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Diskussionsbeitrag: Die Anlageklasse Infrastruktur als eine mögliche Alternative für Versicherungen

Ein umfassender Wandel des gesamten Kapitalmarktumfeldes zeichnet sich ab. Traditionelle Anlageformen erzielen aufgrund des anhaltenden Niedrigzinsumfelds langfristig kaum noch ausreichende Kapitalmarktrenditen. Zugleich stellen sich in allen Marktbereichen Veränderungen durch die weiterhin wachsende Regulierung und deren Umsetzung ein. Eine spürbare Einschränkung der Geschäftsmodelle nahezu aller Marktteilnehmer findet statt. Vielfältige Wechselwirkungen entfalten sich und bestehende Funktionen sowie Marktstrukturen sind einem Anpassungsprozess ausgesetzt. Das betrifft vor allem die deutsche Versicherungswirtschaft. Gerade Lebensversicherer spüren einen steigenden Investitionsdruck.

Christian Moersch

Deutsche Versicherungen stehen vor der Herausforderung notwendige Renditen zu erwirtschaften. Viele Versicherer beschäftigen sich im Rahmen einer angepassten Asset Allokation intensiver mit bestehenden Anlageklassen und erweitern das Spektrum ihrer Anlageinstrumente und Kapitalklassen. Versicherer wenden sich verstärkt alternativen Anlageformen zu. Gerade Infrastrukturinvestitionen finden Beachtung, da diese auf den ersten Blick stabile langfristige Zahlungsströme versprechen.

Der Anpassungsprozess der Asset Allokation findet in einem sich verändernden regulatorischen Korsett hinsichtlich der Eigenmittel- und operativen Anforderungen statt. Aufgrund der Abkehr von der Anlageverordnung hin zum novellierten Versicherungsaufsichtsgesetz können Versicherungen zur Bestimmung der Eigenmittelausstattung (Solvabilität) nicht mehr den rückwärtsgerichteten quantitativen, quotenbasierten Ansatz nutzen. Diese müssen sich stattdessen einem zukunftsgerichteten, qualitativen und marktwertbasierten Ansatz zuwenden. Dies kann für Versicherungen oft eine höhere Eigenmittelunterlegung bedingen und beinhaltet – vor allem in der Anlageklasse Infrastruktur – substantielle operative Anforderungen.

Die operativen Anforderungen an die Beurteilung und Steuerung von Risiken sowie die Produktzulässigkeit haben sich durch die Anpassung des Versicherungsaufsichtsrechts substantiell erhöht. Alternative Risiken, die Versicherungsunternehmen eingehen, müssen identifizierbar und im Einklang mit der Kapital- und Liquiditätssituation steuerbar sein. Die Investitionsmöglichkeiten und der Komplexitätsgrad der Anlageprodukte, vor allem in der Direktanlage, werden begrenzt.

Eigenmittel und operative Kapazitäten sind die Voraussetzungen für die Anpassung der Asset-Allokation. Die zugehörigen Ressourcen sind in der Versicherungsbranche jedoch ein knappes Gut.

Versicherungen mögen die Anlageklasse Infrastruktur
Die sich entwickelnde alternative Anlageklasse Infrastruktur ist nicht ohne Grund in der strategischen Agenda von vielen Versicherungsunternehmen verankert und bereits in vielen Kapitalanlageportfolios präsent. Infrastrukturinvestitionen können qualitative Investorenanreize wie Sicherheit, Stabilität und Vorhersehbarkeit von Zahlungsströmen in Aussicht stellen. Zudem können Diversifikationseffekte über unterschiedliche Branchen, Regionen oder Währungen erzeugt werden. Die Existenz quantitativer Investorenanreize wie eine krisenresistente Wertentwicklung, eine Entkopplung der Korrelation, eine niedrige Volatilität im Vergleich zu traditionellen Anlageklassen, geringere Ausfallraten und ein höheres Wertaufholungspotential im Vergleich zu anderen Industriesektoren können angenommen werden. Diese Faktoren sind allerdings schwer zu analysieren.

Der Infrastrukturmarkt ist ein komplexes Gebilde – stark fragmentiert bei gleichzeitig nicht-standardisierter Datenlage. Versicherungen haben – je nach Institutsgröße sowie Ausbaustufe und Erfahrung mit der Anlageklasse – Investitionen getätigt beziehungsweise Projekte angestoßen. Direkte Investments erfolgen über syndizierte Kredite, Projektkredite, Projektfinanzierungen, Projektanleihen und Verbriefungslösungen. Indirekte Investments werden über Asset Management-Lösungen wie Infrastrukturfonds realisiert.


Im Fokus stehen nationale Projekte im Transport- und Energieinfrastrukturbereich – teilweise über den gesamten Projektlebenszyklus. Die Definition der Anlageklasse Infrastruktur weicht von Haus zu Haus ab. Investitionen werden über verschiedenste Formate umgesetzt. Die Datenlage ist somit sehr heterogen. Die tatsächliche, relative Allokation sowie die absolute Anlage der Versicherungsunternehmen sind kaum zu beziffern und eine genaue Bestimmung der gesamten Kapitalanlagen im Bereich Infrastruktur ist nur schwer möglich.

