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Spekulation vs. Kapitalanlage, 3. Teil

Im dritten Teil der Serie beschreibt Mark Robertson, unabhängiger Finanzjournalist und Finanzanalyst bei Vontobel Asset Management, Inc., New York von 1991–2000, die Gemeinsamkeiten zwischen Momentumstrategien und der wertorientierten Kapitalanlage.

Einen Aspekt gilt es jedoch hervorzuheben – sowohl Investoren als auch Spekulanten können sich von der gleichen Aktie oder Anleihe oder sonstigem Anlagevehikel angezogen fühlen. Zeitgenössische wertorientierte Anleger halten ebenso wie Anhänger der Momentumstrategie nach Unternehmen Ausschau, deren Ergebnisse wachsen. Wir machen jedoch unsere Hausaufgaben, bevor wir auf den Zug aufspringen. Wir prüfen nicht nur ihre Konsistenz und Nachhaltigkeit, sondern müssen uns auch vergewissern, dass es sich beim Ergebniswachstum um ein wirklich profitables Wachstum handelt. Schließlich kann ein Unternehmen ein hohes Wachstum im Ergebnis je Aktie aufweisen, dabei aber eigentlich Wert vernichten. Dies geschieht, wenn die Kapitalkosten eines Unternehmens die Rendite übersteigen, die es auf den Vermögenszuwachs erzielt. Gleichwohl ist es durchaus denkbar, dass ein wertorientierter Investor ein Unternehmen mit beschleunigtem Ergebniswachstum und einem steigenden Aktienkurs attraktiv findet. Der Value Investor wird allerdings über eine gewisse Vorstellung vom fairen Wert der Aktie verfügen. Sobald die Aktie sich ihrem fairen Wert nähert, wird er seine Anteile verkaufen – vermutlich an „Trendfolger“, die auf den noch immer steigenden Kurs setzen. Ab einem gewissen Punkt wird der disziplinierte Value Investor seinen Bestand vollständig veräußert haben; er ist nicht bereit, eine Aktie zu halten, die vom Markt irrational bewertet wird. Ein weiter steigender Aktienkurs mag ihn dazu veranlassen, seine Analyse daraufhin zu untersuchen, ob er etwas übersehen hat. Ist er jedoch überzeugt davon, dass der Titel nicht mehr unterbewertet ist, wird er mit seiner Verkaufsentscheidung zufrieden sein. Das Risiko, auf das ein wertorientierter Anleger am meisten achtet, ist das Risiko des überteuerten Kaufs (was dem Halten einer überbewerteten Aktie gleichkommt) und der damit verbundenen Gefahr des nachhaltigen Kapitalverlusts. In einem überhitzten Markt überteuerte Aktien zu kaufen, verspricht tatsächlich eine angemessene Rendite, solange der Markt weiter nach oben klettert. Sobald es jedoch zu einer Rückkehr zu einer rationalen Preisfindung kommt, gehen nicht nur diese Renditen, sondern auch ein Teil des ursprünglichen Kapitals des Anlegers verloren.

