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Kommentar: Warren Buffett hat recht – Verteilungsgerechtigkeit Teil II

Kurzes Durchatmen ist angesagt. In der Vorwoche zeichneten sich die Konturen einer Lösung für Europa´s Struktur- & Solvenzkrise ab. Viel wichtiger als die Absegnung der EFSF-Erweiterung durch die Parlamente in Deutschland, Österreich und Estland war die Zustimmung des Europäischen Parlaments zur Reform des Stabilitätspakts.

Markus Schuller

Man kann durchaus kritisieren, dass das verabschiedete Reformpaket sich stark auf Mechanismen zur nationalen Haushaltskonsolidierung konzentriert und die Entwicklung einer koordinierten Wachstumsperspektive kaum aufgreift – lediglich via indirekter Steuerung makroökonomischer Ungleichgewichte. Doch kennzeichnen die verabschiedeten Maßnahmen einen relevanten Schritt vorwärts in der Ausstattung des Maastricht-Vertrages mit semi-automatischen Sanktionsmechanismen.

Sie reduzieren das Risiko, bei künftigen Planungen einer koordinierten Wachstumsperspektive einen Flop a la „Lissabon Strategie“ (<link http: de.wikipedia.org wiki lissabon-strategie>März 2000 | Ziel war, die EU innerhalb von zehn Jahren, also bis 2010, zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt zu machen) zu landen. Auch kann als positiv bewertet werden, wie Barroso am Mittwoch seine <link http: ec.europa.eu commission_2010-2014 president index_en.htm>2. State of the Union Rede als politisches Signal zur Entwicklung der EU anlegte, war doch seine erste in 2010 noch die eines Bürokraten, der brav die abgehandelten Themen des Vorjahres auflistete. Wie Lösungen zum kurzfristigen Solvenzproblem und zur mittelfristig koordinierten Wachstumsperspektive auf der Basis von EFSF, ECB, EC und EP aussehen kann, zeigen Guy Verhofstadt und George Soros in bemerkenswert guten FT Beiträgen der letzten Woche.

Heute konzentrieren wir uns auf einen im europäischen Diskurs noch unterentwickelten Aspekt der Krisenaufarbeitung: der ungleichen Verteilung von Vermögen. Abgesehen von einer von Parteitaktik geprägten Vermögenssteuer Diskussion in Österreich und temporären Reichensteuern bzw. Geldbeschaffungsmaßnahmen in <link http: www.rockefeller-news.com reichensteuer-wird-immer-beliebter>Portugal, Frankreich, Spanien und Italien, werden die Schlagzeilen noch von Staatsschulden, Ratingagenturen und Bankbilanzen dominiert. Man könnte meinen, die Staats- und Regierungschefs sind ausreichend mit akuten Problemfeldern beschäftigt, sodass Inequality, die ungleiche Verteilung von Vermögen, durchaus akzeptabel im Kontext des fairen Finanzierungsbeitrages zur Krisenbewältigung abgehandelt werden könnte. Leider nein. Verteilungsgerechtigkeit eng zu verbinden mit der Konsolidierung der Staatsfinanzen ist, wie gezeigt, populär, aber deutlich zu kurz gegriffen. Eine Erklärung.

Ende September 2010 verfasste ich einen PSC zum Thema „<link http: panthera.mc home wp-content uploads>Inequality verantwortlich <link http: panthera.mc home wp-content uploads>für die <link http: panthera.mc home wp-content uploads>Krise?“. Damals gewann das Thema in den USA dank der anstehenden Kongresswahlen im November an politischem Momentum. Ich bereinigte die populistischen Töne von der Faktenlage und konkludierte damals wiefolgt:
+ US Inequality Trend ist ungebrochen
+ US Inequality notiert auf historischem Hoch
+ Dynamik des Inequality Trends nahm seit Anfang der 80er Jahre zu
+ US Inequality nimmt Einfluss auf demokratische Prozesse
+ US Inequality korreliert stark mit Mittelschicht-Verlust
+ US Bevölkerung will eine massiv andere Vermögensverteilung


Als letzten Punkt nannte ich:
+ Zusammenhang von Inequality und Finanzkrise klingt verlockend, wurde nun erstmals wissenschaftlich beleuchtet. Positive Korrelation ist festgestellt. Bedarf noch besserer akademischer und politischer Ausleuchtung zur Bestimmung von Treibern und Gegenmaßnahmen.

