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WTW zu Sterbetafeln: „Best Estimate“ nicht unbedingt nahe an der Wahrheit

Große Unterschiede in Lebenserwartungs-Annahmen bei europäischen Nachbarn.

Kritiker der jüngsten Neufassung der Heubeck’schen Richttafeln wurden bei der Konferenz „Zukunftsmarkt Altersvorsorge” in Berlin letzte Woche von Hanne Borst, Leiterin aktuarielle Beratung bei Willis Towers Watson Deutschland, bestätigt.

Der allgemeine Abschlag, der in den neuen Heubeck-Richttafeln „sozioökonomische Faktoren” einpreist, passe nur auf bestimmte Unternehmen, bestätigte Borst in ihre Präsentation.

„Der Abschlag setzt einen gemischten Bestand in Unternehmen voraus – mit Höher- und Niedrigverdienern”, so Borst.

Die neuen Faktoren wurden von Heubeck eingefügt, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Menschen mit niedrigerem Einkommen tendenziell früher sterben als solche mit besserem Einkommen.

Im Interview mit IPE hatte Georg Thurnes, Chefaktuar und Vorstandsmitglied bei Aon Hewitt Deutschland, bei der Vorstellung der Tafeln vergangenen Sommer bereits zur Vorsicht gemahnt: „Die Anwendung des Abschlages auf die Lebenserwartung sowohl von Rentnern mit höherem, als auch jenen mit niedrigerem Einkommen macht nur Sinn, wenn die Mitarbeiterschaft eines Unternehmens einen repräsentativen Bevölkerungsquerschnitt darstellt.“

Alle anderen Unternehmen müssten sich bewusst sein, dass die jüngste Umstellung der Richttafeln zu abweichenden Berechnungen ihrer Verpflichtungen führen kann.

Borst stellte generell fest, dass jegliche Berechnung der Sterblichkeitswahrscheinlichkeiten – basierend auf dem vorhandenen Datenmaterial – nur eine Schätzung sein kann.

„Es ist alles eine Frage der Datenbasis”, erläuterte die Aktuarin. „Wenn man eine Datenbasis aus Informationen bestehender Direktzusagen hätte, wäre das besser, aber die gibt es nicht.”

„Deshalb nimmt man ein ‚best estimate’. Das heißt nicht, dass dies so nahe wie möglich an der Wahrheit ist, sondern eben die beste Schätzung.”

Für die Richttafeln nutzt Heubeck die Statistiken der Deutschen Rentenversicherung Bund 2012 bis 2016 West-Deutschland.

Laut Borst ist einer der größten Unterschiede zwischen der allgemeinen Durchschnittsbevölkerung und jenen Personen, die Anspruch auf eine bAV haben, der Anteil der Niedrigverdiener.

Die Aktuarin präsentierte auch einen europäischen Vergleich, der signifikante Unterschiede in der Annahme von Sterbewahrscheinlichkeiten in unterschiedlichen Nachbarländern deutlich machte.

Während in Deutschland die angenommen Restlebenszeit für einen 65-jährigen Mann nun bei 20 Jahren liegt, hat Österreich in seiner jüngsten Umstellung der Sterbetafeln diese Wahrscheinlichkeit auf 23 Jahre hinaufgesetzt.

In den Niederlanden und in der Schweiz liegt sie bei knapp über 22 Jahren und Frankreich erwartet, dass diese Männer noch weitere 25 Jahre leben.

Im Vergleich zu den Lebenserwartungsannahmen der OECD ist hier Deutschland allerdings den international getätigten Annahmen für das Land am nächsten: Die OECD nimmt für deutsche 65-Jährige eine Restlebenserwartung von 18 Jahren an.

Der größte Unterschied zeigt sich in Frankreich, wo die internationale Organisation nur 19,4 Jahre annimmt.

Als Lösung für Sterbetafeln, die besser auf die deutsche bAV-Landschaft abgestimmt sind, schlug Borst individualisierte Lebenswahrscheinlichkeitsberechnungen für größere Firmen vor.

Allerdings hielt sie fest, dass dies erst ab einer Größe von mehreren tausend Mitarbeitenden und einer ausgewogenen Balance im Einkommensbereich statistisch sinnvoll sei.

„Es bringt den Unternehmen mehr Planbarkeit – führt allerdings in der Regel zur Erhöhung der Pensionsverpflichtung”, so Borst.

Sie gab auch zu bedenken, dass für individualisierte Sterbetafeln ein strenges Regelwerk der BaFin gilt.

Einige große börsennotierte Unternehmen in Deutschland haben diesen Weg eingeschlagen.

Bei der Konferenz sagte jedoch Evelyn Stoll, Leiterin der bAV-Abteilung in der Volkswagen AG, dass ihr Unternehmen diese Idee bislang verworfen habe. Man „wollte den Folgeüberprüfungsaufwand bis jetzt nicht.“