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Kommentar: Deglobalisierung bietet ungeahnte Chancen

Anfang 2024 fassten viele meiner Gesprächspartner im angelsächsischen Raum ihre Sicht auf die Märkte mit der kurzen und prägnanten Aussage „The old topics are the new topics“ zusammen. Im Ausblick auf 2025 hat sich diese Einschätzung spürbar verändert. Innerhalb der „alten Themen“, die weiterhin relevant bleiben, beobachten wir in vielen Gesprächen eine neue, differenzierte Sichtweise.

Dr. Matthias Reicherter

Konsens herrscht darüber, dass die „4Ds“ – Deglobalisierung, Dekarbonisierung, Digitalisierung und der gesellschaftliche Wandel auf globaler Ebene, zusammengefasst unter den Schlagworten Demografie und sozialer Wandel – zu den langfristigen Makrotrends gehören, die nach wie vor intakt sind.

Deglobalisierung hat bereits begonnen
Eine zentrale Frage, die viele Investoren zunehmend beschäftigt, ist, wie sich insbesondere die Deglobalisierung auf alternative Anlagen auswirken wird. Seit David Ricardos Theorie der komparativen Kostenvorteile wissen wir, dass Handelsbeziehungen den globalen Wohlstand am meisten fördern, wenn sich jedes Land auf die Produktion der Güter spezialisiert, die es am effizientesten und kostengünstigsten herstellen kann. Doch in einer Phase der Deglobalisierung, in der wir uns bereits befinden, steigen die Kosten für alle Akteure. Freihandel bleibt deshalb – und das aus gutem Grund – langfristig für alle Beteiligten ein erstrebenswertes Ziel. Umso bedauerlicher und kontraproduktiver wirken die aktuellen protektionistischen Tendenzen in der Handelspolitik.

Das bedeutet jedoch keineswegs, dass es in einer Phase der Deglobalisierung keine Profiteure geben könnte – im Gegenteil. Unternehmen, die ihre Präsenz, Strukturen und Prozesse schneller als ihre Wettbewerber anpassen, können Marktanteile gewinnen und überdurchschnittlich wachsen. Vor diesem Hintergrund konzentrieren wir uns darauf, jene Unternehmen zu identifizieren, die in der Lage sind, gezielt vor Ort zu investieren, um Zollbarrieren zu umgehen oder lokal neue Produktionsstätten zu errichten.

Diese Entwicklung erzeugt eine eigene Dynamik, die Gewinner und Verlierer schafft. Daraus ergeben sich bereits heute bedeutende Chancen für alternative Anlagen, insbesondere im Bereich Private Equity – sowohl in den USA als auch in Europa.

Chancen für alternative Assets, speziell im Bereich Private Equity
Ein italienisches Portfoliounternehmen beispielsweise, das Design, Produktion, Testentwicklung und Testdurchführung für integrierte Schaltkreise sowie elektronische Leiterplatten anbietet, hat in den vergangenen drei Jahren fünf Zukäufe getätigt und seine Präsenz um sieben Standorte ergänzt, darunter vier in Zentraleuropa. Diese Akquisitionen ermöglichten dem Portfoliounternehmen den Zugang zu hochqualifizierten Fachkräften, die in europäischen Industrieclustern angesiedelt sind. Das Unternehmen überzeugt Kunden aus den Branchen Automotive, Healthcare und Industrieelektronik mit verbesserter Kundennähe, schnellerem Vor-Ort-Service sowie kürzeren Entwicklungs- und Lieferzeiten. Die europäische Expansion hat die führende Marktposition des Unternehmens weiter gefestigt.

Ein weiteres Beispiel stammt aus dem pharmazeutischen Sektor: Ein Unternehmen, das als CDMO (Contract Development and Manufacturing Organization) umfassende Dienstleistungen von der Arzneimittelentwicklung bis zur Herstellung anbietet, hat durch gezielte Onshoring-Investitionen seine Kundenbindung gestärkt. Dies spiegelt den Trend wider, dass Kunden ihre Lieferketten neu organisieren und der Versorgungssicherheit heute mehr Bedeutung beimessen als in der Vergangenheit. Als Reaktion auf die Herausforderungen der Deglobalisierung hat das Unternehmen vier weitere Produktionsstandorte in den USA und der EU integriert, um näher bei seinen Kunden zu sein.

Auch im Bereich der Betreiber von Rechenzentren und Anbieter entsprechender Dienstleistungen zeigt sich ein deutlicher Trend zu Nearshoring und Onshoring, der bedeutende Investitionen erforderlich macht. Hier treffen zwei Megatrends aufeinander: die Digitalisierung und die Herausforderungen, die aus der Deglobalisierung und den geopolitischen Risiken resultieren.

Makro-Szenario berücksichtigt divergierende Zinsentwicklung in Europa und den USA
Wir bewegen uns in Richtung eines sich normalisierenden Makro-Szenarios auf Sicht der kommenden zwölf Monate. Dabei bleibt die Geopolitik ein potenzieller Störfaktor, der Entwicklungen unerwartet beeinflussen könnte. Wir gehen in Europa und den USA von einer divergierenden Zinsentwicklung aus. Ein wesentlicher Faktor wird sein, wie schnell und in welchem Umfang die von Donald Trump angekündigten neuen Zölle die globalen Warenströme umlenken. Nach derzeitigem Stand dürften diese zusätzlichen Zölle ab Mitte 2025 oder spätestens Anfang 2026 in Kraft treten.

Während die Wachstumsaussichten der europäischen Wirtschaft voraussichtlich unter diesen Entwicklungen leiden werden, zeichnet sich in den USA ein vielschichtigeres Bild ab. So beobachten wir bereits heute, wie sich die Anteile im Welthandel zunehmend verschieben: Der Anteil der Importe aus China an der Gesamteinfuhr der USA ist bereits seit einigen Jahren rückläufig, während Importe aus Ländern wie Mexiko und Vietnam zunehmen. Für die Vereinigten Staaten ist die Zinsentwicklung angesichts der inflationären Auswirkungen der wirtschaftspolitischen Agenda von US-Präsident Trump weniger eindeutig. In Europa hingegen halten wir weitere Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) für wahrscheinlich.

Bestandsinvestoren stocken auf
Im Markt für Alternative Investments ist es entscheidend, den Fokus nicht allein auf kurzfristige taktische Allokationen zu legen. Nachhaltiger Mehrwert entsteht durch die Analyse langfristiger Trends, die die Wirtschaft transformieren, und die Identifikation von Bereichen mit überdurchschnittlichem Wachstum und positivem Ertragsmomentum. Dieser Ansatz ist wegweisend für 2025 – und weit darüber hinaus.

Viele unserer Bestandsinvestoren haben dies ebenfalls erkannt: In unseren Gesprächen wird deutlich, dass sie bereit sind, erneut zu investieren und ihre Private-Markets-Allokationsquoten gegebenenfalls zu erweitern. Dies spiegelt das anhaltende Vertrauen in die langfristigen Potenziale Alternativer Investments und die Chancen wider, die auch in einem anspruchsvollen Umfeld bestehen.

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*) Dr. Matthias Reicherter, Chief Investment Officer, Golding Capital Partners