1. Geografie, Regulierung und Einfluss der Stakeholder
Anleger und Anlegerinnen vertreten sehr unterschiedliche Auffassungen bei der Frage, inwieweit verantwortungsvolles Investieren und ESG-Überlegungen in Investmententscheidungen einfließen sollten. Die Einstellung hängt in hohem Maß von der geographischen Herkunft ab. Gesellschaftliche Normen und die Kultur eines Landes beeinflussen die Sichtweise der lokalen Investoren. So sind institutionelle Anleger in Europa für das Thema Nachhaltigkeit und insbesondere Umweltfragen verhältnismäßig stark empfänglich. In den USA, wo ESG-Fragen derzeit politisch belastet sind, ist die Situation uneinheitlich. US-Institutionen konzentrieren sich tendenziell eher auf soziale Gesichtspunkte, insbesondere auf das Thema Diversität und Inklusion.
Auch andere Faktoren, wie die Art der Interessen ihrer Stakeholder und die Struktur der Teilnehmer an Pensionsplänen, beeinflusst die Haltung der Investoren. Insbesondere das Alter der Leistungsempfänger und -empfängerinnen aus solchen Pensionsplänen ist bedeutsam. Jüngere Generationen zeigen sich meist äußerst offen für Umwelt- und soziale Themen.
Die Regulierung ist ein weiterer wichtiger Punkt. Verantwortungsvolles Investieren kann durch Vorgaben und Regeln gefördert werden. Anleger sehen sie als Mittel zur Verbesserung der ESG-Offenlegung und zur stärkeren Einbindung von Nachhaltigkeitsaspekten in ihre Anlagestrategien. Europas Rolle bei der Regulierung wird von Investoren weltweit anerkannt. Dennoch sollte die Regulierung reformiert werden, um sie einfacher und konsistenter zu machen. Einige empfinden die Vorschriften als zu weitgehend und zu komplex, zumal die Verordnungen zur Nachhaltigkeit bereits eine Vielzahl von Regelungen enthalten, die manchmal als überflüssig oder sogar widersprüchlich gewertet werden.
Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Regulierung ihre Ziele wohl teilweise erreichen, aber verantwortungsvolles Investieren von verstärkten Offenlegungspflichten noch mehr profitieren könnte. Erwähnenswert ist, dass lokale Institutionen durchaus einen gewissen Einfluss auf die Ausgestaltung einer Vorschrift haben können, zwischen Regulatoren und Investoren also eine wechselseitige Beziehung besteht.
2. Verantwortungsbewusstes Investieren fördert Rendite und Risikomanagement
Die meisten Investoren betonen, dass sie gegenüber ihren Stakeholdern vor allem die treuhänderische Pflicht zur Erwirtschaftung von Renditen haben. Dabei berücksichtigen sie aber grundsätzlich auch, dass nachhaltige Investitionen für eine langfristige Performance vorteilhaft sein können Einige Institutionen ergänzen ihre finanziellen Ziele inzwischen durch nicht-finanzielle, nicht zuletzt, um auch ihre Reputation zu steigern.
Oft wird nachhaltiges Investieren als wichtiger Baustein im Hinblick auf das Risikomanagement der jeweiligen Institution gesehen. Insbesondere das Klimarisiko wird zunehmend in das ganzheitliche Risikorahmenwerk für finanzielle und nicht-finanzielle Risiken integriert.
3. Bottom-up-Integration, Engagement und Abstimmungsverhalten
Ausschlüsse von Unternehmen und Produkten, die den ESG-Regeln nicht entsprechen, wurden anfangs von etlichen Anlegern als eine gute Methode auf dem Weg zu verantwortungsvollen Investitionen gesehen. Und noch heute ist der Ausschluss bestimmter Produkte nichts Ungewöhnliches. ESG-Ansätze werden in Anlagekonzepte integriert, allerdings nicht auf der Ebene der strategischen Asset Allokation. Stattdessen finden sie im Prinzip mittels eines Bottom-up-Ansatzes Anwendung und könnten so allerdings zu einer geografischen oder branchenmäßigen Unausgewogenheit der Investitionen führen.
