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Kommentar: Transatlantische Abkopplung

2014 war die gegenläufige Entwicklung der Renditen europäischer Papiere im Vergleich zu US-Bonds eines der meistdiskutierten Themen an den Anleihemärkten. Seit dem Sommer ist eine weitere Form der transatlantischen Abkopplung zu beobachten. Diesmal sind die Credit Spreads, also die Risikoprämien bei Unternehmensanleihen betroffen.

Schauen wir uns Anleihen guter Bonität dies- und jenseits des Atlantiks seit Jahresbeginn an. Bis Ende Juli sind die Spreads sowohl von US-Dollar- als auch von Euro-Anleihen mit Investmentstatus (Investment Grade, kurz IG) recht konstant geschrumpft. Doch seitdem hat eine gegenläufige Entwicklung eingesetzt. Während die Asset-Swap-Spreads (ASW-Spreads) von Euro-IG-Anleihen weiter gesunken sind, haben sich die Spreads von US-Dollar-IG-Papieren deutlich ausgeweitet.

Auf den ersten Blick scheint dieser Trend unerklärlich. Schließlich hat sich die US-Wirtschaft kräftig erholt, die Eurozone stagniert jedoch. Man könnte also erwarten, dass die Wachstums- und Profitabilitätsaussichten von US-Unternehmen wesentlich rosiger ausfallen als die ihrer europäischen Mitbewerber und sie als Emittenten daher auch als weniger riskant eingestuft werden. Bei Euro-IG-Papieren müssten Anleger dagegen höhere Risikoprämien fordern. Kurz gesagt: Eigentlich hätten die US-Dollar-Spreads im Vergleich zu den Euro-Spreads schrumpfen sollen.

Warum ist genau das Gegenteil der Fall?

Notenbankpolitik greift durch
Es stimmt natürlich, dass die Emittenten, die unter der wirtschaftlichen Misere in Europa stark leiden, bereits auf High Yield-Niveau herabgestuft worden sind und deshalb keine negativen Auswirkungen mehr auf den Index haben können. Abgesehen aber von dieser eher technischen Randnotiz gibt es vor allem drei Gründe:

Erstens haben sich die unterschiedlichen Strategien der Notenbanken auf die Refinanzierungskosten ausgewirkt. Die Fed hat ihre Politik der quantitativen Lockerung beendet und wird die Zinsen aller Voraussicht nach 2015 wieder anheben. Im Gegensatz dazu ist die EZB zurzeit dabei, ihre Bilanz auszuweiten und wird die Zinsen auf absehbare Zeit höchstwahrscheinlich bei nahe 0 Prozent belassen. US-Unternehmen könnten deshalb zukünftig höhere Refinanzierungskosten bevorstehen als ihren europäischen Konkurrenten. Anders formuliert: Durch die zunehmende Lockerung der EZB-Geldpolitik werden Emittenten von Euro-Papieren auch weiterhin leichten Zugang zu den Kreditmärkten haben. Die Ausfallraten – und damit auch die Risikoprämien auf Euro-IG-Anleihen – werden niedrig bleiben.

Zweitens wirken sich die Interventionen der Notenbanken auf die Liquiditätslage an den Märkten für Unternehmensanleihen aus. Die extrem lockere Geldpolitik mit ihren Niedrigstzinsen treibt Anleger aus den (fast) risikofreien Anlagen hinaus und in riskantere Vermögenswerte wie etwa Unternehmensanleihen hinein. Infolgedessen steigen die Handelsaktivitäten und die Liquidität an diesen Märkten – die Illiquiditätsprämien, die in den Credit Spreads enthalten sind, sinken jedoch. Fährt eine Zentralbank, wie derzeit die Fed, hingegen ihre quantitativen Lockerungsmaßnahmen zurück, lässt die Marktliquidität nach. Die höheren Illiquiditätsprämien, die damit einhergehen, führen schließlich zu einer Ausweitung der Zinsdifferenzen.

