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Kommentar: Nachhaltiges Investieren wird Gesetz

Während sich bei institutionellen Investoren erst langsam die Implikationen der seit 1. Januar 2018 in Kraft getretenen MiFID II-Regulation herauskristallisieren, rollt am Horizont bereits die nächste Regulationswelle heran. MiFID II stand unter dem Stern, mehr Transparenz für Investoren zu schaffen. Die neuen Vorstöße, welche unter den Akronymen ESG (Environmental, Social & Governance) oder RI/SF (Responsible Investment/Sustainable Finance) geführt werden, fokussieren sich auf Nachhaltigkeitsthemen entlang der gesamten Investitionskette.

In Frankreich wurde bereits per 1. Januar 2016 Artikel 173 in Kraft gesetzt, welcher von institutionellen Investoren erfordert, dass sie über die Art und Weise wie Nachhaltigkeitskriterien (zum Beispiel Klimawandel) im Anlageprozess berücksichtigt werden, detailliert Rechenschaft abzulegen. Wie dies genau auszusehen hat, ist nicht definiert und somit der Interpretation der Investoren überlassen. Eine erste Prüfung der Umsetzung ist für Ende 2018 vorgesehen.

Die Europäische Kommission hat das Thema ebenfalls aufgegriffen und eine Arbeitsgruppe (HLEG, High-Level Expert Group on Sustainable Finance) damit beauftragt, konkrete Vorschläge zu erarbeiten. Deren Vorschläge wurden Ende Januar 2018 in einem umfassenden Abschlussbericht publiziert. Nachgedoppelt wurde seitens der EU-Kommission dann gleich im März 2018 mit einem Aktionsplan für eine grünere und sauberere Wirtschaft.

Soweit so gut. In einem Zeitalter, wo Elektrofahrzeugpioniere als Marketingstunt ihre Fahrzeuge ins Weltall schießen und dabei unnötig Kerosin vernichten, ist es sicherlich angebracht, beim Investieren an die nächsten Generationen zu denken und Faktoren aus den Bereichen Umwelt, Soziales sowie Governance mit System in die Entscheidungsprozesse einfließen zu lassen. Was das Motiv dieser Bemühungen anbelangt, ist die EU-Arbeitsgruppe erfrischend ehrlich. Untenstehender Auszug aus dem Abschlussbericht illustriert, dass es nicht nur um Maßnahmen geht, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten und einen gesunden Planeten für die zukünftigen Generationen zu erhalten, sondern ganz offensichtlich auch die Entlastung der öffentlichen Finanzen angestrebt wird.

„The scale of the investment challenge is well beyond the capacity of the public sector alone. But to decisively address the funding shortfall, we are also looking into regulatory changes to mobilise the significant funding capacity of private capital.” (Quelle: ec.europa.eu/info/sites/info/files/180131-sustainable-finance-final-report_en.pdf, Seite 2)



Da sich die EU mit dem Pariser Abkommen und der 2030-Agenda ambitionierte Investitionspläne auferlegt hat, welche die öffentlichen Haushalte angesichts der immer noch hohen Schuldenlast kaum selber bewältigen können, sollen die Finanzströme der relevanten Kapitalmarktteilnehmer (Banken, Versicherungen, Pensionskassen, Vermögensverwalter, etc.) mehr oder weniger sanft in die erforderliche Richtung gelenkt werden. Man verspricht sich dadurch einen bilanzschonenden Vollzug der Investitionspläne - ohne das ebenfalls ratifizierte Fiskalziel (bekannt seit 2012 unter dem Namen Fiscal Compact) zu gefährden. Im Rahmen des Fiscal Compact haben sich die europäischen Staaten darauf geeinigt, die Schuldenquote bis 2033 wieder auf 60% zu reduzieren. Der Zielkonflikt, der sich hier offenbart, ist imminent.

Der Stein rollt – Herausforderungen für institutionelle Investoren
So einig man sich im Grundsatz ist, umso mehr Uneinigkeit besteht im Hinblick auf die konkrete Umsetzung. Der Aktionsplan der Arbeitsgruppe besteht aus einem umfassenden Katalog an Empfehlungen, welcher die Grundlage für eine entsprechende Verankerung in den nationalen Regulatorien bildet. Der Fahrplan sieht vor, dass bereits 2018 erste konkrete Schritte eingeleitet werden. So soll bis Mitte 2018 ein erster Legislaturvorschlag unterbreitet werden, um die Pflichten von institutionellen Anlegern in Bezug auf Nachhaltigkeitsaspekte zu klären.

Es überrascht kaum, dass die Pensionskassenverbände einzelner Länder die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsfaktoren bei der Asset Allokation zwar sehr wohl anerkennen, aber der angestrebten gesetzlichen Verankerung und Harmonisierung der Ansätze skeptisch gegenüberstehen. Auch implizieren die Vorstöße, dass institutionelle Investoren bisher ihre treuhänderischen Pflichten unzureichend oder zu wenig systematisch wahrgenommen haben. Diesen Vorwurf will niemand, der mit seiner täglichen Arbeit die Renten seiner Mitglieder auf Jahrzehnte hinaus zu gewährleisten hat, auf sich sitzen lassen.

