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Kommentar: Ursachen der weltwirtschaftlichen Instabilität

Imbalances. Ungleichgewichte. Die basalen Krisentreiber unserer Zeit. Wer in der Analyse von Bankenkrise, Staatsschuldenkrise, und Wirtschaftskrise nur noch überfordert „Krise“ versteht und den Überblick verliert, findet in den makro-ökonomischen Ungleichgewichten den narrativen Überbau der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Instabilität. Lesenswert herausgearbeitet in Charles Dumas´ Buch „The American Phoenix“ (2011). Dumas ist Chairman von Lombard Street Research, einem der weltweit führenden Häuser für makro-ökonomische Prognosen.

Markus Schuller

Derzeit wird in der medialen Reizüberflutung via CNBC, Bloomberg, FT, etc. das Thema „Eurokrise“ groß geschrieben. Doch sollte die Suche nach einer Lösung nicht bei Budgetdefiziten und Staatsschulden einer Wirtschaftsregion begonnen werden. Denn die Problematik der Imbalances wird damit nicht gelöst.

Was versteht man unter Imbalances?
Interessanterweise schenkte die ECB bereits im Januar 2008 eben jenen ihre Aufmerksamkeit  und publizierte mit „A Framework For Assessing Global Imbalances“ einen Definitionsversuch. Laut ECB sind Ungleichgewichte: „External positions of systemically important economies that reflect distortions or entail risks for the global economy.“ Bis 2003 verstanden Wissenschaft und Politik darunter primär die Leistungsbilanz, also die Aggregation von drei Subbilanzen: Handelsbilanz, Dienstleistungsbilanz und die Vermögensbilanz  -  die Letztgenannte als Überbegriff für die Erwerbs- und Vermögenseinkommen plus laufende Übertragungen.

Die Abb. 1 im Anhang entnommen aus der ECB Publikation – zeigt eindrucksvoll das sich dynamisch ausweitende Ungleichgewicht in der globalen Leistungsbilanz seit Anfang der 90er Jahre.

2005 ergänzte man den Fokus auf Imbalances innerhalb einer Volkswirtschaft, zum Beispiel zwischen Spar- und Investitionsquote. 2006 begannen Ökonomen finanzmarktbezogene Ungleichgewichte zu untersuchen (Caballero, R.J., 2006 oder Mendoza, E., 2007), wie zum Beispiel Angebot/Nachfrage nach bestimmten Finanz-produkten zu Treibern von Imbalances werden können. Erst seit Kurzem werden im akademischen Diskurs weltwirtschaftliche Imbalances auch mit lokalen Inequalities in der Vermögensverteilung in Zusammenhang gebracht. Für PSC Leser ist die ökonomische Relevanz der wachsenden Inequality, also der sich dynamisch ausweitenden Arm-Reich Schere, nichts Neues - siehe PSCs hier und hier.

Auf Basis der gezeigten akademischen Vorarbeit setzten die G20 relativ rasch nach Krisenausbruch im Herbst 2008 das Thema „Imbalances“ auf die Tagesordnung der G20 Summits. Am G20 Treffen in Pittsburgh im September 2009 konnte eine erste Einigung zum Abbau der Ungleichgewichte zwischen den Staats- und Regierungschefs erzielt werden. Unter dem Titel „A Framework For A Strong, Sustainable, and Balanced Growth“ wurden die Finanzminister, Notenbanken und der IMF beauftragt ein Risk Assessment Framework namens „Mutual Assessment Process“ (MAP) zu erarbeiten, um auf dessen Basis Strategien zum Abbau zu entwickeln.

Ein hochsensibler politischer Prozess. Denn will sich China wirklich von den restlichen G20 Mitgliedern vorschreiben lassen, wie es seinen Konvergenzprozess zu strukturieren hat, damit die Währung nicht weiter chronisch unterbewertet ist. Man darf die G20 Initiative unter „Problem erkannt, Lösung vertagt“ verbuchen. Weshalb? Well, die vorhin skizzierte akademische Vorarbeit zeigt klar, wie ein Framework auszusehen hat. Beim MAP handelte es sich daher lediglich um einen politischen Prozess zur Konsensbildung. Die Finanzminister, Notenbanker und IMF Reps machten sich also daran, ein Framework zu entwickeln. Im Februar 2011 (Treffen der G20 Finanzminister in Paris) konnte eine Einigung  bei den Key Indicators erzielt werden. Zur allgemeinen Überraschung (Achtung Ironie!) einigte man sich auf:
*public debt
*fiscal deficits
*private saving rate
*private debt
*external balance composed of the trade balance and net investment income flows and transfers

Erst im April 2011(!), ganze 2,5 Jahre nach Krisenausbruch, meldete der IMF Vollzug bei der Ausgestaltung des Analyseprozesses, also dem Einsatz der Key Indicators in einem Risk Assessment Framework. Aus der IMF Pressemitteilung vom 16.04.2011:
*G-20 agrees guidelines to measure possibly destabilizing global imbalances
*Aim to reduce risks of crisis in global economy
*Enhanced IMF role in assessing countries’ performance against guidelines

Am G20 Summit in Cannes (November 2011) bestärkten sich die Repräsentanten neuerlich in ihrer Absicht, mittelfristig am Abbau der Imbalances arbeiten zu wollen.

