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Kommentar: „America first“-Strategie wirft bereits ihre Schatten an den Märkten

Mit der Vereidigung von Donald Trump am 20. Januar 2025 zum 47. Präsident der Vereinigten Staaten ist keine grundlegende Veränderung der wirtschaftlichen Ausrichtung zu erwarten, sondern vielmehr eine Fortsetzung seiner politischen Agenda, die er bereits im Wahlkampf sowie durch mehrere Ankündigungen nach der Wahl skizziert hat.

Michel Saugné

Trump setzt weiterhin auf seine „America First“-Strategie, die eine Kombination aus Deregulierung, Steuererleichterungen, restriktiveren Einwanderungsgesetzen und Zollbarrieren beinhaltet. Diese Maßnahmen sollen nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft stärken, sondern auch den nationalen Arbeitsmarkt ankurbeln und den Fokus stärker auf inländische Produktionskapazitäten legen. Trump hat seit der Wahl bereits die Weichen gestellt, um seine politischen und wirtschaftlichen Visionen mit voller Kraft zu verfolgen.

Von USA dominierte Weltwirtschaft
Die Aussichten, dass er seine Agenda durchsetzen kann, stehen derzeit sehr gut. Die Republikaner haben im Kongress eine stabile Mehrheit, sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus, die voraussichtlich bis zu den nächsten Midterm-Wahlen im November 2026 halten wird. Diese parlamentarische Unterstützung gibt Trump die nötige Rückendeckung, um seine geplanten Reformen zügig umzusetzen. Schon während des Wahlkampfs und in den ersten Wochen nach der Wahl war eine deutliche Marktreaktion zu beobachten: In der Woche der US-Wahlen stieg der US-Small-Cap-Aktienindex um mehr als neun Prozent. In der Folge kletterte der Bitcoin erstmals über die Marke von 100.000 US-Dollar. Diese Entwicklungen zeigen das Vertrauen der Märkte in die Wirkungskraft von Trumps Ankündigungen in Bezug auf seine künftige Wirtschaftspolitik.

Vor allem kleinere US-Unternehmen, die hauptsächlich auf den Binnenmarkt ausgerichtet sind, dürften von den angekündigten Maßnahmen stark profitieren. Die Einführung oder signifikante Erhöhung von Zöllen auf Importe könnte den Wettbewerbsdruck auf inländische Firmen verringern, die sich primär auf die US-Nachfrage konzentrieren. Unternehmen, die in den USA produzieren und weniger auf den internationalen Handel angewiesen sind, könnten von einer gestärkten Nachfrage nach heimischer Produktion und Arbeitskräften profitieren. Dies würde auch vor- und nachgelagerte Wirtschaftszweige wie die Logistik- und Bauindustrie ankurbeln. Es ist zu erwarten, dass auch die Arbeitslosigkeit in diesen Sektoren sinken könnte, da die Stimulierung der inländischen Produktion zusätzliche Arbeitsplätze schaffen dürfte.

Weckruf für Europa
Auf der anderen Seite steht Europa, das auf den ersten Blick als der große Verlierer der US-Wahlen erscheint. Es steht zu befürchten, dass Europa in den kommenden Jahren an wirtschaftlicher Dynamik verliert, wenn es nicht gelingt, sich als gemeinschaftlicher Wirtschaftsraum neu zu positionieren und strategisch besser auf die globalen Herausforderungen zu reagieren.

Ein Gradmesser für das zunehmende Ungleichgewicht ist die steigende Renditedifferenz zwischen den zehnjährigen französischen Staatsanleihen und deutschen Bundesanleihen, die Ende November auf den höchsten Stand seit 2011 kletterte. Diese Differenz spiegelt das wachsende Vertrauen der Märkte in die US-Wirtschaft und die Unsicherheit in Bezug auf die europäische Zukunft wider. Für Europa könnte dies ein Weckruf sein. Es gilt, den Herausforderungen einer von Trump dominierten Weltwirtschaft zu begegnen. Andernfalls könnte der europäische Markt im globalen Wettbewerb weiter ins Hintertreffen geraten.