Wenn wir die aktuellen Vorstöße aus Sicht des Kreditanalysten kritisch reflektieren, beobachten wir neben einigen sinnvollen auch einige verwunderliche Entwicklungen. Die übergeordneten Schlagwörter in der Mitteilung der EU-Kommissionen zum Aktionsplan sind Nachhaltigkeit und Langfristigkeit. Beide Aspekte sind im Bereich der Kreditanalyse aber auch bei der Auswahl adäquater Anlageinstrumente seitens langfristig orientierter Portfoliomanager traditionell zentrale Faktoren. Da es ja im Kern um nichts anderes geht, als die langfristige Vertrauenswürdigkeit eines Emittenten anhand sämtlicher verfügbaren Informationen möglichst akkurat einzuschätzen bevor der Anlageentscheid getroffen wird. Zu diesem Zweck werden im Rahmen der Kreditanalyse die Nachhaltigkeit des Geschäfts- und Finanzprofils auf Herz und Nieren geprüft sowie die Zuverlässigkeit des Schuldendiensts (Zinszahlungen) und der Rückzahlung eines gewährten Kredits/Darlehens evaluiert. Das Rating fasst die in der Analyse gewonnenen Einsichten in prägnanter und einfach zugänglicher Form zusammen. Prinzipiell gehörte die Berücksichtigung der Nachhaltigkeit somit schon immer zum Handwerk eines halbwegs seriösen Kreditanalysten.

Prozesse mit Augenmaß anpassen
Grundsätzlich schadet es nicht, die allgemeine Betriebsamkeit zur ESG-Thematik zum Anlass zu nehmen, einzelne Prozesse zu hinterfragen und nach Optimierungspotenzial Ausschau zu halten. So haben auch wir festgestellt, dass es bei der systematischen Berücksichtigung einzelner Faktoren durchaus noch Verbesserungspotenzial gibt. Dies haben wir im Rahmen eines Projekts adressiert und die entsprechenden Maßnahmen ergriffen. Die Herausforderung für institutionelle Investoren besteht analog nun darin, die internen Prozesse mit Augenmaß anzupassen, ohne dabei die Kosten überborden zu lassen. Viele Marktteilnehmer wittern nämlich schon das große Geschäft und wollen mit teuren, oft ideologisch gefärbten Modellen und Daten zweifelhafter Güte ein Stück vom grünen Kuchen ergattern.

Bei unserer internen Auslegeordnung sind wir auf eine Vielfalt von Ansätzen und Anbietern gestoßen, welche den Eindruck zu erwecken versuchen, dass gerade sie das richtige Instrument zur Erfüllung der moralischen und regulatorischen Anforderungen im Köcher hätten. Mitunter lässt sich aber der Eindruck kaum abschütteln, dass hierbei eine Art moderner Ablasshandel betrieben wird. Die Kosten für diverse von uns evaluierten Daten und Dienstleistungen sind horrend und halten einer vertieften Prüfung selten stand. Die Mehrkosten für die Erfüllung der Vorschriften fallen schlussendlich wieder bei den Sparern sowie aktiven und zukünftigen Pensionären an. Spätestens an dieser Stelle schließt sich der Kreis. Denn sollten die Rentengelder in ferner Zukunft trotz voller ESG-Konformität nicht ausreichen, fällt die Schlussrechnung in Form von erhöhten Sozialleistungen dann doch wieder beim Staat an.

Fazit
Während die meisten Hausbesitzer verstehen, dass man die Hypothek nicht reduzieren kann, wenn man gleichzeitig für die neue Solaranlage auf dem Dach einen Kredit bei der Bank beantragt, ist die Innovationskraft der Politik in Europa in dieser Hinsicht ungebrochen. Der Weg aus der vermeintlichen Zwickmühle führt in diesem Fall über das Anzapfen von privatem Kapital bei institutionellen Anlegern (Rentengelder, Spargelder, Reserven bei Versicherungen etc.), welche dank sanftem regulatorischen Druck die anvertrauten Gelder nun vermehrt in entsprechend verantwortungsvolle und grüne Projekte kanalisieren sollen. Eine entsprechende Kennzeichnung und Standards soll im Rahmen des Aktionsplans entwickelt werden.

Grundsätzlich ist die Frage gerechtfertigt, ob es Aufgabe der Politik ist, auf diesem Weg in das vermeintlich liberale Wirtschaftssystem mit intakten Geschäftsmodellen (zum Beispiel Vorsorgewerke und Pensionskassen) einzugreifen. Institutionelle Investoren, welche ihre treuhänderische Pflicht wahrnehmen, befassen sich traditionell mit Nachhaltigkeitsthemen, was nicht ausschließt, dass stets Luft nach oben besteht. In der Regel sorgt aber der Wettbewerb dafür, dass sich Marktteilnehmer stets verbessern und nicht die Auflagen des Regulators mit eigener Agenda. Wir bezweifeln daher, ob es sinnvoll und zielgerichtet sein kann, dass die EU eine Harmonisierung und rechtliche Verankerung verfolgt. Zumal historische Bestrebungen zur Gleichschaltung von Märkten, Produkten und Dienstleistungen mit wenig Erfolg gekrönt waren und in der Tendenz Innovationen verhindert sowie Oligopole zementiert haben.

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*) René Hermann ist Partner und verantwortlich für den Bereich Research bei Independent Credit View (I-CV). Bevor er 2009 zum Unternehmen stieß, war er als Senior Analyst für die Credit Suisse Group und unter anderem im Bereich Mergers & Acquisitions für Zurich Financial Services tätig. Hermann hat fundierte Kenntnisse der Finanzdienstleistungsindustrie und mehrjährige internationale Erfahrung in der Unternehmensbewertung.