Nun ist das Aufgreifen der Ungleichgewichte auf G20 Ebene ein guter Schritt. Auch ist der Prozess hin zu einem Analyseframework zu befürworten, wenn auch politisch mühsam umzusetzen. Man sollte aber eines nicht aus den Augen lassen: die Umsetzung hat eben erst begonnen. Sollten Marktteilnehmer davon ausgehen, dass die Krise mit ihren vielen Gesichtern bereits überwunden ist, respektive bereits überwunden war und wir uns nun neuerlich in eine bewegen, sitzen sie einem Irrglauben auf.  Wir befinden uns noch für einige Zeit in der „alten Krise“.

Die ausgedehnte Einleitung des heutigen PSC ist darin begründet, dass uns die Imbalances für zwei weitere Ausgaben begleiten werden. Die Relevanz des Themas spricht für eine eingehendere Betrachtung.

Schulden
Heute beginnen wir mit einem Element der Ungleichgewichte, nämlich jenem der Verschuldung. Die „Staatsschuldenkrise“ ist nur ein Aspekt Verschuldungsproblematik der Industrienationen.

Ein Exkurs zur Eigenverantwortung: Es ist schon erstaunlich, wer alles als Sündenbock für die Entscheidungen der eigenen Regierungen herangezogen wird. Die EU ist in ihren demokratischen Prinzipien robust genug, dass der Souverän, also der Bürger, in die Pflicht genommen werden kann. Idealistisch? Keineswegs. Die nationalen Verfassungen sind eindeutig. Wenn sich Bürger nicht auf ihre eigene Machtposition gegenüber bestimmten Gesellschaftsgruppen (z.B. Finanzmarktakteure) berufen wollen, ist dies auch eine Entscheidung. Eine schlechte zwar, aber eine Entscheidung.

Die Bürger tragen die Letztverantwortung in unseren Gesellschaftssystemen und stehen dementsprechend auch mit ihrem Vermögen – sei es in Form von  Haushalts- oder Staatsvermögen - für Entscheidungen ihrer Repräsentanten (Politiker) ein.

Wer sich also Regierungen wählt, die Trägheit in Strukturreformen und Klienentenpolitik auf Kosten der finanziellen Substanz betreiben, darf sich über die präsentierten Rechnungen nicht beschweren.

Nun sei jedem einzelnen Bürger das Ventil gegönnt, in Hedgefonds, Rating Agenturen und Bankern die Ursache des Unheils zu finden, anstatt sich die eigene Unzulänglichkeit im Einfordern einer professionelleren Repräsentation einzugestehen. Don´t get me wrong,
(a) Hedge Fonds sind zu regulieren (wird z.B. mit der AIFMD umgesetzt), 
(b) Rating Agenturen müssen für ihre Ratings haftbar gemacht und ihre regulatorisch manifestierte Vormachtstellung gebrochen werden (bleibt abzuwarten, wie stark die ESMA darauf einwirken kann) und
(c) Banken gehören entsprechend reguliert um nicht länger Hedge Fonds mit angehängtem Kundengeschäft zu sein.

Basel III greift zu kurz. Der Vickers Report in UK zeigt den Weg. Trugen die drei genannten Marktteilnehmer zur Krisenverschärfung bei? Ja. Sind sie für den basalen Schuldentrend verantwortlich? Nein. Etwas gesellschaftliche Selbstreflextion stünde gut.

Wie verläuft die Schuldenkrise?
McKinsey publizierte am Freitag eine interessante  Studie mit dem Titel „Debt and deleveraging: Uneven progress on the path to growth“. Darin werden die Schuldenstände der Industrieländer einander gegenübergestellt. Dabei wurden nicht nur die Staatsschulden, sondern auch jene der Haushalte und Unternehmen berücksichtigt.

Abb. 2 verdeutlicht wie hoch die tatsächlichen Schuldenstände der entwickelten Volkswirtschaften sind. Kein einziges Land liegt unter der Marke von 250% des BIPs.

Weiterhin ist anzumerken, dass trotz aller bisherigen Anstrengungen des Deleveragings von Seiten der Haushalte und Regierungen, lediglich eine Plateaubildung stattfand – einzig die USA und Südkorea konnten ihr gesamtwirtschaftliches Gearing seit Herbst 2008 leicht absenken.
Japan und UK rittern sich um die Krone des Schuldenkönigs mit jeweils ca 500%/BIP an Gesamtschulden.

In Abb. 3 in der Anlage werden nun die Gesamtschuldenstände als % des BIPs von Q2/2011 aufgeschlüsselt und in die Schuldnergruppen Haushalte, Unternehmen, Finanz-institutionen und Regierungen eingeteilt. Betont kritisch ist die Lage in Irland (663%), obwohl zuletzt aus den Hauptnachrichten verschwunden.

Zwischenfazit…
Im heutigen PSC wurden die Imbalances als basale Krisentreiber erläutert. Gefolgt von einer Einführung in das Thema „Schuldenkrise“. Bei eben jenem sind reine %-Verweise im Vergleich zum BIP nicht  zwingend aussagekräftig, solange sie den jeweiligen Vermögenswerten nicht gegenübergestellt sind.  
Eben damit fahren wir im nächsten PSC fort. Auch sehen wir uns an, ab welchen Schuldenständen diese als Wachstumsbremsen wirken.


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*) Markus Schuller (mhschuller(at)panthera.mc) ist Managing Director bei Panthera Solutions, einer Alternative Investment Consultancy im Fürstentum Monaco. Panthera ist spezialisiert auf Strategic Asset Allocation Consulting für Institutionelle Investoren. Der robuste Strategieansatz ergibt sich durch das Abbilden stabiler Megatrends im Multi-Asset Format auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Trend & Allokationsforschung (www.panthera.mc).