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Italien auf Konfrontationskurs – Europa unter Druck

Politische Ereignisse wirken sich in der Regel nur kurzfristig auf die Finanzmärkte aus, da sie die Wirtschaft meist nur am Rande berühren. Doch ein Jahrzehnt nach der Finanzkrise kämpfen viele Industrieländer immer noch darum, wieder Fuß zu fassen. In diesem Zusammenhang beobachten wir bei Unigestion die jüngsten Ereignisse in Italien mit großer Sorge. Während der Markt zuletzt erleichtert auf die Nachricht reagiert hat, dass die 5-Sterne-Bewegung und die Lega Nord erfolgreich eine Koalitionsregierung gebildet haben, um Neuwahlen und politische Ungewissheit zu vermeiden, sind wir bei weitem nicht so optimistisch hinsichtlich der Aussichten für Italien – und Europa insgesamt.

Salman Baig

Das sieht nicht gut aus
Wahrscheinlich sind mehre Szenarien, alle jedoch unterschiedlich besorgniserregend:

1. Zähneknirschen: Die Koalition verwässert ihre Vorschläge erheblich und die Beziehungen zu Brüssel sind angespannt, werden aber nicht abgebrochen (der beste Fall für Investoren).

2. Ausufernde Staatsschulden: Wichtige finanzpolitische Vorschläge führen zu steigender Staatsverschuldung und die Spannungen mit Brüssel nehmen zu, aber „Haircuts“ bei den Staatsschulden oder ein Referendum zum Euro werden ausdrücklich abgelehnt.

3. Koalitionsimplosion: Die Regierung bekommt keinen ihrer Vorschläge durch, Ministerpräsident Conte ist nicht in der Lage, die beiden Flügel der auseinanderbrechenden Koalition zu versöhnen und es sind Neuwahlen erforderlich, die ihrerseits als Referendum zum Euro gesehen werden.

4. Der Euro unter Beschuss: Wichtige Haushaltsvorschläge werden umgesetzt, ebenso wie Schuldenrestrukturierungen und die Beziehungen zu Brüssel verschlechtern sich bis zu dem Punkt, an dem die Parteien gemeinsam ein Referendum zum Euro fordern.

Wir rechnen mit Nummer 2 als unserem Basisszenario: Die neue Regierung erfüllt die meisten ihrer Versprechen, meidet aber offene Konflikte mit der Europäischen Union (EU) und ihren Gläubigern. Angesichts der Umstände wäre jedoch keines dieser Ergebnisse überraschend.

Gefahr für Italiens beginnende Erholung
Italien konnte sich lange nicht von der Finanzkrise erholen. Das änderte sich erst in den letzten Jahren mit dem quantitativen Lockerungsprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB). Betrachtet man das Wirtschaftsniveau, liegt das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) immer noch 5% unter seinem Vor-Krisen-Höchststand und die Industrieproduktion liegt fast 20% darunter. Die Arbeitslosigkeit bleibt mit etwa 11% hoch (gegenüber 6,5% im Jahr 2008), wobei etwa 32% der jungen Italiener ohne Arbeit sind (gegenüber 22% im Jahr 2008). Die Schulden des öffentlichen Sektors belaufen sich nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf rund 130% des BIP und liegen damit deutlich über der Maastricht-Grenze von 60%.

Doch es gibt Anzeichen einer Erholung: Mitte 2015 überschritt das nominale Wachstum erstmals seit 2008 den Nominalzins und führte so zu einem Schuldenabbau, so dass die italienische Wirtschaft weiterwachsen kann. Das reale BIP-Wachstum wurde zur gleichen Zeit positiv und stieg kontinuierlich auf +1,4% im Jahresvergleich. Die Arbeitslosigkeit erreichte 2013 ihren Höchststand von 12,5% und geht langsam zurück, wobei die Jugendarbeitslosigkeit mit rund 45% zeitgleich ihren Höhepunkt erreichte und nun ebenfalls rückläufig ist. Die Staatsverschuldung ist seit 2015 konstant und der IWF erwartet für die nächsten sechs Jahre einen Rückgang.

Dieser Wandel kommt jedoch für viele Italiener nicht schnell genug und die Koalition strebt eine Politik an, von der sie glauben, dass sie die Erholung beschleunigen wird. Zu den wichtigsten Punkten gehören ein universelles Grundeinkommen für Arbeitslose und Einkommensschwache, Steuersenkungen und Vereinfachung der Steuergesetze sowie die Senkung des Rentenalters durch Streichung der Rentenreform von 2011.

Wir glauben, dass dies etwa 110 Mrd. Euro – oder 6,5% des BIP von 2017 – kosten wird, die laut Regierung durch einen Wachstumsschub finanziert werden sollen. Obwohl eine expansive Fiskalpolitik in der Regel das Wachstum ankurbelt, erhöht sie nach unseren Schätzungen aber auch die Renditen für Staatsschulden um etwa 25 Basispunkte für jedes Prozent vom BIP für zusätzliche Ausgaben.

Versteckte Risiken im Bankensektor
Und das ist nicht alles: Auch das italienische Bankensystem gibt weiter Anlass zur Sorge. Die lokalen Banken halten hohe Bestände inländischer Staatsanleihen und sind daher gefährdet, sollten Anleihenrenditen, etwa aufgrund einer umfangreichen fiskalischen Expansion, stark steigen. Laut einem kürzlich erschienenen BIS-Bericht handelt es sich bei 18% der Vermögenswerte italienischer Banken um inländische Schuldtitel, die größten Bestände in einem Bankensystem der entwickelten Welt (Spanien und Japan folgen mit jeweils 14%). Die Bank von Italien wies in ihrem jüngsten Bericht zur Finanzstabilität auch anekdotisch darauf hin, dass "weniger bedeutende Banken" (also Banken, die nicht direkt von der EZB beaufsichtigt werden) einen größeren Anteil ihres Vermögens in inländischen öffentlichen Schuldtiteln halten als das Bankensystem insgesamt.

Dies deutet darauf hin, dass im italienischen Bankensystem weitere Risiken lauern. Selbst wenn die Solvabilitäts- und Liquiditätsquoten einzelner Banken einer Herabstufung der Staatsanleihen und der daraus resultierenden Abwertung des Eigenkapitals standhalten können, wird der Druck auf ihre Bilanzen wohl zu einer Verschärfung der Kreditbedingungen führen und die Kreditvergabe zur Unzeit einschränken.

Aufgrund dieser Risiken haben wir italienische Vermögenswerte vollständig aus unseren europäischen und globalen Aktienportfolios genommen. Auch in unseren Mischfonds halten wir nur noch ein minimales Engagement.

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*) Salman Baig ist Investment-Manager, Cross Asset Solutions, bei UNIGESTION.