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Gastbeitrag: Chancen und Herausforderungen der Eurozone in 2024

Die schwächelnde Wirtschaft sowie die rückläufige Produktion in Deutschland trüben die Aussichten für die Eurozone.

Nicola Mai

Obwohl die Wirtschaft der Eurozone im vergangenen Jahr schon recht früh einen soliden Start hinlegte, blieb sie über weite Strecken des Jahres schwach. Wir gehen davon aus, dass diese Schwäche auch im laufenden Jahr anhalten wird. Nachdem der Composite-Einkaufsmanagerindex der Eurozone im April 2023 einen Höchststand von rund 54 erreicht hatte, fiel er im Juni unter 50. Seitdem verharrt er auf diesem Niveau, was als Indiz einer leicht schrumpfenden Wirtschaft aufgefasst werden kann. Wir rechnen damit, dass die Wirtschaft in der Eurozone im aktuellen Jahr stagnieren oder gar leicht schrumpfen wird.

Die Gründe für diese anhaltende Schwäche liegen auf der Hand. Zum einen erholt Europa sich immer noch von einem anhaltenden Energieschock und zum zweiten waren die fiskalischen Impulse in den letzten Jahren bei weitem nicht so ausgeprägt wie etwa in der widerstandsfähigeren US-Wirtschaft. Hinzu kommen kürzere Laufzeiten der Schulden in der Eurozone, sodass sich Zinserhöhungen hier schneller bemerkbar gemacht haben.

Deutschlands schwache Entwicklung macht Europa zu schaffen
Die schwache Entwicklung Deutschlands hat die Herausforderungen in Europa noch verschärft und das Wirtschaftswachstum zusätzlich belastet. Die deutsche Industrieproduktion verzeichnete im November den sechsten Monat in Folge einen Rückgang. Sie schrumpfte gegenüber dem Vormonat um 0,7%, während der Konsens einen Anstieg um 0,3% erwartet hatte. Dies deckt sich mit den jüngsten Rückgängen bei den deutschen Industrieaufträgen und unterstreicht die anhaltende Anfälligkeit des deutschen verarbeitenden Gewerbes.

Die schwache Konjunktur in Deutschland spiegelt zwar zum Teil die allgemeine Schwäche des globalen Industriezyklus wider, doch auch andere Faktoren spielen eine Rolle. Zu nennen sind hier strukturelle Herausforderungen wie der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China und die seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs gestiegenen Gaspreise. Angesichts der jüngsten verfassungsgerichtlichen Entscheidungen besteht auch wenig Hoffnung, dass sich die Finanzpolitik als Retter in der Not zeigt.

Zugegebenermaßen gibt es einige Anzeichen dafür, dass wir den Höhepunkt der Schwäche hinter uns gelassen haben. Auf eine entscheidende Wende der deutschen Industrie deutet allerdings recht wenig hin. Das Gesamtbild zeigt vielmehr eine Wirtschaft, die Schwierigkeiten hat, in Schwung zu kommen. Da Deutschland für mehr als ein Viertel des BIP der Eurozone verantwortlich ist, sind die Auswirkungen auf die gesamte Region erheblich.

Globale Störfaktoren
Mit Blick auf mögliche zusätzliche Störfaktoren erwarten wir nicht, dass die derzeitigen Unruhen in der Schifffahrt auf dem Roten Meer größere Auswirkungen auf die Inflation in Europa haben werden. Ihr Ausmaß kommt nur einem Bruchteil der pandemiebedingten Störungen gleich und die Schifffahrt macht nur einen kleinen Bestandteil der gesamten Kostenstruktur betroffener Unternehmen aus. Die weltweite Nachfrage ist nicht mehr so hoch wie während der Pandemie und das Angebot an neuen Containerschiffen dürfte in diesem Jahr ausreichend sein. Wichtig ist, dass den Unternehmen andere Lieferwege zur Verfügung stehen, darunter alternative Seewege und Luftfracht. Dennoch hat uns die Corona-Krise gelehrt, dass wir Auswirkungen auf die globalen Lieferketten im Blick behalten müssen.

Inflation und Zinsausblick
Die Inflation hat in Europa ihren Höhepunkt erreicht und geht nun stärker zurück. Die Gesamtinflation liegt in der Eurozone bereits unter drei Prozent und die Kerninflation hat sich im Jahresvergleich auf etwa 3,5% verlangsamt. Bei höherfrequentierten Messgrößen ist die Inflation sogar noch weiter gesunken – Abb. 1 zeigt, dass die Kerninflation auf annualisierter Drei-Monats-Basis unter dem Zwei-Prozent-Ziel der Europäischen Zentralbank liegt.


Abb. 1: Kerninflation Euroraum

Wir sind der Ansicht, dass die Europäische Zentralbank ihren Straffungszyklus beendet hat und in diesem Jahr Zinssenkungen anstreben wird – wobei wir von einem vorsichtigen Vorgehen der EZB ausgehen. Die Währungshüter möchten sich sicher sein, dass der Kampf gegen die Inflation gewonnen ist. Möglicherweise möchten sie sogar zuerst Anzeichen für eine Desinflation der Löhne und Gehälter sehen. Nichtsdestotrotz sind die Zinsen aus unserer Sicht auf dem Weg nach unten.

Die EZB und die anderen Zentralbanken in den Industrieländern hüten sich vor geldpolitischen Fehlern, die eine Wiederbeschleunigung der Inflation ermöglichen würden. Dieses Problem wird heutzutage mit dem ehemaligen Vorsitzenden der Federal Reserve, Arthur Burns, in Verbindung gebracht. Dieser hatte in den 1970er Jahren mit seiner dovishen Politik zu einer unerwünschten Phase der Reflation in der US-Wirtschaft beigetragen. Um ein solches Szenario zu vermeiden, könnte die EZB den Leitzins am Ende weniger stark senken, als es der Markt für dieses Jahr einpreist. Darüber hinaus sehen wir jedoch auch die Möglichkeit, dass die Zinsen stärker gesenkt werden als derzeit eingepreist. Denn wir sind der Meinung, dass die Ausgleichzinssätze in Europa und weltweit weiterhin niedrig sind.

Bedeutung für die europäischen Anleihemärkte
Wir sind am kurzen Ende der Zinskurve vorsichtig, sehen aber Chancen im mittleren Bereich – gemäß unserer Prognose für tiefere Zinssenkungen im Laufe der Zeit und unserer Erwartung, dass die Ziel-Leitzinsen eine Weile lang niedrig bleiben werden. So kann außerdem das lange Ende der Zinskurve vermieden werden, welches für einen erhöhten Emissionsbedarf und die Reduzierung der EZB-Bilanz anfällig sein könnte. Wir halten die europäische Duration für einen effektiven Diversifizierungsfaktor im Portfolio: Obwohl die Renditen im Allgemeinen niedriger sind als in den USA, könnte der schwache makroökonomische Ausblick den europäischen Rentenmärkten eine gute Performance ermöglichen.

Wichtig ist, dass das Durationszinsrisiko absichernde Eigenschaften hat. Das heißt, wenn wir einen tieferen Abschwung als erwartet erleben, sollte sich die Duration von festverzinslichen Wertpapieren positiv entwickeln. Auch wenn viele Anleger auf Bargeld schwören, sind die Bargeldrenditen kurzzeitig, sie werden morgen wahrscheinlich nicht mehr so hoch sein wie heute. Das Absichern höherer Renditen durch ein gewisses Durations-Engagement in den Portfolios ist unseres Erachtens sinnvoll.

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*) Nicola Mai, Portfolio Manager und Sovereign Credit Analyst bei PIMCO