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Kommentar: Die Letzten werden die Ersten sein

In der öffentlichen Wahrnehmung werden die Perspektiven der Länder der Peripherie häufig unterschätzt. Dabei haben diese Länder ein beachtliches Reformprogramm hinter sich gebracht. Dies sollte sich beim kommenden Aufschwung bemerkbar machen. Die Erfahrungen mit dem Reformprogramm in Deutschland um die Jahrtausendwende zeigen zwei Dinge: Bis es zu einem spürbaren Anstieg der Beschäftigung kommt, braucht es viel Zeit. Und: Die Kapitalmärkte nehmen die Reformen bereits deutlich früher vorweg.

Dr. Martin Moryson

„The fundamental things apply as times go by“ – das weiß der Kinobesucher bereits seit 1942 aus dem Film Casablanca. Was kann man mit dieser Erkenntnis bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Aussichten in der Eurozone anfangen?

Die Länder der Peripherie haben – bei aller berechtigten Kritik im Detail – seit dem Ausbruch der Finanzkrise eine beachtliche Reformagenda abgearbeitet. In regelmäßigen Abständen erarbeiten die Volkswirte der OECD Reformagenden für ihre Mitgliedsländer und evaluieren, wie weit die Länder bei der Umsetzung gekommen sind. Die Graphik zu den Reformfortschritten in der EU (sh. pdf am Textende) spricht für sich: Die meisten Reformen haben in der Peripherie stattgefunden (was allerdings auch bitter nötig war), während sich Deutschland offensichtlich auf den Lorbeeren ausruht, deren Grundstock mit zahlreichen Reformen vor über einem Jahrzehnt gelegt wurde.

Zwei volkswirtschaftliche Lehren kann man aus den Erfahrungen von damals ziehen. Erstens: Reformen lohnen. Zweitens: Es braucht Zeit (und einen Aufschwung), bis sie wirken, vor allem auf dem Arbeitsmarkt.

Insbesondere Spanien und Portugal haben bereits an Wettbewerbsfähigkeit hinzugewonnen, während Italien und Frankreich noch einen längeren Weg vor sich haben. Die Lohnstückkosten und in der Folge auch die Exporte haben sich auf der iberischen Halbinsel zuletzt sehr positiv entwickelt. Wenngleich das Wachstum im ersten Quartal etwas enttäuschte, so legen unter anderem die letzten Zahlen zur Industrieproduktion nahe, dass das zweite Quartal wieder deutlich besser aussehen wird. Inzwischen geht die (immer noch besorgniserregend hohe) Arbeitslosigkeit leicht zurück und – das ist noch wichtiger – es kommt sogar zu einem leichten Beschäftigungsplus, wie die letzten Zahlen von Eurostat zeigen.

Sollte also die Lehre aus Deutschland, dass sich Reformen lohnen, übertragbar sein, dann dürften im aktuellen Aufschwung die Länder der Peripherie – vor allem Spanien und Portugal – volkswirtschaftlich relativ gut „performen“.

Und noch eine Lehre kann man aus dem deutschen Vorbild ziehen: So wie der Arbeitsmarkt ein nachlaufender Indikator ist, so sind die Kapitalmärkte eher vorlaufende Indikatoren. Die relativ bessere Performance deutscher Aktien gegenüber den anderen europäischen Börsen begann bereits im Jahr 2003, also lange bevor die Reformerfolge realwirtschaftlich sichtbar waren.

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*) Dr. Martin Moryson ist
Chefvolkswirt bei Sal. Oppenheim jr. & Cie. AG und Co. KGaA.