Diese finale Conclusio lässt mich nun, ein Jahr später, nochmals zum Thema zurückkehren.

Waren die Bücher von Raghu Rajan (2009, Fault Lines), Arianna Huffington (2010, Third World America) und Robert Reich (2010, Aftershock) die großen Aufmerksamkeitserreger für das Thema, traten Richard Wilkinson und Kate Pickett mit ihrem Buch <link http: www.amazon.co.uk spirit-level-societies-almost-always dp>The Spirit Level: Why More Equal Societies Almost Always Do <link http: www.amazon.co.uk spirit-level-societies-almost-always dp>Better (2009) eine Debatte los, wo und wie denn negative  Inequality Auswirkungen auf unsere Gesellschaften zu bemerken sind. Die beiden <link http: www.fr-online.de literatur>zeigten empirisch, dass,

je gleichmäßiger die Verteilung, desto weniger Reichtum ist nötig, um das gleiche Maß an Lebenszeit und Lebensqualität zu erreichen. Dabei geht es wohlgemerkt nicht um "Chancengleichheit", um faire Startbedingungen beim Wettlauf um Einkommen und Status, sondern um Gleichheit im Ergebnis. Lapidar stellen sie fest, Gleichheit könne durch geringe Lohnspreizung wie durch staatliche Umverteilung erreicht werden; der Effekt für den Gesundheitszustand der Bevölkerung sei derselbe.

Es kommt demnach gar nicht so sehr darauf an, ob jemand über einen Fernseher verfügt oder nicht. Wichtig ist, ob die anderen einen haben. In den USA verfügen 80% der nach offizieller Definition Armen über eine Klimaanlage, 75% über ein Auto und 33% über Computer, Zweitwagen oder Geschirrspülmaschine. Dennoch leiden sie häufiger unter Krankheiten als Menschen mit dem gleichen Konsumniveau in anderen Gesellschaften. Wilkinson und Pickett zeigen, dass derselbe Lebensstandard unterschiedliche Folgen hat - je nachdem, wie hoch der Lebensstandard der anderen ist. Der wichtigste Grund dafür ist jener der "sozialen Psychosomatik" . Wilkinson und Pickett folgern, dass Ungleichheit chronischen Stress erzeugt.


Verständlicherweise rief die Publikation 2009 großes Echo hervor. Die <link http: en.wikipedia.org wiki the_spirit_level:_why_more_equal_societies_almost_always_do_better>Wiki-Liste zeigt, wie auch Qualitätsmedien vehement versuchten, deren Erkenntnisse auf ihre Validität zu prüfen. Der große Aufwand wurde zu Recht betrieben, geht es doch um eine fundamentale Weggabelung selbst innerhalb von Systemen mit sozialen Marktwirtschaften. Bisher konnten die beiden stets schlüssig ihre Kritiker entkräften. Selbst nach der Veröffentlichung der deutschen Fassung im Frühjahr 2010 waren markt-liberalere Medien wie die Presse und die FAZ neutral bis aufgeschlossen für die neu gewonnenen Einsichten.

In diesem PSC geht es nicht um die Verteidigung der Erkenntnisse von Wilkinson und Pickett, sondern, wie eingangs erwähnt, um den im europäischen Diskurs noch unterentwickelten Aspekt der Inequality in der Krisenaufarbeitung. Seit meinem ersten PSC zum Thema, gewann die Debatte in den angelsächsischen Ländern an politischer Breite und akademischer Tiefe. Damit wurde deren Empfänglichkeit für simplifizierende, populistische Töne reduziert und auf eine validere, Partei/Ideologie-übergreifendere Basis gestellt. Welche neuen Einsichten können bisher benannt werden?

