Foundation | Welcome

Menu


„Die Zentralbanken in den Emerging Markets haben gezeigt, dass sie aus den Fehlern in der Vergangenheit gelernt haben“

IPE Institutional Investment-Chefredakteur Frank Schnattinger sprach mit Dr. Mauricio Vargas, Volkswirt bei Union Investment, über die aktuelle Situation in den Emerging Markets.

Dr. Mauricio Vargas

IPE Institutional Investment: Herr Dr. Vargas, war das, was wir in der jüngeren Vergangenheit an den Märkten gesehen haben, so etwas wie der „perfekte Sturm” für die Volkswirtschaften der Emerging Markets?
Vargas: Das kann man mit gutem Recht so bezeichnen. Wir sprechen immerhin über schwächere Wachstumsaussichten für China, einen Abverkauf bei den Rohstoffen und nicht zuletzt auch die erste Zinsmaßnahme der Fed, die den Märkten gezeigt hat, dass die Billiggeldpolitik zumindest in den USA wohl am Ende angelangt ist.

IPE Institutional Investment: Dennoch ist aktuell an den Emerging Markets nicht unbedingt etwas von einem neuen „Krisenzyklus“ zu sehen. Defaults bleiben aus…
Vargas: Auch das ist richtig. Man konnte über die letzten Monate klar erkennen, dass die Zentralbanken in den Emerging Markets aus den Fehlern in der Vergangenheit gelernt haben und entsprechend gelassener und zielgerichteter reagiert haben. Es gab keine irrationalen Währungsinterventionen, stattdessen wurden notwendige Abwertungen zugelassen. Entsprechend gesund stehen die Notenbanken aktuell mit Blick auf ihre nach wie vor sehr hohen Devisenreserven da, und entsprechend ruhig ist es an den Märkten.

IPE Institutional Investment: Wie sehen Sie die Fundamentaldaten?
Vargas: Der Konsensus für die Emerging Markets war lange Zeit mit Wachstumserwartungen von über 5% aus unserer Sicht deutlich zu optimistisch, da wir eher 4% pro Jahr für realistisch halten. Dies wurde mittlerweile antizipiert, und wir sehen nun wieder eine Ausweitung in der Wachstumsdifferenz zwischen Emerging und Developed Marktes, während in den vergangenen Jahren die Lücke immer enger wurde – allerdings getrieben von einer leichten Wachstumsschwäche in den Industrieländern, während die Emerging Markets den Boden gefunden haben.

IPE Institutional Investment: Dennoch hat der IWF im vergangenen Herbst die Märkte etwas aufgeschreckt…
Vargas: Die dort vertretene These, dass die US-Zinspolitik direkt die Schuldentragfähigkeit von Schwellenländern bzw. Schwellenländerunternehmen beeinflussen wird ist zwar nicht falsch, aber in der beschriebenen Intensität stark übertrieben…

IPE Institutional Investment:
Inwiefern?
Vargas: Die Risiken der Verschuldung in den Emerging Markets können leicht fehlgedeutet werden. Das liegt daran, dass der IWF die Kennzahlen zur Auslandsverschuldung auf Basis des Ausländerprinzips erfasst. Dabei werden alle Schulden berücksichtigt, die von Ausländern in Hartwährung oder lokaler Währung gehalten werden. Diese Auslandsverschuldung kann aber nicht mit der Fremdwährungsverschuldung gleichgesetzt werden. Die Emerging Markets haben hier schlicht und ergreifend deutlich dazugelernt und haben die Möglichkeiten, in eigener lokaler Währung zu emittieren, genutzt. Deswegen – um noch einmal zu Ihrer Ausgangsfrage zurückzukommen: Früher hätte so ein „perfekter Sturm“ eine Kette an Defaults ausgelöst, dies ist aktuell nicht zu erwarten.

IPE Institutional Investment: Wie würden Sie dann den Investment Case „Emerging Market Debt“ aktuell für institutionelle Anleger sehen?
Vargas: Es ist der einzige Markt, der noch seriöse Renditen mit sich bringt und zugleich offen seine Risiken ausweist.

IPE Institutional Investment: Das klingt aber noch nicht nach einem harten Kaufsignal?
Vargas: Angesichts der grundsätzlichen Nervosität im Markt würde ich derzeit sagen, Ruhe bewahren. Für langfristig orientierte Investoren ist aber durchaus der Zeitpunkt gekommen, über einen sukzessiven Aufbau von Positionen in den Schwellenländern nachzudenken. Dieser kann jedoch kurzfristig mit Risiken behaftet sein, die allerdings nicht in den Schwellenländern selbst begründet sind.

IPE Institutional Investment: Was zählt dazu?
Vargas: Die Zinspolitik in den USA zum Beispiel. Ich würde das Risiko, dass der US-Konjunkturzyklus bereits weiter fortgeschritten ist als man es wahrhaben möchte, nicht komplett ausklammern. Weitere Zinsschritte der Fed könnten dann der „Sargnagel“ sein und die US-Konjunktur vollends in die Knie zwingen. Auch die Emerging Markets würden dann reagieren…

IPE Institutional Investment: Was wäre anders herum gefragt bei einer nachhaltigen Stärke der US-Ökonomie und damit verbunden vermutlich des US-Dollars?
Vargas: Die Dollarstärke in den vergangenen zwei Jahren hat zu einer Rezession des Welthandels und insbesondere auch zu einer Rezession von Rohstoffökonomien geführt, da US-Dollar und Rohstoffpreise zumeist negativ korrelieren. Kein Wunschszenario für viele EM-Volkswirtschaften, aber noch unwahrscheinlicher.

IPE Institutional Investment:
Beides sind aber – wenn ich Sie richtig verstanden habe – nicht ihre Hauptszenarien…
Vargas: Das ist korrekt, wir halten das „Zinserhöhungsszenario“ aktuell für eher unwahrscheinlich, während das „US-Rezessionsszenario“ das deutlich größere Risiko darstellt Am wahrscheinlichsten halten wir derzeit eine weitere Zurückhaltung der US-Notenbank– aufgrund der genannten US-Wachstumsschwäche. Dies würde eine nachhaltige Umkehr der Kapitalflüsse in die Emerging Markets und auch eine Stabilisierung der Rohstoffpreise zur Folge haben. Bei den Kapitalflüssen haben wir bereits seit Anfang des Jahres deutliche Rückflüsse in die EMs gesehen. Keine schlechten Aussichten daher für die Emerging Markets.

IPE Institutional Investment: Herr Dr. Vargas, besten Dank für diesen Ausblick.