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Kommentar: Stürzt die Fed die Schwellenländer in den Abgrund?

Um die Schwellenländer machen wir uns bereits seit zwei Jahren große Sorgen – anfangs wegen steigender Mittelzuflüsse, der besseren Aussicht des US Dollars als auch wegen des vergleichsweise hohen Bewertungsniveaus. Die sich eintrübenden Fundamentaldaten der Schwellenländermärkte taten dann ihr Übriges. Eine Mischung aus missverständlichen und falsch interpretierten Äußerungen der US-Notenbank im Mai führte schließlich in den darauffolgenden Sommermonaten zu massiven Einbrüchen der Schwellenländermärkte und Abflüssen von insgesamt 28 Mrd. US-Dollar.

Mike Riddell

Derzeit strömt ein Teil des Kapitals zwar wieder zurück –jedoch überwiegend in die Märkte für lokale Schwellenländeranleihen. Die Liquidität dieser Märkte hat sich allerdings in der Folge verschlechtert und erschwert nun den Ausstieg der Anleger.

Doch obwohl dieses Jahr für die Schwellenländer schon schmerzhaft verlief, haben wir es bisher eher mit einem krampfartigen Stottern der Kapitalströme zu tun. Sollte sich die US-Geldpolitik jedoch verschärfen, müssten sich Investoren um die zunehmende Anfälligkeit der Schwellenländer für Mittelabflüsse und einen möglichen „Sudden Stop“ sorgen.


Chinas Kreditblase birgt Risiko für Handelspartner
Probleme schafft nicht zuletzt der sorglose Umgang der Schwellenländer mit Krediten: Denn obwohl das rasante Kreditwachstum der Jahre 2009 bis 2012 in den meisten Staaten inzwischen etwas nachgelassen hat, gibt es keinerlei Anzeichen für einen Schuldenabbau. Vielmehr hat China wie seit jeher mit seiner Kreditblase zu kämpfen, während die Verschuldung in der Türkei unerklärlicherweise sogar wieder anzieht. Chinas Privatverschuldung ist im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit 2008 sogar höher als bei den Kreditblasen, die sich bis 2008 in den USA und in Großbritannien gebildet hatten. Gleichzeitig entspricht das chinesische Verhältnis der Gesamtverschuldung zum BIP mittlerweile nahezu dem Japans aus dem Jahr 1988. Eine Bankenkrise scheint deshalb unvermeidlich. Für China selbst dürfte dies jedoch keine Katastrophe darstellen. Viel schmerzhafter wäre eine solche Krise für die wichtigsten Handelspartner Chinas, insbesondere für jene Länder, die von der steigenden und nicht nachhaltigen Investitionstätigkeit der Chinesen am stärksten abhängen. Und damit würden wohl vor allem jene Staaten in Mitleidenschaft gezogen werden, deren Anfälligkeit für externe Faktoren zurzeit sowieso steigt.

Sorge um Leistungsbilanzdefizite
Noch bedenklicher sind die aktuell fast überall wachsenden Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen der Schwellenländer. Defizite sind nicht grundsätzlich etwas Schlechtes, wenn eine Volkswirtschaft über eine junge Bevölkerung und hervorragende Anlageaussichten verfügt und somit auf ausländisches Kapital setzen kann. Doch kein Land ist in der Lage, ein Leistungsbilanzdefizit unbegrenzt zu finanzieren, sofern die ausländischen Geldgeber dieses Defizit für untragbar halten. Hohe Leistungsbilanzdefizite bzw. sich rasant eintrübende Leistungsbilanzen können also als Hinweis dafür angesehen werden, dass etwas schiefläuft. Genau diesen Eindruck erwecken derzeit viele Schwellenländer – Indonesien, Südafrika, Brasilien, die Türkei und Indien sind nur die bekanntesten. Südkorea und Ungarn scheinen derzeit eher stabil, während weder Malaysia noch Russland einen positiven Trend verzeichnen können.

