber bei der Expansion ihrer Franchise allerdings an Grenzen. Vor der Wahl stehend, Cash an die Aktionäre zurückzugeben, entweder in der Form von Aktienrückkäufen oder höheren Dividenden, oder Kapital außerhalb der Schutzmauer der Franchise einzusetzen, entschieden sich viele Betreiber für Letzteres. Sie investierten in Sportteams, Programmproduzenten, Internet Start-ups und andere nicht monopolartige Unternehmungen, deren Wirtschaftlichkeit nicht annähernd so attraktiv war wie ihr Grundgeschäft. Zweifellos befriedigten diese Investitionen außerhalb der Franchise oftmals das Ego der verantwortlichen Manager der Kabelgesellschaften, da sie die Nähe zu Sportstars und Filmschauspielerinnen genossen; den Investoren aber brachten sie wenig. Investoren befassen sich bei der Entscheidung, ob sie eine Aktie kaufen oder nicht kaufen sollen, mit der Frage der Kapitalallokation. Wir tun dies, indem wir analysieren, ob ein Kaufkandidat Aussicht auf Kapitalsicherheit und eine angemessene Rendite bietet – d.h. eine Rendite oberhalb unserer Kapitalkosten. Die gleiche Frage stellt sich den Managern der Unternehmen, in die wir investieren, wenn sie über den Kapitaleinsatz in neue Projekte zu entscheiden haben. Ein guter Manager wird Kapital nur in solche Bereiche lenken, in denen das Unternehmen über einen Wettbewerbsvorteil verfügt, da die Gesellschaft nur in diesen Bereichen attraktive Renditen erwirtschaften kann. Findet das Management keine attraktiven Investitionsmöglichkeiten innerhalb der Franchise, sollte der Teil der erwirtschafteten Mittel, der nicht für die Aufrechterhaltung des bestehenden Geschäfts benötigt wird, an die Aktionäre zurück fließen. Zu Beginn dieser Betrachtung stellten wir die Frage: Wird der Unterschied zwischen dem Growth- und dem Value-Anlagestil übertrieben und missverstanden? Unsere Antwort lautet: Es gibt keinen wirklichen Unterschied zwischen growth- und valueorientierten Investments, während zwischen Spekulation und Kapitalanlage ein gewaltiger Unterschied besteht. Diese Erkenntnis gilt nicht nur für den Privatinvestor, der sein eigenes Geld verwaltet, sondern auch für professionelle Anleger wie uns bei Vontobel Asset Management, Inc., New York, die im Auftrag anderer investieren.

Genauso trifft sie auf Unternehmensmanager zu, die entweder solide investieren, indem sie im Rahmen ihrer Franchise bleiben, oder spekulieren, indem sie Unternehmensgelder in Aktivitäten stecken, in denen die Gesellschaft über keinen Wettbewerbsvorteil verfügt. Investments sollten nicht danach definiert werden, wohin sie fließsen, sei es in Aktivitäten mit geringem oder ohne Wachstum (d.h. Value) oder in Aktivitäten mit hohem Wachstum (Growth). Unter Kapitalanlage versteht man den Kauf von Vermögenswerten auf Basis der Erkenntnis, dass zwischen dem inneren Wert dieser Vermögenswerte und dem Preis, zu dem sie am Markt gehandelt werden, eine ausreichende Sicherheitsmarge besteht.