An den Aktienmärkten sind diese Unterschiede bereits eingepreist: Die Differenz in der Bewertung von US- und europäischen Unternehmen bewegt sich auf einem historischen Allzeithoch. Hintergrund ist aktuell die erwartete Gewinnentwicklung: Während die Prognosen für US-Unternehmen für das Jahr 2025 von einem Gewinnwachstum von fast 15% ausgehen, erwartet man für Europa ein geringeres Tempo von rund 7%. Das spricht auf den ersten Blick klar für US-Aktien. Die meisten europäischen Aktien werden mit einem Bewertungsabschlag von 50% im Vergleich zu den US-Werten gehandelt. Ein anderer Vergleich unterstreicht die Dominanz der US-Börsen: Der US-Anteil am globalen Aktienmarkt war seit 75 Jahren nicht mehr so hoch wie aktuell. Wir sind damit sogar über den Niveaus des Nifty-50-Booms der 1960iger und 70iger Jahren und über den Niveaus zu Zeiten der Internetblase. Ab einem Punkt wirken die Bewertungen von europäischen Unternehmen, ja sogar von asiatischen Unternehmen im Vergleich zu den USA lächerlich gering.

Unsicherheiten an den Märkten steigen
Die europäischen Aktienmärkte sind aus gutem Grund fragiler und könnten sogar noch über längere Zeit günstiger bleiben oder sogar noch weiter sinken. Aber europäische Large-Cap-Unternehmen sind häufig global aktiv und wenig von der konjunkturellen Entwicklung in Europa abhängig. Irgendwann sollten internationale Investoren hier die Gelegenheit für einen einzigartig günstigen Einstiegszeitpunkt erkennen.

Anleger sollten die Bewertung allein jedoch nicht als zuverlässigen Indikator ansehen, zumindest nicht für einen Zeithorizont von einigen Monaten oder Quartalen. Die Börsenhistorie zeigt, dass eine derart hohe Bewertung langfristig ein zuverlässiger Indikator für magere zu erwartende Renditen ist: Seit 1933, als der von Nobelpreisträger Robert Shiller berechnete langfristige Bewertungsindex CAPE die Schwelle von 34 überschritt, waren die Börsenrenditen fünf Jahre später nie signifikant positiv. In den meisten Fällen waren sie sogar deutlich negativ.

Hinzu kommen weitere Risiken, die mit Trumps Politik einhergehen: Nach seiner Wahl hat der Dollar zugelegt. Das passt nicht zur Absicht von Trump und seinem Umfeld, die eigene Währung schwächen zu wollen, um die US-Industrie zu stärken. Die von Trump angekündigten Schritte bergen auch Risiken für die US-Wirtschaft. Zur Erinnerung: Auch nach der Wahl Trumps im November 2015 wertete der Dollar zunächst kräftig um rund 7% auf, ehe eine Gegenbewegung einsetzte. Auch sind die Inflationsgefahren in den USA nicht gebannt. Höhere Zölle könnten den privaten Konsum beeinträchtigen, der in den USA rund 68% zum BIP beiträgt. Vor diesem Hintergrund erachten wir ein Szenario der Disinflation auf Sicht der kommenden Monate als das wahrscheinlichste.

In Europa hingegen könnten sich 2025 auch kurzfristig Chancen ergeben, weil die Möglichkeit besteht, dass die EZB die Zinsen stärker senkt, als vom Markt erwartet wird. Denn der jüngste Inflationsanstieg im Euroraum im November kommt nicht überraschend. Aufgrund des Basiseffekts bei den Energiepreisen zum Jahresende tragen diese weniger zum Rückgang der Teuerung bei als noch vor einigen Monaten. Es gibt sogar eine positive Überraschung: Die Kerninflationsrate stieg nicht – wie erwartet – an, sondern verharrte auf 2,7%. Die Europäische Zentralbank (EZB) kann daher im kommenden Jahr ihre Zinssenkungen voraussichtlich fortsetzen. Den Startschuss hat sie noch im Dezember getätigt und damit insgesamt vier Zinssenkungsrunden im Jahr 2024 vollzogen.

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*) Michel Saugné, Co-CIO beim französischen Vermögensverwalter LFDE