Für diese Risiken müssen Anleger in Form von höheren Renditen entschädigt werden. Doch in den meisten Fällen scheinen die Renditen derzeit nicht hoch genug zu sein, denn selbst auf lokale Währungen lautende Schwellenländerpapiere bieten gegenüber US-Staatsanleihen derzeit nur unspektakuläre Zusatzrenditen von um die 4,5%. Und die spezifischen Risiken dieser Anlageklasse sind hoch: Anleger müssen nicht nur Wechselkursschwankungen der Schwellenländerwährungen absichern, sondern sind auch lokalen Zinsänderungsrisiken ausgesetzt. Unter diesen Gesichtspunkten werden nur lokale Papiere aus Brasilien allmählich wieder interessant, deren Zusatzrendite gegenüber US-Staatsanleihen mittlerweile um die 10% beträgt.


Eine neues Problem für Schwellenländermärkte: Ansteckungsgefahr
Besorgniserregend ist auch die „Ansteckungsgefahr“, das so genannte „Contagion Risk“. Falls die Fed ihre Geldpolitik im nächsten Jahr tatsächlich verschärfen sollte, würden sich die Anleger in großem Stil aus den Schwellenländern zurückziehen und ihr Kapital wieder an die US-Märkte schleusen. Gleichzeitig könnte die Blase in China platzen, was auch die Schwellenländer stark in Mitleidenschaft ziehen würde.

In einem solchen Fall könnte sich eine Schwellenländerkrise deutlich von früheren Krisenphasen unterscheiden. In der Vergangenheit waren Schwellenländerkrisen stets regional begrenzt. Die internationale Schuldenkrise Anfang der 1980er Jahre mag in diesem Zusammenhang zwar möglicherweise eine Ausnahme gewesen sein, doch selbst damals geriet hauptsächlich Lateinamerika unter Druck.

Heute gibt es einen Unterschied: Ein Großteil der Mittelzuflüsse stammt nicht von Banken, sondern von spezialisierten, global ausgerichteten Schwellenländerfonds sowie großen, auf die weltweiten Anleihenmärkte fokussierten Investmentfonds mit „Total Return“-Anlagestrategien. Sollten diese Fonds – bzw. ihre Anleger – ihre Mittel aus den Schwellenländern abziehen, müssten sie jedoch nicht nur ihre Engagements in jenen Staaten abstoßen, die in Schwierigkeiten geraten sind, sondern müssten sich auf breiter Front zurückziehen. So könnte auch das Schicksal von Staaten wie Irland in hohem Maße von dem der Ukraine, Ghanas, Mexikos und Malaysias abhängig werden.


Kommt es auf die USA an?
Durch die zunehmende Anfälligkeit der Schwellenländer für externe Faktoren sowie das mittlerweile recht unattraktive Bewertungsniveau taumeln Schwellenländeranleihen bereits am Rande des Abgrunds. Aber würde ihnen die US-Notenbank tatsächlich den finalen Stoß versetzen?

Während der letzten heftigen Schwellenländerkrisen der Jahre 1997 und 1998 zeigte sich die US-Konjunktur zwar unbeeindruckt – inzwischen jedoch repräsentieren die Schwellenländer etwa die Hälfte des globalen BIP. Ein unmittelbarer Einbruch in den Schwellenländern könnte schnell auch die USA negativ beeinflussen. Dieses Risiko wurde der Fed in den letzten Monaten zunehmend bewusst. Gleichzeitig wird es für die US-Notenbank immer schwerer, ihre Geldpolitik nicht wieder zu verschärfen, falls die US-Wirtschaft im nächsten Jahr tatsächlich um 3% wachsen sollte. Investoren sollten sich der möglichen Auswirkungen dieser Maßnahme bewusst sein.


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*) Mike Riddell ist Fondsmanager Anleihen bei M&G Investments.