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Kommentar: Nachhaltigkeit – nicht nur auf Ratings vertrauen!

Wohin es führen kann, wenn sich fast alle Investoren zu sehr auf die Urteile von Ratingagenturen verlassen, hat die globale Finanzkrise gezeigt. Es genügt schon, dass eine Handvoll Ratingexperten Fehlschlüssen aufsitzt und ihre Einschätzungen plötzlich revidieren muss, damit ein ganzer Markt auf dem falschen Fuß erwischt wird. Etwas ähnliches kann uns auch bei Nachhaltigkeits-Ratings drohen. Deswegen sollten Asset Manager sich nicht allein auf die Urteile der Agenturen verlassen.

Mustafa Sagun

Juliet Cohn

Inzwischen werden weltweit rund 40% der weltweiten Vermögenswerte unter Einbezug von Nachhaltigkeitskriterien verwaltet. Das entspricht einer Summe von 31 Billionen US-Dollar. Dazu gehören reine ESG-Fonds ebenso wie Ansätze, bei denen ESG-Kriterien in einen klassischen Investmentprozess integriert sind. Bei der Portfoliokonstruktion nutzen die Asset Manager meist Nachhaltigkeitsratings, um zu entscheiden, ob sich ein Wertpapier oder dessen Emittent unter Nachhaltigkeitsaspekten für ein Investment qualifiziert.

Das ist grundsätzlich sinnvoll, denn bei Nachhaltigkeits-Ratings geht es ebenso wie bei den klassischen Bonitätsratings um eines: einen komplexen Sachverhalt – in diesem Fall das Nachhaltigkeitsprofil eines Unternehmens – in einer eindeutigen Zahl oder Bewertung abzubilden und damit vergleichbar zu machen. Das kann Investoren Orientierung bei der Anlageentscheidung geben.

Doch was Orientierung geben soll, ist selbst schon Gegenstand einer schwierigen Entscheidung: die Auswahl der „richtigen“ Ratingagentur. Denn Agenturen, die Firmen unter Nachhaltigkeitsaspekten analysieren, bewerten und vergleichen, gibt es einige. Sie arbeiten mit höchst unterschiedlichen Ansätzen, Methoden und Daten. Zu den bekannten Namen in Deutschland zählen beispielsweise Sustainalytics und Oekom. Allerdings mischen auch die großen klassischen Ratingagenturen wie S&P, Fitch und Moody’s oder Indexanbieter wie MSCI und FTSE Russell mit eigenen Angeboten in diesem Markt mit.

Wir beobachten zudem, dass sich viele Investoren zu sehr auf die Nachhaltigkeitsratings verlassen, ohne weitere Überlegungen anzustellen. Dazu definieren sie zum Beispiel einen bestimmten Schwellenwert, welches Rating einer bestimmten Agentur ein Wertpapier aufweisen muss, um ins Portfolio zu kommen. Damit laden sie nicht nur einen Teil ihrer Verantwortung ab, sondern lagern letztlich auch einen Teil ihrer Investmentkompetenz an die jeweilige Agentur aus. Das ist aus drei Gründen problematisch.

Erstens haben Ratings einen sehr statischen Charakter. Das liegt in der Natur der Sache. Sie beziehen alle vorliegenden Informationen zu einem Stichtag ein und verdichten sie zu einer Bewertung nebst Rating-Report. Natürlich gibt es auch hier Raum für qualitative Einordnungen zur Entwicklung des jeweiligen Unternehmens, die wir als Investor sehr schätzen. Doch letztlich bleibt das Rating eine Stichtagsbetrachtung, die der Geschwindigkeit und Qualität von positiven – oder negativen – Entwicklungen nicht ausreichend Rechnung trägt. Dabei können auch Firmen mit einem stichtagsbezogen verbesserungswürdigen Rating eine Entwicklung aufweisen, die sowohl betriebswirtschaftlich als auch unter Nachhaltigkeitsaspekten ein Investment sinnvoll machen.