Die deutsche Erstversicherungsbranche ist laut GDV immer noch zu rund 90% in traditionelle festverzinsliche Anlagen allokiert. Lediglich zwei Prozent entfallen gemäß GDV auf alternative Anlageformen. Legt man die Gesamtkapitalanlage aus der BaFin-Statistik in Höhe von 1.409 Mrd. Euro zugrunde, entspricht das einer Summe von rund 28 Mrd. Euro. Die gängige Definition des GDV von alternativen Investitionen umfasst Hedgefonds, Asset Backed Securities, Private Equity, Rohstoffe und Derivate. Die vom GDV veröffentlichten Zahlen weisen die Anlageklasse Infrastruktur nicht explizit aus. Diese findet sich auch anteilig im Bereich Private Equity. Die nachfrageseitige Analyse des Infrastrukturmarktes lässt allerdings darauf schließen, dass die tatsächlichen Kapitalanlagen seitens der Versicherer im Bereich Infrastruktur wahrscheinlich umfangreicher sind.

Individualität ist das Zauberwort
Viele Versicherer nutzen bei angespannter Risikotragfähigkeit und im Kontext der regulatorischen Anforderungen von Solvency II Übertragungswege, um sich über indirekte versicherungsregulatorisch effiziente Investitionen einen Zugang zur Anlageklasse Infrastruktur zu verschaffen. Bedingt durch die sich einengenden Renditen lassen sich nach Abzug aller Kosten insbesondere mit indirekten Investitionen kaum die notwendigen Erträge erwirtschaften. Versicherungen sollten darauf achten, dass sich die Fehler der Finanzmarktkrise nicht wiederholen. Stichworte in diesem Zusammenhang sind Kreditverbriefungen wie Asset Backed Securities (ABS) und „One-size-fits-all“-Produkte. An den Risiken solcher Lösungen ändern mögliche Legitimationen durch Rating-Agenturen und eine risikokapitaleffiziente Verpackungslösung nichts. Eine möglichst individuelle Investition, die eine tiefere Durchdringung der Investitionswertschöpfungskette im Infrastrukturbereich zur Erzielung einer risikoadjustierten Rendite ermöglicht, sollte angestrebt werden.

Im Hinblick auf die Regulierung, die Rechnungslegung und die strategische Perspektive eines Versicherungsunternehmens muss eine spezifische, risikoadjustierte Renditebetrachtung stattfinden. Dazu müssen Versicherungsunternehmen unter Beachtung der eigenen Evolutionsphase sowie der regulatorischen und bilanziellen Anforderungen die Wertschöpfungskette einer Infrastrukturfinanzierung stärker durchdringen. Eine beispielhafte Wertschöpfungskette könnte aus vier verschiedenen Modulen bestehen: Marktüberblick, Asset-Analyse, Umsetzung und Risikomanagement. Es ist von der individuellen Situation eines Versicherungsunternehmens abhängig, welche Teile der Wertschöpfungskette intern aufgebaut und welche ausgelagert werden können. Eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Asset-Allokation im Bereich Infrastruktur und der zugehörigen Investitionsprozesse sowie der Risikomanagementstrukturen durch die Versicherungsunternehmen ist dabei in den meisten Fällen unumgänglich.

Durchdringung der Anlageklasse Infrastruktur erforderlich
Die stärkere Durchdringung der Anlageklasse Infrastruktur und der erweiterte Diversifikation stellen Versicherungen vor zahlreiche Herausforderungen. Das bezieht sich auf den Zugang zu Assets, die Asset-Analyse, die Umsetzung und das Risikomanagement. Die Renditen im Bereich Infrastruktur stehen aktuell unter Druck. Das verschärft die Situation für Versicherungen zusätzlich. Umso weiter vorne in der Investitionswertschöpfungskette und je tiefer in der Kapitalstruktur Versicherungen ansetzen können, desto höher sind zukünftig die Chancen höhere Renditen zu erzielen. Der dahinterliegende Prozess ist allerdings hochgradig individuell. Es bedarf in vielen Fällen noch einer situativen Auseinandersetzung und einer spezifischen Herangehensweise beim Ausbau interner oder externer Kompetenzen. So kann die Versicherung langfristig mit oder ohne geringe Zwischenschaltung von Intermediären – wie Banken oder Asset Manager – näher an die Anlage heranrücken.



Fazit
Versicherer stehen zukünftig vermehrt vor der Entscheidung „make or buy“. Es gibt die Möglichkeit alternative Anlageklassen eigenständig aufzubauen. Diese können allerdings auch über bestehende Asset Management-Lösungen eingekauft werden. Das grundlegende Bestreben sollte das Erzielen von risikokapitaloptimierten sowie risikoadjustierten Renditen bei vertretbarem regulatorischen Aufwand und akzeptablen Kosten sein. Der Weg der möglichst individuellen Annäherung an die Anlageklasse bleibt somit das Ziel.


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*) Christian Moersch ist Leiter Financial Institutions Group der Bankhaus Lampe KG. Der Beitrag basiert auf dem Financial Institutions Report „Alternativen für Versicherer“, den das Bankhaus Lampe in Kooperation mit Zielke Research Consult herausgegeben hat.