Ein drittes Argument bezieht sich auf die Angebotsseite. So war das Nettoemissionsvolumen bei Euro-IG-Papieren weltweit in diesem Jahr deutlich niedriger als bei US-Dollar-IG-Anleihen. Damit ist das Angebot an Euro-IG-Papieren so knapp, dass auf die Kurse europäischer Anleihen eine regelrechte „Seltenheitsprämie“ aufgeschlagen wird – und das wiederum verringert die Spreads.

US-Firmen gehen wieder mehr ins Risiko
Verblüffend dabei ist, dass sich in den USA die Zinsdifferenzen in sämtlichen Branchen ausgeweitet haben, insbesondere in Bereichen mit hoher M&A-Aktivität, also im Gesundheitswesen, der Energie und Telekommunikation. Tatsächlich ist die US-Wirtschaft im Unternehmenszyklus schon einen großen Schritt weiter als Europa. Amerikanische Firmen gehen wieder verstärkt Bilanzrisiken ein, indem sie etwa Wachstumschancen durch Fusionen nutzen. Anleiheinvestoren fordern deshalb als Kompensation für diese zusätzlichen Risiken bei US-Dollar-IG-Anleihen eine Spread-Prämie.

Bei Euro-IG-Credits ist das Bild differenzierter. In einzelnen Branchen haben sich die Zinsdifferenzen ausgeweitet (z.B. Einzelhandel, Freizeit und Versicherungen), während sie in anderen Segmenten geschrumpft sind (z.B. Gesundheitswesen, Finanzdienstleistungen und Telekommunikation). Hier spielen branchenspezifische Faktoren offenbar eine wichtigere Rolle als in den USA.

Beispiel Finanzbranche: Die Spreads von Banken und Finanzdienstleistern sind deutlich geschrumpft und spiegeln damit die gesunkenen Refinanzierungskosten wider, die für Emittenten von Finanzanleihen besonders wichtig sind. Im Versicherungssektor haben sich jedoch die ohnehin hohen Zinsdifferenzen sogar noch ausgeweitet. Möglicherweise überdeckt hier die anhaltende Unsicherheit um die anstehende Umsetzung der Solvency II-Richtlinie das vorteilhafte geldpolitische Umfeld.

Nachhaltiger Trend?
Aus Investorensicht bleibt die Frage, wie sich die Abkopplung der Spreads auf die relative Attraktivität von US-Dollar-IG-Anleihen gegenüber Euro-IG-Papieren auswirkt – und wie nachhaltig dieser Trend ist.

Wer davon überzeugt ist, dass sich die Tendenz der letzten Monate fortschreibt, kann recht einfach zugunsten europäischer Titel plädieren. Allerdings bevorzugen wir schon seit einer Weile Anleihen amerikanischer Unternehmen, eben weil die Spreads dieser Papiere im Durchschnitt höher sind als die von Euro-IG-Credits – und zwar selbst unter Berücksichtigung der Cross-Currency-Basis.

Obwohl uns die gegenläufige Entwicklung zunächst keineswegs zugutegekommen ist, spricht sie doch im Vergleich stärker für US-Titel. Denn die niedrigen absoluten Zinsdifferenzen von Euro-IG-Anleihen begrenzen das Aufwärtspotenzial dieser Papiere. Außerdem dürfte auch der globale Charakter der Märkte für Unternehmensanleihen verhindern, dass sich die Zinsdifferenzen immer weiter voneinander abkoppeln. Falls die Spreads europäischer im Vergleich zu US-Anleihen weiter schrumpfen sollten, würden Unternehmen weltweit versuchen, ihre Kreditkosten zu minimieren, indem sie anstelle von US-Dollar auf Euro lautende Papiere emittieren würden. Dieser Trend würde dann die aktuellen Ungleichgewichte auf der Angebotsseite umkehren und der Abkopplungstendenz entgegenwirken.

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*) Jim Leaviss ist Head of Retail Fixed Interest bei M&G Investments.