Foundation | Welcome

Menu


Kommentar: Strafzölle auf EU-Automobile – wie modelliert man die Marktauswirkungen?

Nach der jüngsten Annäherung im Handelskonflikt zwischen den USA und China ist Europa erneut ins Fadenkreuz der Trump-Administration gerückt. Auch wenn die Entscheidung über Strafzölle auf europäische Automobile zunächst bis November auf Eis gelegt wurde und der Fokus momentan eher auf Lebensmittelimporten liegt, bleibt die Gefahr jedoch weiterhin bestehen. Insbesondere die deutsche Wirtschaft, die ohnehin schon von Rezessionsängsten geplagt wird, würde dabei außergewöhnlich hart getroffen. Defensivere Sektoren, hochqualitative Staatsanleihen und sichere Währungen dürften hingegen von einer Flucht in Qualitätstitel profitieren.

Christoph V. Schon

Als Donald Trump Mitte Juni 2018 zum ersten Mal die Möglichkeit von Sonderabgaben auf Autoimporte aus der Europäischen Union ins Gespräch brachte, brach der deutsche Aktienmarkt über die folgenden zwei Wochen um 6% ein. Die Automobilhersteller erlitten dabei mit einem durchschnittlichen Kursverfall von 12% die heftigsten Verluste. Die Begründung war seinerzeit, dass Fahrzeuge aus der EU ein potenzielles Risiko für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten darstellen könnten. Die amerikanische Regierung gab daraufhin beim US-Handelsministerium eine entsprechende Untersuchung in Auftrag, und der Präsident hatte bis Mitte Mai diesen Jahres Zeit, eine Entscheidung über eventuelle Strafzölle von bis zu 20% zu treffen. Trotz des schlussendlichen Aufschubs der Entscheidung um weitere sechs Monate bleibt die Unsicherheit nach wie vor bestehen.

Indikatoren weisen auf Rezession
Die Einführung solcher Zusatzabgaben würde die deutsche Wirtschaft aufgrund ihrer starken Abhängigkeit von der Automobilbranche besonders hart treffen, insbesondere in einer Zeit, in der Wirtschaftsbosse und Anleger ohnehin von Rezessionssorgen geplagt werden. Trotz spektakulärer Kursgewinne von über 17% im ersten Halbjahr 2019 zeigen alle wichtigen Wachstumsindikatoren (ifo, ZEW und Einkaufsmanagerindizes) schon seit 6-9 Monaten konstant in Richtung Schrumpfung. Diese Diskrepanz wurde unseres Erachtens vornehmlich von der Hausse an den amerikanischen Aktienmärkten verursacht, die wiederum von der Erwartung einer bevorstehenden Lockerung der US-Notenbankpolitik getragen wurde.

Definition des Stresstests: Variablenschocks und Präzedenzfälle
Um eine bessere Vorstellung von den zu erwartenden Effekten auf unterschiedliche Anlageklassen zu bekommen, führten wir eine Reihe von Stresstests durch. Bei einer solchen Szenarioanalyse müssen grundsätzlich zwei Entscheidungen getroffen werden: (1) welche Variablen sollen geschockt werden und um wieviel, und (2) welche (historische) Periode eignet sich am besten, um die damit einhergehenden Bewegungen der andere Preisfaktoren zu schätzen? In vorliegenden Fall gab uns die obengenannte Marktreaktion im Juni 2018 einen guten Anhaltspunkt.

Zunächst nahmen wir daher bei allen Stresstests einen Kursverfall von 6% für den Deutschen Aktienindex (DAX®) an. Zur Kalibrierung der Kovarianzen und Betas für die übrigen Faktoren suchten wir dann passende Zeitfenster, in denen die Finanzmärkte ihr Augenmerk auf drohende Handelssanktionen zwischen den USA und Europe gerichtet hatten. Besonders geeignet erschienen uns das 2. Quartal 2018 bis zur ersten Ankündigung der potenziellen Autozölle und die drei Monate bis zur geplanten Entscheidung am 17. Juni 2019. Zum Vergleich bildeten wir auch die tatsächlichen Faktorbewegungen in der zweiten Junihälfte 2018 nach.

Deutschland härter getroffen als der Rest Europas…
Die untenstehende Tabelle zeigt simulierte Renditen von ausgewählten Ländern und Sektoren in Axioma’s europäischem Multi-Anlageklassen-Portfolio. Die deutschen Aktien weisen aufgrund der Konfiguration der Stresstests den erwartungsgemäßen Verlust von ungefähr 6% auf. Auf gesamteuropäischer Ebene fallen die geschätzten Kursrückgänge allerdings wesentlich geringer aus. Der tatsächliche Preisverfall Ende Juni 2018 war lediglich halb so groß wie in Deutschland. Unter Heranziehung der Korrelationen im 2. Quartal 2018 und Februar-Mai 2019 steigt der erwartete Verlust auf lediglich 4%. Vor allem schweizerische Papiere scheinen in allen Szenarien relativ immun zu sein. Aber auch Großbritannien zeigt eine verminderte Korrelation mit seinen kontinentaleuropäischen Nachbarn, was zumindest teilweise die Brexit-Unsicherheit widerspiegeln dürfte.



…insbesondere die Automobilbranche
Ein Blick auf individuelle Sektor-Renditen bestätigt die Erwartung, dass der deutsche Automobilsektor mit am härtesten getroffen werden sollte. Zwar fällt der simulierte Verlust unter aktuellen Korrelationen mit 8% etwas geringer aus als die tatsächlichen Kursverfälle der Autobauer von 12% im Juni 2018, liegt aber trotzdem noch über denen der meisten anderen Branchen. Generell scheinen zyklische Sektoren wie Informationstechnologie, Nicht-Basiskonsumgüter und Industrie – allesamt wesentliche Standbeine der deutschen Wirtschaft – heftiger betroffen zu sein als defensivere Unternehmen wie Versorgungsbetriebe und Hersteller und Vertreiber von Basiskonsumgütern.

Flucht in Qualität begünstigt Bundesanleihen und Yen
Von der zu erwartenden Flucht in Qualitätstitel dürften vor allem Bundesanleihen und Staatspapiere aus Frankreich und den Niederlanden profitieren. Dasselbe gilt für andere sichere Häfen wie den Schweizer Franken und den Yen. Insbesondere der letztere erweist sich in Krisenzeiten oft als verlässliches Diversifikationsinstrument, da japanische Anleger die Tendenz haben, ihre Gelder relativ schnell ins Heimatland zurückzuholen, wenn es in anderen Teilen der Welt zu unsicher ist. Italienische Staatsanleihen sind hingegen aufgrund des erhöhten politischen Risikos im Land aktuell sehr empfindlich gegenüber einer Ausweitung von Risikoprämien. Allerdings konnten wir dasselbe noch nicht für Spanien beobachten, da Marktteilnehmer augenscheinlich noch sehr wohl zwischen den unterschiedlichen Verschuldungsgraden der beiden Emittenten unterscheiden.

---
*) Christoph V. Schon, CFA, CIPM, Executive Director, Applied Research, Axioma