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Kommentar: Die Grenzgänger - welches Potenzial bieten Frontier Markets?

Fünf Jahre Frieden und wachsender Wohlstand: Die Entwicklung vieler Grenzmärkte weckt Erinnerungen an den Schwellenländer-Boom Anfang des Jahrtausends. Eine homogene Anlageklasse sind ihre Aktienmärkte aber bis heute nicht, sodass aktives Management gefragt bleibt.

Oliver Bell

Die Entwicklung der Frontier Markets in den vergangenen fünf Jahren weist eine verblüffende Ähnlichkeit zu derjenigen der Schwellenländer Ende der neunziger Jahre auf. Die Volkswirtschaften, die noch unterhalb der Schwellenländer, aber eben an der Grenze zu ihnen rangieren, zeichnen sich durch starke strukturelle sowie vielfach länderspezifische Wachstumsfaktoren aus. In vielen von ihnen lässt sich eine klare Entwicklung zu Frieden, einem besseren politischen Umfeld, steigenden Investitionen und Wachstum beobachten.

Auf der strukturellen Seite ist die Friedens-Dividende der bei weitem bedeutsamste Faktor: Betrachtet man die neunziger Jahre, befanden sich fast 50 der Länder im Krieg oder einem sonstigen Konflikt. In den vergangenen Jahren gab es dagegen nur noch eine Handvoll kleinerer Unruhen in den Frontier Markets.

Diese Ausbreitung des Friedens war Grundvoraussetzung für jegliches reales Wirtschaftswachstum und die dafür benötigten Investitionen. Ermutigt hat darüber hinaus ein vielfach friedlicher Übergang hin zu demokratisch legitimierten Regierungen in den vergangenen Jahren, wie etwa in Pakistan und Nigeria.

Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass die Frontier Markets keinesfalls als homogene Anlageklasse betrachtet werden dürfen. Weiterhin weisen verschiedene Märkte zu verschiedenen Zeiten ganz unterschiedliche länderspezifische Risiken auf. In den vergangenen fünf Jahren gab es eine erhebliche Bandbreite in Hinblick auf politische Stabilität, wirtschaftliche Entwicklung, Zugang für ausländische Investoren, Umgang mit Corporate-Governance-Anforderungen und Wechselkursrisiken.

Gerade dieses heterogene Umfeld erlaubt aktiven Managern weiterhin, langfristige, benchmarkunabhängige Zusatzerträge zu erwirtschaften, die breiter aufgestellten, global oder auf Schwellenländer fokussierten Investoren entgehen.

Die folgenden sechs Grenzmärkte bieten besondere Aussichten für die kommenden Jahre:

Vietnam
2014 haben sich nicht viele Investoren für Vietnam interessiert. Das hat sich vor zwei bis drei Jahren schlagartig geändert, als das Land die Regeln für ausländischen Kapitalbesitz gelockert hat und ansehnliche Investitionen aus dem Ausland folgten.

Heute zählt das Wirtschaftswachstum Vietnams zu den höchsten der Welt: 2019 soll das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 6,5% wachsen – eine Rate, die durchaus nachhaltig erscheint. Denn Vietnam entwickelt sich zu einem internationalen Hotspot für multinationale Unternehmen, die neue Fertigungskapazitäten zu Niedrigkosten aufbauen wollen. Das gilt insbesondere für Firmen, die ihre Lieferkette von China unabhängiger machen möchten.

Die Gründe hierfür sind leicht ausgemacht: Lohnkosten unterhalb von 250 US-Dollar im Monat, dazu ein starkes Netzwerk aus Freihandelsabkommen und eine strategisch günstige geografische Lage.

Und da sich immer mehr Unternehmen außerhalb Chinas umsehen, sollte Vietnam auch weiterhin von entsprechendem Jobwachstum, steigenden Löhnen und einem wachsenden Immobilienmarkt profitieren. Insbesondere für die Sektoren Banken, IT, Konsum und Real Estate sind die Aussichten entsprechend gut.

