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Expertenbeitrag: Der globale Konjunkturaufschwung – Langsamer als in vergangenen Zyklen, aber erstaunlich robust

Die Weltwirtschaft brummt. Obwohl die Wachstumsraten insgesamt etwas hinter den Wachstumsraten aus der Zeit vor der Finanzkrise zurückbleiben, zeigt sich das Wachstum regionsübergreifend zunehmend ausgeglichen.

Dr. Nathan Sheets

Ausschließlich für professionelle Investoren bestimmt – nicht an Privatkunden weitergeben

In den USA, dem Euro-Raum, Japan und China liegt das Wachstum der Wirtschaft über dem langfristigen Potenzialwachstum (sh. Chart 1). Vor dem Hintergrund der extrem lockeren Geldpolitik ist das Wachstum ungewöhnlich schwach. Vielleicht wird aber gerade das die Dauer der aktuellen Aufschwungphase verlängern. Das an sich enttäuschende Tempo des Wirtschaftswachstums könnte das Ausmaß der makroökonomischen Ungleichgewichte begrenzen, die sonst im Verlauf des Wirtschaftszyklus auftreten.

CHART 1: WELTWEITES WIRTSCHAFTSWACHSTUM



Quelle: OSZE, Haver Analytics, WSJ. Hinweis: Die Angaben für 2017 sind von den Daten der ersten Jahreshälfte 2017 hochgerechnet.

Zu dieser Einschätzung passt, dass sich die weltweiten Einkaufsmanagerindices (PMIs) sowohl im fertigenden Gewerbe als auch im Dienstleistungsbereich seit Mitte des vergangenen Jahres in einem Aufwärtstrend befinden (sh. Chart 2). Das Welthandelsvolumen hat sich gegen Ende 2016 deutlich ausgeweitet und diese Zugewinne im bisherigen Jahresverlauf 2017 halten können, auch wenn sich das Wachstum in der Zwischenzeit etwas verlangsamt hat (sh. Chart 3). Besonders willkommen ist die jüngste Belebung der weltweiten Investitionsaktivität. Sollte sich dieser Trend als nachhaltig erweisen, könnten die Unternehmensinvestitionen für eine Beschleunigung des schleppenden globalen Produktivitätswachstums sorgen und den Wirtschaftsaufschwung weiter vorantreiben.

CHART 2: GLOBALER PMI



Quellen: Haver Analytics, PGIM Fixed Income, Stand: 30.
Juni 2017

CHART 3: EXPORTVOLUMEN WELTWEIT (GLEITENDER 3-MONATSDURCHSCHNITT)



Quellen: Zentrales Planungsbüro der Niederlande, IHS Markit, Haver Analytics, Stand: 30. Juni 2017

Die Inflationsentwicklung ist ebenfalls bemerkenswert. Die Gesamtinflation blieb weltweit während der gesamten bisherigen konjunkturellen Erholungsphase überraschend niedrig und ist in den vergangenen zwei Jahren sogar noch weiter gesunken (sh. Chart 4). Das Lohnwachstum zeigte sich überwiegend ausgesprochen verhalten, was teilweise auf das insgesamt schwache Produktivitätswachstum zurückzuführen ist. Sollte es tatsächlich zu einer nachhaltigen Belebung der Investitionstätigkeit kommen, könnte dies jedoch die Lohninflation anheizen. Die Rohstoffe haben sich auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau eingependelt. Sie liegen über den Tiefständen des vergangenen Jahres, aber weit unter den Höchstständen aus dem Jahr 2014. Die Rohstoffpreise scheinen aktuell auf einem Niveau zu liegen, das Rohstoffexporteuren zumutbare Konditionen bietet, ohne gleichzeitig für Inflationsdruck zu sorgen oder die Gewinnmargen importierender Firmen zu schmälern.

CHART 4: GLOBALE GESAMTINFLATION



Quelle: Haver Analytics, PGIM Fixed Income, Commodity Research Bureau, Stand: 30.
Juni 2017

Angesichts dieser Beobachtungen gehen wir davon aus, dass die Weltwirtschaft ihren robusten Wachstumskurs mindestens auch im nächsten Jahr fortsetzen wird, während sich die Inflation allmählich wieder beschleunigen sollte. Die aktuelle Erholungsphase wird häufig als ungewöhnlich schwach kritisiert, wird aber in der historischen Gesamtbetrachtung vielleicht eher wegen ihrer Langlebigkeit im Gedächtnis bleiben. Die Entwicklung der Inflation wird entscheidend sein für die Geschwindigkeit und Breite der bevorstehenden geldpolitischen Normalisierung.