*Eine wichtige Erkenntnis zeigt uns Schweden: geringere Ungleichheit und volkswirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit sind keine Gegensätze. Im <link http: en.wikipedia.org wiki list_of_countries_by_income_equality>Gini-Index Ranking auf #3 geführt (also die dritt-niedrigste Ungleichverteilung von Vermögen weltweit), rangiert Schweden trotzdem unter den wettbewerbsfähigsten Ökonomien <link http: www3.weforum.org docs wef_gcr_report_2011-12.pdf>(#3 in WEF´s 2011/12 Global Competitiveness Index und <link http: www.imd.org research publications wcy upload scoreboard.pdf>#4 in IMDs 2011 World Competitiveness Scoreboard).
*Der <link http: www.economist.com node>Economist verwies im Januar auf die Bedenken der Teilnehmer des World Economic Forums in Davos, dass Inequality eines der beiden größten weltweiten Risiken bis 2020 darstellt.
*Eine <link http: www.washingtonsblog.com the-economy-cannot-recover-as-long-as-inequality-continues-to-skyrocket-but-government-policy-is-increasing-inequality.html>Reihe namhafter Ökonomen (Shiller, Stiglitz, Reich, Thoma, Moss, …) unterstützt die These, dass große Ungleichheiten in der Vermögensverteilung Finanzkrisen wahrscheinlicher  entwickeln lassen.
*Der <link http: www.imf.org external pubs ft fandd kumhof.htm>IMF stellte im September fest, dass eine starke Korrelation zwischen Inequality und dem Verschuldungsgrad von Volkswirtschaften festzustellen ist.  Je höher die Ungleichheit, desto höher ist die Verschuldung.
*Im <link http: www.imf.org external pubs ft sdn sdn1108.pdf>April stellte der IMF fest, dass Inequality zu „unsustainable growth“ führt, also zu unbeständigeren, kürzeren Wachstumszyklen mit im Schnitt geringerem Potenzialwachstum.
*Kanada´s konservative <link http: www.nationalpost.com news story.html>‘National Post‘ Mitte September:

"High inequality can diminish economic growth if it means that the country is not fully using the skills and capabilities of all its citizens or if it undermines social cohesion, leading to increased social tensions.”


Die neuen Erkenntnisse zusammengefasst, lässt sich folgendes sagen:

Je höher Inequality, desto wahrscheinlicher kommt es zu einer negativen ökonomischen Rückkoppelung.

Wie ist nun damit umzugehen?

Beispiel USA
„<link http: www.nytimes.com opinion stop-coddling-the-super-rich.html>Stop Coddling the Super-Rich“ lautete der Beitrag von Warren Buffett am 14. August in der NYT. Darin erklärte er die Ironie, dass sein versteuerbares Einkommen für 2010 mit einem Steuersatz von 17,4% belastet wurde, jenes seiner deutlich weniger verdienenden Mitarbeiter jedoch im Mittel mit 36%. Er endete mit der Einladung, man möge doch die Superreichen in den USA höher besteuern. Seit Präsident Obama nach der Sommerpause auf Campaign-Mode umschaltete, findet man das Inequality Thema wieder auf seiner Agenda. Vielleicht ermutigte ihn Buffett´s Weckruf. Mitte September stellte Obama die nach „Buffett-Rule“ vor (<link http: dealbreaker.com warren-buffett-was-going-dub-phenomenon-wherein-hot-young-things-are-attracted-to-grandfatherly-types-the-buffett-rule-but-sure-this-works-too>Name von Buffett zur Verfügung gestellt). Demnach sollen Einkommensbezieher von > 1 Mio. USD p.a. zumindest den Durchschnittsteuersatz der Mittelklasse bezahlen. Avisierter Erlös: 1,5 Bio. US-Dollar verteilt auf die nächsten 10 Jahre.  Die Buffett-Rule ist Teil eines <link http: www.whitehouse.gov blog president-obama-washington-has-live-within-its-means>5-Punkte Programms, wie nach den Vorstellungen des Weißen Hauses, der „<link http: www.whitehouse.gov jobsact>American Jobs Act“ (AJA) finanziert, das Budgetdefizit abgebaut und die Gesamtschuldenbelastung bis 2021 verringert werden sollen. Die ablehnenden Reflexe der Republikaner ausgenommen, wird die Buffett Rule von Investoren mit 2/3 Mehrheit unterstützt (Bloomberg Global Poll).

