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Kommentar: Schwellenländeranleihen – viel Auswahl zwischen Aufschwung und Reformen

Die Schwellenländer sind der Überraschungshit 2016. Nach Jahren der wirtschaftlichen und politischen Krisen, in deren Folge sich Anleger enttäuscht von ihren früheren Lieblingsinvestments abgewandt hatten, feiern sie nun ein glänzendes Comeback. Seit Monaten – und erst recht seit dem Brexit-Referendum im Juni – fließt wieder mehr Kapital in die Emerging Markets als abgezogen wird, und zwar sowohl in Aktien als auch in Anleihen.

Claudia Calich

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen sind höhere Zinsen in den Industriestaaten immer noch Zukunftsmusik, die Investoren nach wie vor auf der Suche nach auskömmlichen Renditen. Zum anderen scheint auch die alte Kraft zurückzukommen: Die Rohstoffpreise sinken nicht mehr; vor allem der Ölpreis hat sich stabilisiert. In wichtigen Märkten wie Brasilien und Russland, die auch für das globale Wirtschaftswachstum von Bedeutung sind, dürfte sich die Konjunktur allmählich erholen. Somit hellen sich die Aussichten für die Schuldensituation und Kreditqualität in vielen Schwellenländern auf. Hat sich also die Qualität der gesamten Anlageklasse verbessert?

Kein einheitliches Bild
Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten, denn die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern sind enorm. Deshalb halte ich auch nicht viel von vereinfachenden Konzepten wie BRIC, sondern analysiere jedes Schwellenland separat. Gleichwohl kommt den wirtschaftlich wie politisch bedeutenden Ländern Brasilien, Russland, Indien und China eine besondere Rolle zu. Gerade Brasilien hat im vergangenen Jahr viel Aufmerksamkeit erregt. Nach der kürzlichen Amtsenthebung von Dilma Rousseff muss nun der neue Präsident Michel Temer das Land aus der Krise führen. Dabei kann er sich auf ein günstiges Umfeld stützen. Das Leistungsbilanzdefizit schrumpft zurzeit, und auch die Inflation wird allmählich schwächer. Diese beiden Trends haben bereits eine Rallye des brasilianischen Real und der lokalen Zinssätze ausgelöst, die es der Notenbank erlaubt haben, ihre US-Dollar-Anleihenkäufe wieder aufzunehmen. Für den Corporate Bond-Sektor ist das eine gute Nachricht. Für eine nachhaltige Erholung ist es jedoch unerlässlich, dass Temer möglichst schnell Reformen durchsetzt. Insbesondere die sozialen Sicherungssysteme müssen dringend erneuert werden, um die Schuldenlast des Landes unter Kontrolle zu bringen.

Russland ist in besonderem Maße abhängig von der Entwicklung des Ölpreises. Vor allem die Performance des Rubels korreliert typischerweise stark mit der Lage am Ölmarkt. Dadurch würde jeder erneute Rückgang des Ölpreises die Aussichten für Russland verschlechtern. Im Gegensatz dazu halte ich Indien schon seit Längerem für interessant, da es von niedrigen Rohstoffpreisen profitiert und überdies nur begrenzt vom schwächeren Wachstum in China betroffen ist. Die Schuldenlast ist zwar ziemlich hoch, aber da ein Großteil davon in Lokalwährung denominiert ist, ist sie dennoch tragbar. Die Inflation liegt bei rund sechs Prozent und dürfte sich noch weiter in Richtung der angestrebten Marke von vier Prozent bewegen. Indiens Premierminister Narendra Modi hat seit seiner Wahl 2014 einige sinnvolle Reformen durchgesetzt. Diese sind am Markt und in den Preisen indischer Anleihen allerdings schon berücksichtigt.

Gefährlicher Protektionismus
Problematisch ist die neue Tendenz zu protektionistischen Maßnahmen einzelner Länder. Viele Anleger sind besorgt, dass der Brexit zu Handelsbarrieren führen und somit das Wirtschaftswachstum nicht nur in Großbritannien und Europa, sondern auch global bremsen könnte. Darunter würden ebenso die Schwellenländer leiden. Für China wäre Donald Trump, sollte er tatsächlich die Wahl zum US-Präsidenten gewinnen, eine weitere protektionistische Gefahr. Er hat bereits angekündigt, dass er die derzeitige Handelsbeziehung der USA zu China ändern will. Doch Einfuhrzölle oder andere Importbarrieren für chinesische Waren könnten eine Gegenreaktion aus China hervorrufen und die Wirtschaft beider Märkte stören. Immerhin ist China derzeit der größte Lieferant von Importgütern in die USA und gleichzeitig der drittgrößte Exportmarkt für die Amerikaner. Wie stark die Auswirkungen für China sind, hängt letztlich davon ab, ob auch der Renminbi und der Finanzsektor getroffen würden. Im Falle eines Handelskrieges zwischen den USA und China wären kleinere und offenere Länder, wie Malaysia, Singapur und Taiwan, deutlich stärker beeinträchtigt und müssten vermutlich ihre Währungen abwerten.

Investieren entlang des gesamten Spektrums
Angesichts dieser sehr unterschiedlichen Ausgangslagen müssen sich Anleger eher fragen, ob sie für ihr Engagement in einem ganz bestimmten Schwellenland angemessen kompensiert werden. Ich war immer der Ansicht, dass bei derart dynamischen Entwicklungen ein flexibler Investmentansatz nötig ist, um sich zwischen verschiedenen Alternativen zu bewegen und unattraktive Marktbereiche vermeiden zu können. Da die Streuung der Erträge zwischen Hart- und Lokalwährungsanleihen sowie zwischen Staats- und Unternehmensanleihen der Schwellenmärkte in den letzten Jahren stark zugenommen hat, wäre eine Fokussierung auf nur eines dieser Segmente heute nicht mehr sinnvoll. Vor allem durch das starke Wachstum von Unternehmensanleihen in den letzten Jahren über Länder und Branchen hinweg existiert inzwischen ein breites Universum an Möglichkeiten, eine sorgfältige Kreditanalyse immer vorausgesetzt. Damit werden auch Anlagen in Ländern möglich, in denen der Staat keine investierbaren Titel begibt. Außerdem kann es attraktiv sein, in Anleihen von Unternehmen zu investieren, die in einem Schwellenland ansässig sind, aber über Einkommensströme aus Industriestaaten oder aus mehreren Regionen verfügen.

Am aktuellen Punkt des Konjunkturzyklus müssen vor allem die Risiken sorgfältig gesteuert werden. Emittenten mit schlechten Ergebnissen oder Ausfallkandidaten sollten – trotz hoher Renditen – gemieden werden. Wenn dies gelingt, können Anleger hoffnungsfroh in die Zukunft blicken.


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*) Claudia Calich ist Managerin des M&G Emerging Markets Bond Fund.