Der Übergang zu ESG-spezifischen Benchmarks ist eher begrenzt und erfolgt im Allgemeinen bei passiv gemanagten Portfolios. Die meisten institutionellen Anleger beziehen ESG-Ansätze bei der Auswahl ihrer Investmentmanager ein, in der Regel durch detaillierte Fragebögen zur Nachhaltigkeit.
Es gibt einen Trend zu thematischen Investitionen, wobei der „grüne und soziale“ Anteil eines Portfolios aus spezialisierten Aktienstrategien, grünen oder sozialen Anleihen, grüner Infrastruktur und Niedrigenergiegebäuden besteht. Einige Investoren machen sich jedoch Sorgen um die Bewertung dieser Strategien, und diejenigen, die ein Netto-Null-Ziel verfolgen, wissen, dass zusätzliche Maßnahmen nötig sind, um die Unternehmen zur Dekarbonisierung zu drängen und eine ausreichende Diversifizierung des Portfolios zu gewährleisten. Damit dieser Ansatz erfolgreich ist, ist eigenes, aktives Engagement erforderlich. Dabei müssen Investoren hochprofessionell mit einer klaren Definition der Ziele, ausgewählten Unternehmen und einem festgelegten und regelmäßig kontrollierten Verfahren vorgehen. Koordinierte Aktionen sind hier von Vorteil. Einige Investoren und Investorinnen halten es für effizienter, sich auf Branchenebene als auf der Ebene einzelner Unternehmen einzusetzen.
Ein weiteres wichtiges Mittel ist die Abstimmungspolitik. Investoren können gegen die Wiederwahl von Vorstandsmitgliedern stimmen, wenn die Klimastrategie nicht ausreichend berücksichtigt wird oder grundlegende Regularien und Richtlinien nicht eingehalten werden. Allerdings können nicht alle Anleger und Anlegerinnen ihre eigene Abstimmungspolitik verfolgen, sondern müssen sich auf koordinierte Aktionen verlassen, um die Unternehmen zu beeinflussen.
4. Desinvestition als letztes Mittel
Als letzter Ausweg – wenn die ESG-Kriterien nicht eingehalten werden – kann eine Desinvestition in Betracht gezogen werden. Diese reduziert jedoch die Möglichkeit der Investoren, positiv auf die Unternehmen einzuwirken. Desinvestitionen beinhalten außerdem die Gefahr, dass das Portfolio geringer diversifiziert wird. Im Nonprofit-Sektor werden Desinvestitions-Kampagnen bereits häufig durchgeführt, wenn die Institution durch eine Investition in ein Unternehmen ihre grundlegenden Werte gefährdet sieht.
5. Das Datenproblem
Ein Thema, was derzeit immer mehr auf die Tagesordnung rückt, ist das zur Verfügung stehende ESG-Datenmaterial. Eine Schwierigkeit liegt für viele Investoren und Investorinnen in der Beschaffung von validen ESG-Daten. Deren Qualität, Kontinuität und Verfügbarkeit für bestimmte Anlageklassen bleibt ein Problem. Auch wird diskutiert, ob die Kriterien einheitlich auf allen Märkten angewandt oder ob sie beispielsweise für Schwellenländer angepasst werden sollten. Anleger vertrauen zudem eher selten derartigen Bewertungsinstrumenten. Einige entwickeln eigene Klima-Szenarien für ihre Klimarisikoanalyse.
Gerade im Bereich der ESG-Datenerfassung und -prüfung wird sich in nächster Zeit sicherlich viel bewegen und damit für viele institutionelle Häuser verantwortungsvolles Investieren deutlich erleichtern.
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*) Marie Brière, Head of Investor Intelligence & Academic Partnerships, Amundi Investment Institute