Invesco-Chefökonom John Greenwood hat die Ursachen für Inflation im Allgemeinen und die Gründe für den aktuellen Teuerungsschub genauer beleuchtet. Er kommt zu dem Schluss, dass die US-Notenbank die gleichen Fehler machen könnte wie ihre Vorgänger im Vorfeld der Großen Inflation der 1970er Jahre.
Im Gegensatz zu den offiziellen Erklärungen der Fed glaubt Greenwood nicht, dass der aktuelle Anstieg der Inflation ein vorübergehendes, auf das Wiederhochfahren der Wirtschaft zurückzuführendes Phänomen ist. Er geht davon aus, dass die Preise noch mindestens zwei Jahre lang steigen und die Anlagerenditen aushöhlen werden. Insofern warnt er Investoren, vor allem Anleiheinvestoren, vor Anlagen in Vermögenswerte, die in einem inflationären Umfeld tendenziell schlecht abschneiden.
„Die Zentralbanken folgen einer auf den Kopf gestellten Inflationstheorie, wenn sie die derzeitige Inflationsepisode als temporäres und zufälliges Phänomen erklären, das durch vorübergehende Steigerungen einzelner Preise ausgelöst wird, die sich bald wieder umkehren werden“, so Greenwood. Eigentliche Ursache der Inflation sei ein zu starkes Geldmengenwachstum, das die Zentralbanken nach mehr als einem Jahrzehnt der Zurückhaltung aktuell bewusst in Kauf nehmen.
„Diejenigen, die wie ich glauben, dass die Inflation ein monetäres Phänomen ist, haben mit Erstaunen beobachtet, wie die Fed zugelassen hat, dass die M2-Geldmenge in den USA seit Februar 2020 um fast 32% gestiegen ist“, so der Chefökonom von Invesco. Greenwood zufolge ist dies auch der Grund für die nach Ansicht der Fed vorübergehende Erholung der Preise von ihrem niedrigen Niveau im Frühjahr und Sommer 2020 (z.B. Hotelpreise, die zu Beginn der Pandemie gesenkt wurden und nun wieder angehoben werden, sodass sich die Preise de facto kaum verändert haben). Die US-Notenbank erwartet daher, dass die Teuerungsrate schon in wenigen Monaten wieder bei 2% liegen wird.
Nach Ansicht von Greenwood könnte die Fed damit den gleichen Fehler machen wie ihre Vorgänger vor der Hochinflationsphase der 1970er Jahre. Wie er erläutert, tat die damalige Fed-Führung vermeintlich vorübergehende inflationäre Faktoren als „Rauschen“ ab, das in keinem Zusammenhang mit der Geldpolitik steht, bis sie – viel zu spät – zugeben musste, dass die USA ein Inflationsproblem hatten.
Greenwood zitiert eine Analyse von Albert Friedberg, einem Vermögensverwalter und Rohstoffhändler aus Toronto, der sehr anschaulich erklärt, warum die Inflation immer „klumpig“ ist: Wenn die Überschussliquidität zu steigenden Preisen führe, würden die Preise für knappe Waren viel schneller steigen als die Preise für leicht zu findende Waren. Die Verbraucher könnten diese Preiserhöhungen verkraften, weil sie mehr Geld zum Ausgeben hätten. Mit der Zeit würden dann auch die Preise für andere Güter steigen, wenn diese knapp werden.
In den 1970er Jahren folgten auf den Ölpreisschock weitere Preissteigerungen bei Kakao, Zucker, Weizen und anderen Waren. Mit Blick auf die aktuelle Inflationslage verweist Greenwood auf Preissteigerungen bei Einfamilienhäusern in den USA und anderen knappen Gütern wie Autos und elektronischen Chips oder auch internationalen Frachtraten. „Da diese in die Höhe geschnellt sind, ohne dass andere Preise gesunken sind, scheint eine höhere Inflation vorprogrammiert – zumindest für die nächsten zwei Jahre, solange sich die überschüssige Geldmenge ihren Weg durch das System bahnt“, meint der Chefökonom von Invesco.
Wenn die Fed noch nicht verstanden habe, was wirklich hinter dem jüngsten Inflationsanstieg steckt, könne es noch lange dauern, bis sie die Preise wieder unter Kontrolle hat. Daher müssten sich die Investoren auf eine längere Phase steigender Preise mit einer sinkenden Kaufkraft der Konsumenten und einer wirtschaftlichen Verlangsamung einstellen. „Die Inflation ist ein Top-down-Prozess, bei dem die Geldmenge einzelne Preise in einer eher zufälligen Reihenfolge in die Höhe treibt, je nachdem, welche Waren und Dienstleistungen gerade knapp sind. Letztlich aber führt die Überschussliquidität zu einem allgemeinen Preisanstieg“, so der Chefökonom von Invesco.