Argentinien
Der Gezeitenwechsel begann in Argentinien im Jahr 2015, als Mauricio Macris marktfreundliche Regierung übernommen hatte. Eine ambitionierte Reformagenda war ein Schritt in die richtige Richtung, wenngleich im vergangenen Jahr Erinnerungen an die letzte Pleite des Landes im Jahr 2001 wach wurden: 2018 bedrohte neuerlich eine schon bekannte Kombination aus wachsender Schuldenlast, steigenden Zinsen und galoppierender Inflation die Liquidität des Landes.

Trotz wiederholter erheblicher Unruhen gab es am argentinischen Aktienmarkt etliche Lichtblicke. Als Ende 2017 die Risiken rund um den argentinischen Peso stiegen, waren etwa Unternehmen interessant, die einen maßgeblichen Anteil ihrer Erträge in US-Dollar erwirtschaften. Mit ihnen ließ sich der 50%-Einbruch des Gesamtmarkts immerhin ein wenig abfedern.

Wie es allerdings in Argentinien weitergeht, ist derzeit äußerst unsicher. Nach deutlichen Wahlverlusten für Präsident Macri in den Vorwahlen bleibt ein Sieg bei der Präsidentschaftswahl im Oktober ungewiss. Sein Gegenspieler Alberto Fernandez weiß Ex-Präsidentin Christina Kirchner an seiner Seite und lässt eine Rückkehr populistischer Politik befürchten. Das sorgt mindestens bis zum Wahltag für Verunsicherung und entsprechend volatile Märkte. Unsicher ist daher auch, ob die Wiederaufnahme in den MSCI Emerging Markets im Mai dieses Jahres von Dauer sein wird.

Nigeria
Nigeria ist vergangenes Jahr auf die Landkarte investierbarer Länder zurückgekehrt. Zuvor war die Wirtschaft zwei Jahre lang geschrumpft, vor allem weil die Zentralbank sich unwillig zeigte, eine Abwertung der Währung zuzulassen, die angesichts einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen angebracht gewesen wäre.

Mittlerweile aber hat die Stabilität des Ölpreises der nigerianischen Wirtschaft neues Leben eingehaucht, zumal sich parallel die Daten zum privaten Konsum verbessern. Dadurch wurde insbesondere der Bankensektor attraktiv: Im Jahr 2017 wurden Banken zu Bewertungen gehandelt, die nahegelegt haben, dass die meisten von ihnen pleitegehen würden – eine zu pessimistische Sichtweise, wie sich herausstellen sollte.

Auch wenn das volkswirtschaftliche Umfeld heute deutlich besser aussieht, bleiben allerdings Anfälligkeiten bestehen. Das betrifft vor allem die Währung, die häufig noch weitab vom offiziellen Wechselkurs gehandelt wird. Und obwohl es durchaus möglich erscheint, ist doch noch unsicher, ob Präsident Muhammadu Buhari in seiner zweiten Amtszeit den nötigen Schwerpunkt auf wirtschaftlichen Fortschritt legen wird.

Bangladesch
Das Land erlebt einen monumentalen Wandel. Über das vergangene Jahrzehnt hat sich das BIP pro Kopf auf 1.500 US-Dollar fast verdoppelt; die ausländischen Direktinvestitionen haben sich verdreifacht, und die Exportquote liegt nicht weit unter 20%. Zudem stieg die Alphabetisierungsrate von 47% auf 73%, und nach einer Verdreifachung der Energieproduktion haben mittlerweile 90% der Bevölkerung Zugang zur Energieversorgung.

Wirtschaftliche Reformen haben das Potenzial, den Exportsektor noch weiter zu entwickeln. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Niedriglohn-Fertigung sich zunehmend aus China nach Bangladesch, Kambodscha, Myanmar und Vietnam verschiebt.