Nebensatz: mit dem AJA greift Obama die z.B. von Krugman seit dem ARRA (2009) vertretene, kürzlich auch von CBO Direktor Elmendorf unterstützte Forderung auf, die niedrigen Refinanzierungssätze doch für ein weiteres Konjunkturpaket mit Beschäftigungschwerpunkt zu verwenden. Heraus kam ein <link http: www.whitehouse.gov blog american-jobs-act-read-all-details>447 Mrd. US-Dollar schweres Programm, dass als Kompensation für die Ende 2011 auslaufenden Unterstützungsmaßnahmen dienen soll. Damit könnte der US Wirtschaft ein signifikanter Rückfall in die Rezession erspart bleiben (eine geordnete EUR-Lösung vorausgesetzt). Es liegt nun am Kongress, ob der AJA in Kraft treten wird. Da die Einzelteile ein Kompendium an von Demokraten und Republikanern unterstützten Forderungen darstellt, ist seine Zustimmung durchaus wahrscheinlich.

Mitte September veröffentlichte das Census Bureau den jährlichen Report: <link http: www.census.gov prod p60-239.pdf>Income<link http: www.census.gov prod p60-239.pdf>, Poverty, and Health Insurance Coverage: 2010 – mit ernüchternden Zahlen. Hier eine <link http: www.ritholtz.com blog first-look-income-poverty-and-health-insurance-coverage-in-the-united-states-2010>Zusammenfassung. In den USA ist das Thema Inequality im politischen Diskurs angekommen, unterstützt von einem wachsenden Flow an akademischer Aufbereitung. Neben ersten Gesetzesvorlagen zum Thema (AJA, Buffett Rule) besteht die Chance, dass auch das Super Committee in seiner Bestimmung des Einsparungspfades auf Inequality-Aspekte Rücksicht nimmt. Alle bisher gedrafteten Maßnahmen würden wohl lediglich zu einer Verringerung der Dynamik in der Scherenbewegung führen. Von einer Lösung der destabilisierenden ökonomischen, wie sozialen Wirkung seiner wachsenden Inequality, ist die USA noch weit entfernt. Und doch ist die Sensibilisierung für das Thema gestiegen, populistische Töne finden dank der wachsenden akademischen Aufarbeitung weniger Gehör. Nennen wir es ein ‘zartes Pflänzchen mit Wachstumspotenzial’.

Quo vadis, Kontinentaleuropa?
Nun könnte man meinen, in Kontinentaleuropa ist der Bedarf zur Einbettung von Inequality-reduzierenden Maßnahmen a) nicht drängend, weil die arm/reich-Schere weniger stark geöffnet wie in UK/USA und b) derzeit ein Unthema, ist doch erst die Eurozone zu retten. Könnte man meinen, indeed.

Eines ist dabei aber zu bedenken: das Europäische Parlament verdeutlichte vergangene Woche, dass ein Teil der Krisenbewältigung im Definieren langfristiger Steuerungsmechanismen liegt. Und genau hier liegt die derzeitige Chance. Wir wissen nun um die negative ökonomische Rückkoppelung von Inequality. Um eine Volkswirtschaft robuster ggü externalen Einflüssen, deren Wachstumszyklen länger und das Potenzialwachstum höher zu gestalten, ist eine Berücksichtigung der Inequality-Erkenntnisse in der derzeitigen Strukturreform-Diskussion der Eurozone von Relevanz.


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*) Markus Schuller (mhschuller(at)panthera.mc) ist Managing Director bei Panthera Solutions, einer Alternative Investment Consultancy im Fürstentum Monaco. Panthera ist spezialisiert auf Strategic Asset Allocation Consulting für Institutionelle Investoren. Der robuste Strategieansatz ergibt sich durch das Abbilden stabiler Megatrends im Multi-Asset Format auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Trend & Allokationsforschung (<link http: www.panthera.mc>www.panthera.mc).