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Kommentar: EZB: Nächster Halt Juni

Auch wenn der Marktkonsens mittlerweile viel vernünftiger aussieht, werden die wohl im Juni beginnenden Zinssenkungen der EZB wahrscheinlich nicht so aggressiv ausfallen, wie es die Märkte für 2024 immer noch erwarten.

Konstantin Veit

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Fortschritte bei der Inflationseindämmung zur Kenntnis genommen, die Leitzinsen auf ihrer jüngsten Sitzung im März aber unverändert bei vier Prozent belassen. Etwaige Zinssenkungen wurden nicht thematisiert. Erneut äußerte sich die EZB optimistisch zur Inflationsentwicklung in der Eurozone, von einer Siegeserklärung nahm der EZB-Rat jedoch Abstand. Stattdessen will die EZB die verschiedenen inflationstreibenden Kräfte aufmerksam weiterverfolgen und die Inflation wieder auf den Zielwert von zwei Prozent bringen.

Die Märkte haben seit Ende des letzten Jahres mehr als drei Zinssenkungen wieder ausgepreist. Der Marktkonsens sieht jetzt viel vernünftiger aus und entspricht mit in etwa vier erwarteten Zinssenkungen nun eher unseren Prognosen von insgesamt drei Zinssenkungen in diesem Jahr. Daher fallen auch unsere Vorbehalte gegenüber der Marktmeinung inzwischen etwas geringer aus. Unsere Skepsis begründet sich auf den nach wie vor robusten Arbeitsmarkt, die hartnäckige Dienstleistungsinflation, die lockeren Finanzbedingungen sowie das Restrisiko erneuter Lieferkettenprobleme – all diese Faktoren lässt die EZB in ihr Risikomanagement einfließen.

Die derzeitige Entscheidungsfindung des EZB-Rats beruht auf den Inflationsaussichten, den zugrundeliegenden Dynamiken sowie dem Faktor, wie und wann Maßnahmen sich in der Realwirtschaft durchschlagen. Deshalb glauben wir, dass der Zinssenkungszyklus auf einem der Projektions-Meetings eingeläutet werden könnte – und das nächste Live-Meeting findet im Juni statt. Sobald die EZB mit Zinssenkungen beginnt, wird sie unserer Ansicht nach vorsichtig und in konventionellen Schritten von 25 Basispunkten vorgehen. Zumindest sofern die Datenlage nicht mittelfristig auf ein Unterschreiten des Inflationsziels hindeutet.

Was die Investmentimplikationen angeht, so sind wir bei den aktuellen Bewertungen gegenüber der europäischen Duration auf kurze Sicht weitgehend neutral eingestellt. Angesichts des hohen Emissionsbedarfs schwächt das Ende der Reinvestitionen das relative technische Bild für Staatsanleihen und spricht für einen anhaltenden Wiederaufbau der Laufzeitprämien. Wir gehen davon aus, dass die Performance am langen Ende der Zinskurve hinter den kürzeren Laufzeiten zurückbleiben wird.

Zinssätze: Die Lohnentwicklung hält den Schlüssel
Der EZB-Rat will unserer Ansicht nach den Prozess der Inflationssenkung zunächst noch weiter vorantreiben, bis er genug Zuversicht hat, dass die Inflation rechtzeitig und nachhaltig den Zielwert erreicht. Aus diesem Grund verkündet der Rat noch keinen genauen Fahrplan für die Zeit nach März, sondern setzt in einem unsicheren Umfeld weiterhin auf ihren bisherigen datenabhängigen Ansatz und entscheidet von Sitzung zu Sitzung.

Die makroökonomischen Prognosen der EZB-Verantwortlichen veranschlagen, dass sich die Gesamtinflation für die Jahre 2025 und 2026 nahe dem Zielwert bewegen wird. Dennoch gibt es Bedenken angesichts der hartnäckigen Dienstleistungsinflation sowie dem immer noch hohen Lohnwachstum. In ihren Prognosen vom März geht die EZB davon aus, dass das Lohnwachstum im Jahr 2024 bei 4,5% im Jahresvergleich liegen wird, um dann auf 3,6% im Jahr 2025 beziehungsweise 3,0% im Jahr 2026 zu fallen. Diese Zahlen liegen nach wie vor deutlich über dem langfristigen Durchschnitt von 2,1% und das derzeitige Lohnwachstum liegt derzeit klar über jeglichen Gleichgewichtsraten.

Zwar hat sich das Lohnwachstum im vierten Quartal im Vergleich zum dritten Quartal etwas abgeschwächt, doch bleibt es nach wie vor hoch. Außerdem deuten mehrere Lohnindikatoren der EZB auf ein anhaltend starkes Lohnwachstum hin. Zudem finden die wichtigsten Lohnerhöhungen in der Regel im ersten Quartal des jeweiligen Jahres statt. Trotz der stärksten geldpolitischen Straffung in der Geschichte des Euroraums von 450 Basispunkten in etwas mehr als einem Jahr liegt die Arbeitslosenquote auf einem historischen Tiefstand von 6,4%. Das ist deutlich unter dem Niveau vor der Pandemie und unter den Schätzungen der inflationsunabhängigen Arbeitslosenquote (NAIRU) für den Euroraum.

Die weitere Lohnentwicklung im Jahr 2024 wird daher ausschlaggebend für die Anzahl der Zinsänderungen in diesem Jahr sein. Die Zahlen für das erste Quartal werden von vielen Ländern aber erst gegen Ende April veröffentlicht.

EZB-Bilanz: Das Warten auf die neue Leitlinie zur Steuerung der Kurzfristzinsen
Wir gehen nicht von einem kategorischen Ausschluss des Verkaufs von Anleihebeständen seitens der EZB aus – weder im Rahmen des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) noch des Pandemie-Notkaufprogramms (PEPP). Doch sind wir der Meinung, dass sie sich weiterhin auf eine passive Reduzierung der Reinvestitionen konzentrieren wird. Solange die EZB nicht gezwungen ist, die Leitzinsen aggressiv in Richtung Null zu senken, halten wir die Hürde für eine Änderung ihrer Reinvestitionsstrategie für sehr hoch.

Längerfristig wird die Reinvestitionspolitik der EZB möglicherweise von der Ausgestaltung der neuen operativen Leitlinie zur Steuerung der kurzfristigen Zinssätze beeinflusst werden. Die EZB will diese Überprüfung per 13. März abgeschlossen haben.

Wir gehen nach wie vor davon aus, dass die EZB die derzeitige Regelung für überschüssige Liquidität institutionalisieren wird, wahrscheinlich über ein nachfrageorientiertes Korridorsystem, bei dem die Banken unbegrenzten Zugang zu einer Reihe von besicherten Liquiditätsvorgängen haben. Darüber hinaus wird die EZB wahrscheinlich ein dauerhaftes Anleihenportfolio einrichten, das das PEPP als erste Verteidigungslinie der Übertragung ablösen könnte, was im Wesentlichen einen Übergang zu einer strukturellen Verteidigungslinie darstellt. Insgesamt sind wir der Ansicht, dass die Auswirkungen auf den Markt kurzfristig begrenzt sein dürften.

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*) Konstantin Veit, Portfoliomanager und Leiter der European Rates- und Short-Term Desks, PIMCO