Risiken für den Wirtschaftsausblick

Trotz dieser im Allgemeinen günstigen Entwicklungen behalten wir die möglichen Probleme im Auge. In den USA, Japan, Großbritannien und vielen anderen Ländern ist die Arbeitslosenquote auf ein sehr niedriges Niveau gefallen. In diesen Volkswirtschaften werden die Grenzen des Arbeitskräfteangebots ausgelotet. Die großen Zentralbanken beginnen vor diesem Hintergrund allmählich mit Maßnahmen zur Normalisierung der Geldpolitik. Auch in China signalisieren die Behörden zunehmend ihre Entschlossenheit, das Problem hoher Schuldenlasten und Verschuldungsquoten anzugehen. Dies wird eine nachhaltige und weitergehende Verschärfung des Finanzierungsumfelds zur Folge haben.

Durch die Normalisierung der Geld- und Konjunkturpolitik in den großen Volkswirtschaften ergeben sich vor diesem Hintergrund eine Reihe von Risiken, die durch vielfältige Wechselwirkungen miteinander verbunden sind. Zunächst könnten einige Wirtschaftsbereiche empfindlicher auf steigende Zinsen reagieren als wir das erwarten. Grund könnte zum Beispiel die nach wie vor recht hohe Verschuldung in vielen Industrienationen sein, von der insbesondere Privathaushalte und der öffentliche Sektor betroffen sind. Ein weiterer Risikofaktor liegt in der Tatsache, dass die Volkswirtschaften der Schwellenländer seit mehr als zehn Jahren nicht mehr mit einer synchronisierten Verschärfung der Geldpolitik in den Industrienationen konfrontiert waren. Hier könnte es zu Anpassungsschwierigkeiten kommen, insbesondere angesichts der stetig steigenden Verschuldung der Privathaushalte in den Schwellenländern. Es bleibt aber festzustellen, dass die Schwellenmärkte seit dem „Taper Tantrum“ 2013 insgesamt deutlich robuster dastehen. Damals hatte eine Reaktion auf die Rückführung der quantitativen Geldpolitik in den USA zu erheblichen Marktturbulenzen geführt.

Zweitens besteht insbesondere in den USA eine erhebliche Kluft zwischen dem geldpolitischen Kurs, den die Fed signalisiert, und den bislang eingepreisten Markterwartungen. Sollten die Märkte beginnen, die Verlautbarungen der US-Notenbank ernster zu nehmen, so könnte die Anpassung recht abrupt erfolgen. Ein weiteres Risiko in diesem Zusammenhang ist die Möglichkeit nicht-linearer Effekte im Arbeitsmarktbereich. Ein plötzlicher Anstieg der Lohninflation würde die Zentralbanken zwingen, ihre Geldpolitik schneller zu verschärfen als bislang erwartet.

Ein ähnliches Risiko ergibt sich aus der Verschärfung der Finanzpolitik in China, die sich nach dem bevorstehenden Parteikongress wohl noch beschleunigen wird. Sollte es hierbei zu Schwierigkeiten kommen, könnte dies zu einem deutlich niedrigeren Wirtschaftswachstum in China führen mit entsprechenden Auswirkungen auf den Welthandel und die Rohstoffpreise. Eine derartige Entwicklung würde wahrscheinlich auch die weltweiten Finanzmärkte belasten, insbesondere falls dies vor dem Hintergrund einer Normalisierung der Geldpolitik in den USA und anderen großen Wirtschaftsräumen erfolgt. Wir halten ein solches Szenario für weniger wahrscheinlich, da der chinesische Staat über ein umfangreiches Instrumentarium zur Steuerung der Wirtschaft verfügt und die Wahrung der Stabilität das oberste Ziel ist. In diesem Zusammenhang besteht auch das Risiko, dass die Bemühungen Chinas zur Bewältigung der hohen Verschuldungsquote zu zaghaft ausfallen und letztlich wirkungslos bleiben. Das würde auf kurze Sicht ein höheres Wirtschaftswachstum bedeuten, aber auf längere Sicht die Stabilität des Finanzsystems in China gefährden.

Wir beobachten außerdem eine Reihe politischer und geopolitische Risiken: die bevorstehenden Wahlen in Italien, ob sich Bundeskanzlerin Merkel nach ihrem bescheidenen Wahlsieg erfolgreich neu positionieren kann und die möglichen Schwierigkeiten im Rahmen des Brexit. Außerdem ist die Trump-Regierung immer noch mit der Formulierung ihrer Strategien in Bezug auf den internationalen Handel beschäftigt. Eine Störung wichtiger Handelsbeziehungen ist nicht ausgeschlossen. Schließlich bestehen auch sicherheitspolitische Risiken, insbesondere durch eine Zuspitzung der Konfrontation mit Nordkorea.

Wir werden uns im Folgenden eingehender mit der Situation im Euroraum beschäftigen.