Dabei entwickelt sich in Bangladesch eine Mittelschicht, die bereits jetzt fast 19 Mio. Menschen umfasst und jährlich um mehr als 10% wächst. Das hat entscheidende Folgen für die Wachstumsaussichten der meisten Konsumgüterproduzenten. So hat sich beispielsweise der Markt für verpackte Nahrungsmittel in den vergangenen zehn Jahren auf fast 4 Mrd. US-Dollar verdreifacht.

Saudi-Arabien
Genau wie Argentinien wurde Saudi-Arabien kürzlich in den MSCI Emerging Markets aufgenommen. Angesichts der Größe und Liquidität seines Aktienmarkts wird das Land indes eine bedeutendere Gewichtung im Index von rund 3% haben.

Neben der Aufnahme in den Index, die über entsprechende ETFs und andere Benchmark-Investoren viel Kapital in den Aktienmarkt spült, sprechen seit einiger Zeit weitere Gründe für saudi-arabische Aktien. Dazu zählen vor allem umfangreiche Reformen und der ambitionierte „Vision 2030“-Plan, der auf eine Verringerung der Abhängigkeit von Erdöl-Exporten abzielt.

Hinsichtlich der Sektoren waren Banken ein Highlight. Sie haben von einer Reihe Erhöhungen des lokalen SAIBOR-Zinssatzes profitiert, der im Grunde ein Spiegelbild desjenigen der US-Notenbank ist – schließlich ist die Währung Saudi-Riyal an den US-Dollar gekoppelt. In Verbindung mit steigenden Staatsausgaben hatten die Zinserhöhungen eine positive Entwicklung des Kreditwachstums zur Folge.

Kuwait
Anders sah es in den vergangenen Jahren in Kuwait aus. Der dortige Bankensektor hat trotz einer relativ stabilen Volkswirtschaft stark unter den Folgen der Finanzkrise gelitten, sodass die Rendite-Risiko-Profile in anderen Frontier Markets Asiens, aber auch in Argentinien deutlich attraktiver erschienen.

In diesem Jahr sieht es für den Bankensektor des Landes erstmals positiver aus: Die Fundamentaldaten haben sich deutlich verbessert, und es gibt einige interessante Geschäftsmodelle in den Bereichen Islamic Banking und Fintech. Gleichzeitig sollten etliche große Infrastrukturprojekte und weitere umfangreiche Staatsausgaben den Markt stützen.

Eine unterrepräsentierte und unterkapitalisierte Anlageklasse
Genau wie ein großer Teil der Schwellenländer in den vergangenen Jahrzehnten haben nun viele Frontier Markets dank der Liberalisierung von Wirtschaft und Kapitalmärkten eine enorme wirtschaftliche Entwicklung durchlaufen. Trotzdem sind die Grenzmärkte als Anlageklasse in den meisten Portfolios unterrepräsentiert und damit vielfach unterkapitalisiert. Bis heute wird das potenzielle Ausmaß des Wachstums dieser Märkte von der aktuellen Marktkapitalisierung überhaupt nicht widergespiegelt. Es ist aber zu erwarten, dass sich das in den kommenden Jahren ändern wird.

Hinzu kommt, dass die Anlageklasse nur eine geringe Korrelation sowohl zu den Schwellenländern als auch zu den Industrienationen aufweist. Gründe dafür sind die spezifische Natur ihrer Volkswirtschaften und ihre relative Unabhängigkeit von globalen Konsum- und Handelszyklen.

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*) Oliver Bell ist leitender Portfolio Manager und Vorsitzender des Advisory Committee für die Middle East & Africa Equity Strategy und für die Frontier Markets Equity Strategy bei T. Rowe Price. Vor seinem Wechsel zu T. Rowe Price im Jahr 2011 war er 14 Jahre lang für Pictet tätig. Bell arbeitet in London und interessiert sich in seiner Freizeit für Cricket und Skilaufen.