Zweitens arbeiten Nachhaltigkeitsratings vor allem auf Basis absoluter Maßstäbe. Wer schon heute hohe Nachhaltigkeitsstandards erfüllt, bekommt ein gutes Rating und wird von Investoren, die sich darauf verlassen, bevorzugt behandelt. Unternehmen, die nach heutigen Maßstäben in ESG-Kriterien schlecht abschneiden, aber einen ernsthaften Willen zur Verbesserung dokumentieren, fallen dabei durchs Raster. Dabei könnten Investoren gerade bei solchen Unternehmen mit ihrem Kapital viel bewirken, den Wandel beschleunigen und am Ende auch eine bessere Rendite einfahren.

Drittens schafft die wachsende Bedeutung der Nachhaltigkeitsratings neue systemische Risiken. Je mehr Investoren sich nur auf die Urteile der Ratings verlassen, desto mehr Investoren verlassen sich gleichzeitig auf dieselben oder ähnliche Grundannahmen. Das erhöht das Risiko von großen Fehlallokationen an den Märkten – also Blasen, die immer dann zu platzen drohen, wenn sich sicher geglaubte Grundannahmen der meinungsführenden Ratingagenturen überraschend als falsch erweisen. Das haben wir in der letzten Finanzkrise erlebt. Bei den Nachhaltigkeitsagenturen kann es zu dieser Situation auch kommen, denn auch hier rechnen wir damit, dass sich dieser Markt in den nächsten Jahren so weit konsolidieren wird, dass nur wenige große Anbieter überleben werden.

Das alles sind keine Argumente gegen Nachhaltigkeitsratings, sondern Argumente für deren richtigen Einsatz. Sie sind eine gute Hintergrundinformation für Anleger. Als solche können sie einen Investmentansatz validieren. Aber sie ersetzen eben nicht die gewissenhafte und umfassende Integration von ESG-Aspekten in den Investmentansatz.

Diese ESG-Integration muss auf einem fundierten hauseigenen Research aufbauen. Wir halten dabei wenig von der Trennung von Finanzanalyse und ESG-Analyse. Vielmehr sollten die Analysten, die sich bereits in der Tiefe mit Unternehmen und ihren Branchen auskennen, die im jeweiligen Umfeld relevanten Nachhaltigkeitsaspekte mitberücksichtigen. Als Treuhänder unserer Kunden legen wir dabei besonderen Wert auf die Governance-Dimension. Denn ein gut geführtes Unternehmen mit funktionierenden Kontrollmechanismen wird nicht nur den Shareholder Value maximieren, sondern automatisch auch die soziale Dimension sowie Umweltfragen sorgsam im Auge haben.

Wenn wir ein einzelnes Unternehmen untersuchen, honorieren wir mehr die Dynamik des Nachhaltigkeitsprofils als dessen absolutes Niveau. Dort wo der Raum für Verbesserungen und der bewiesene Wille zur Verbesserung zusammenkommen, entstehen große Chancen. Das gilt fürs nachhaltige Wirtschaften ebenso wie für die Rendite.

Zugleich sind wir davon überzeugt, dass Investoren in der Verantwortung stehen, sich für Verbesserungen aktiv einzusetzen. Es geht nicht darum, als aktivistischer Investor konkrete Maßnahmen einzufordern. Zwar gehört die gezielte Wahrnehmung von Stimmrechten oder auch der Verkauf von Beteiligungen ins Instrumentarium jeder Engagement-Strategie. Doch es geht im Kern darum, als eine Art Berater und Sparringspartner der Firmen Fragen zu stellen und Erfahrungen zu teilen. Die Frage „Was tut Ihr?“ bewirkt oft mehr als die Forderung „Ihr müsst…!“. Und wer Fragen stellt, erfährt meist mehr als beim blinden Vertrauen auf ein Nachhaltigkeits-Rating.

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*) Mustafa Sagun ist Chief Investment Officer, Juliet Cohn Portfoliomanager bei Principal Global Equities, einer Tochter von Principal Global Investors.