Das Wirtschaftswachstum im Euroraum ist mittlerweile seit 19 Quartalen positiv und alle Euro-Mitgliedsländer befinden sich auf Wachstumskurs. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass sich der wirtschaftliche Erholungsprozess vor allem in den Kernländern abgespielt hat. In Deutschland ist die Arbeitslosenzahl auf den tiefsten Stand seit der Wiedervereinigung gefallen. Trotz des starken Arbeitsmarkts blieb das Lohnwachstum in Deutschland ebenso wie in den anderen Industrieländern bislang verhalten, obwohl sich in einigen Teilen des Euroraums der Arbeitsmarkt offensichtlich der Kapazitätsgrenze nähert.

Angesichts der geringen Lohninflation bleiben auch die Gesamt- und Kerninflation weiterhin sehr niedrig. Die europäische Zentralbank erwartet wieder einen vorübergehenden Rückgang der Gesamtinflation. Ihrer Prognose zufolge soll die Jahresinflationsrate Anfang nächsten Jahres auf knapp unter ein Prozent fallen, was deutlich unter dem de facto geltenden Inflationsziel von 2% liegen würde.

Im Zentralbankrat scheint man sich aber einig zu sein, dass eine allmähliche Rückführung der extrem lockeren Geldpolitik notwendig ist. Eine Festlegung auf die genauen Parameter einer solchen Normalisierung scheint jedoch schwierig zu sein. Das wahrscheinlichste Szenario ist ein zweistufiger Ansatz. Danach würde die EZB im Verlauf der ersten Jahreshälfte 2018 ihre Anleihekäufe von aktuell 60 Mrd. Euro im Monat auf 30-40 Mrd. Euro reduzieren. Anschließend würde neu über das Kaufprogramm entschieden und wahrscheinlich ein Zeitplan für die komplette Beendigung des Programms beschlossen. In der Zwischenzeit würden die Leitzinsen entsprechend den bestehenden Ankündigungen der EZB unverändert bleiben.

Im politischen Bereich demonstrierten die deutschen Parlamentswahlen im September erneut die zunehmende Fragmentierung der politischen Landschaft in Europa. Bundeskanzlerin Merkel ist gezwungen, eine Koalition mit zwei kleineren Parteien zu schließen. Der Ausgang der Koalitionsgespräche steht noch aus, eine Einschränkung ihrer politischen Handlungsfreiheit ist jedoch wahrscheinlich und es sind auch Auswirkungen auf die europäische Agenda möglich. Sollten CDU/CSU in den kommenden Landtagswahlen in Niedersachsen oder Bayern weitere Verluste erleiden, könnte dies erhebliche politische Auswirkungen haben. Auch in Italien stehen Anfang nächsten Jahres Parlamentswahlen an. Ebenso wie in Deutschland ist die politische Situation hier von zunehmender Zersplitterung geprägt und die Reformbegeisterung der nächsten Regierung ist fraglich.


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*) Dr. Nathan Sheets ist Chief Economist und Head of Global Macroeconomic Research bei PGIM Fixed Income.
Als Leiter des Global Macroeconomic Research Teams ist er für die Formulierung des makroökonomischen Ausblicks und der Fundamentalanalysen von Industrienationen und Emerging Markets sowie für die Analyse der internationalen Zinsentwicklung und der Kredit- und Devisenmärkte verantwortlich. Dr. Sheets war zuletzt als Staatssekretär für internationale Angelegenheiten im US-Finanzministerium tätig. Davor arbeitete er für Citigroup, den US-Zentralbankrat und den Internationalen Währungsfonds. Er promovierte am MIT.

PGIM Fixed Income ist ein globaler Assetmanager, der aktive Investmentlösungen für alle Anleihemärkte bietet. Das Unternehmen verfügt über Geschäftsstellen in Newark (New Jersey), London, Tokio und Singapur und verwaltet mehr als 676 Mrd. US-Dollar. Weitere Informationen finden Sie unter den IPE Referenzen und auf pgimfixedincome.com. (Stand: 30. Juni 2017)

Quelle(n) der Daten im Artikel (soweit nicht anders angegeben): PGIM Fixed Income vom 03/10/2017. Die in diesem Dokument enthaltenen Informationen beruhen auf öffentlich verfügbaren Informationen aus Quellen, die PGIM Fixed Income als zuverlässig erachtet. Die Informationen stellen die Ansichten und Meinungen des Autors mit Stand zum 3 Oktober 2017 dar und dienen ausschließlich der Information. Sie stellen keine Anlageberatung dar und sollten nicht als Grundlage für eine Anlageentscheidung verwendet werden. Die zugrunde liegenden Annahmen und Ansichten unterliegen der Änderung. Die Performance in der Vergangenheit ist keine Garantie und gewährt keine zuverlässigen Anhaltspunkte für die Zukunft. Eine Investition in Indices ist nicht möglich. Dieses Material wird nur für Personen bereitgestellt, die professionelle Kunden oder zugelassene Gegenparteien sind. 2017-4734