Hier ein weiteres Beispiel für eine Situation, in der Investoren und Spekulanten den gleichen Titel im Visier haben: Nehmen wir an, unsere Aufmerksamkeit wird auf das Unternehmen Wells Fargo gelenkt. Wir beobachten, dass es mit dem 15fachen des nächstjährigen Gewinns (KGV) bewertet wird und eine Dividende von 3% ausschüttet. Wir analysieren die Vergangenheit des Unternehmens und stellen fest, dass die Gewinne in den vergangenen fünf Jahren mit zweistelligen Zuwachsraten gestiegen sind. Wir durchleuchten die Abschlüsse des Unternehmens und kommen zu dem Schluss, dass die Bank eine solide Kredit- und Rückstellungspolitik betreibt, Pensions- und ähnliche Verpflichtungen in angemessener Höhe berücksichtigt sind und die Bilanzierung von Optionen keine Fragen aufwirft. Wir prüfen die Vergangenheit und kommen zu der Feststellung, dass die bisherige Wertentwicklung das Resultat eines organischen Wachstums sowie erfolgreicher Akquisitionen ist. Wir konstatieren, dass die von der Bank bedienten Märkte auch künftig ein starkes Wachstum ermöglichen und, auf Basis unserer Branchenkenntnisse, es von Zeit zu Zeit weitere Akquisitionskandidaten für einen zusätzlichen Wachstumsschub geben wird. Wir sprechen mit dem Management, um ein besseres Verständnis für die operativen Themen und die Konkurrenzsituation zu erlangen und ein Gefühl für die Leute zu entwickeln, die das Unternehmen leiten. Wir diskutieren über die Perspektiven von Wells Fargo mit unseren Gesprächspartnern auf der Brokerseite, von denen die meisten darin übereinstimmen, dass die Gesellschaft in der Lage ist, in den nächsten fünf Jahren zweistellige Gewinnzuwächse zu erzielen. Unser Dividendendiskontierungsmodell zeigt an, dass die derzeit bei rund 62,50 US-$ notierende Aktie mindestens 20% unterbewertet ist. Wir können den Titel daher kaufen und sind überzeugt, dass sich der Marktpreis im Zeitablauf unserer Schätzung des fairen Werts annähern wird. Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kurs den fairen Wert erreicht, streichen wir Dividenden ein und sind Anteilseigner einer Gesellschaft, die durch profitables Wachstum jeden Tag an Wert gewinnt. Sollten wir uns zu einem Engagement entschließen, würde es sich um eine Kapitalanlage handeln. Ausgestattet mit den gleichen Informationen, die wir für eine Anlageentscheidung herangezogen haben, könnten wir stattdessen auch spekulieren. Für die Aktie von Wells Fargo gibt es Call-Optionen, die knapp „aus dem Geld“ sind und in rund fünf Monaten fällig werden, für weniger als einen US-$ je Aktie. Sollte der Aktienkurs in den nächsten fünf Monaten in Richtung des von uns ermittelten fairen Werts steigen, dürften die Optionen nahezu US-$ für US-$ zulegen und uns mit einem fünf- bis zehnfachen Ertrag unseres ursprünglichen Einsatzes für die Calls bescheren, die uns zum Erwerb der Aktien zu einem Ausübungspreis von 65 US-$ berechtigen. Sollte der Aktienkurs bis zum Auslaufen der Option jedoch nicht über den Ausübungspreis klettern, würden wir 100% unseres ursprünglichen Einsatzes verlieren. Optionen schaffen ein temporäres Risiko, das echte Investoren unseres Erachtens nicht auf sich nehmen würden, Spekulanten aber attraktiv finden, da mit diesem Risiko die Aussicht auf enorme Gewinne verbunden ist. Da die Märkte volatil sind, ist der Einsatz von Optionen nicht gänzlich irrational. Schließlich ist es denkbar, dass im Verlauf der nächsten Monate unterbewertete Aktien sich ihrem fairen Wert annähern. Man könnte es als eine begründete Spekulation bezeichnen. Als Investoren sind wir jedoch nicht bereit, unsere Einschätzung mit einem Verfallsdatum zu versehen. Bei einer Anlage gehen wir immer von einer irrationalen Bewertung einer Aktie aus, geben aber zu, dass wir nicht wissen können, ob sie in drei Monaten oder in drei Jahren rational bewertet wird.

Die Art von Kursvolatilität, die Kapitalmarktakteure zu Optionsgeschäften verleitet, zieht auch einen anderen Typ von Spekulanten an. Market Timer, die oftmals mit großen Aktienkörben oder Indices (oder Indexoptionen) handeln, agieren auf der Basis von Wertindikatoren (etwa dem KGV oder dem Kurs/Buchwert-Verhältnis (KBV) oder Währungsdifferenzen im Fall eines internationalen Market Timers) und von Preisbewegungen ohne Berücksichtigung der zugrunde liegenden Bewertung. Sie orientieren sich zumeist an Charts und verweisen auf gleitende Durchschnitte, doppelte Bodenformationen, Konsolidierungen und signifikante Durchbrüche. Market Timer haben alle ihre eigene Systematik und sind sich häufig untereinander nicht einig. Einer kommt beispielsweise zu dem Schluss, dass ein neues Tief bei einer Aktie oder einem Index totale Kapitulation seitens des Markts signalisiert und es daher an der Zeit wäre, für diesen speziellen Titel oder Index am besten gleich das eigene Haus zu beleihen. Ein anderer kommt bei Betrachtung der gleichen Daten möglicherweise zu der Feststellung, dass das neue Tief ein sicheres Zeichen für eine anhaltende Negativdynamik bietet und es an der Zeit wäre, zu verkaufen oder short zu gehen. Wir stellen nicht in Abrede, dass Statistiken und Charts für Investoren nützlich sein können. Auch wir stützen uns bei der Suche nach Ideen auf Statistiken; ein niedriges KGV oder niedriges Kurs-Buchwert-Verhältnis kann uns durchaus veranlassen, ein Unternehmen zu analysieren. Und wir teilen die Meinung, dass Charts eine grafische Illustration sowohl von Kapitulation als auch Euphorie sein können. Der Unterschied liegt darin, dass Investoren Statistiken und Charts als Instrumente nutzen, nicht als Auslöser für Handlungen. In unseren Augen kommt es auf die Fundamentaldaten an.

Lesen Sie nächste Woche, im vierten und letzten Teil der Serie, alles über die Merkmale eines „echten“ Investors.