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Kommentar: Wettlauf nach unten - Währungskriege oder Deflationsbekämpfung?

Viele Experten sahen in den raschen und starken Abwertungen vieler Währungen im letzten Jahr Anzeichen für einen Währungskrieg. Aber wollen Länder ihren Wettbewerbern wirklich systematisch Weltmarktanteile abjagen? Versuchen sie nicht einfach nur, ihre eigene Deflation zu bekämpfen?

Erik Weisman

Ein Blick zurück könnte Klarheit schaffen. In den Währungskriegen der 1930er Jahre betrieben einige Länder mit der Lockerung der Geldpolitik eine Beggar-thy-Neighbour-Politik. Durch das Ende des Goldstandards konnten viele Länder ihre Zinsen senken und ihre Währungen abwerten lassen. Dadurch wurden sie international wettbewerbsfähiger, so dass ihre Exporte stiegen und das Wachstum zu Lasten anderer Länder anzog.

Heute mögen zwar manche Emerging Markets das gleiche Ziel verfolgen und mit Währungsabwertungen den Export fördern, aber in den Industrieländern ist das grundsätzlich nicht der Fall. Viele der jüngsten Abwertungen waren der letzte Versuch, die scheinbar unvermeidliche Disinflation oder gar Deflation abzuwenden, gegen die man mit einer traditionellen Geldpolitik nicht ankommt. Dennoch ist etwas noch nie Dagewesenes geschehen: ein echter Wettlauf nach unten. In immer mehr Industrieländern werden die realen Staatsanleiherenditen negativ. Noch schockierender ist aber, dass jetzt bisweilen schon die Nominalzinsen kurzlaufender Staatsanleihen im Minus liegen.

Flüssiges Gold
Die derzeitigen Währungsabwertungen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von denen in den 1930ern. Kurz nach dem Börsenkrach 1929 brach die Konjunktur in den Ländern weniger stark ein, die den Goldstandard frühzeitig aufgegeben hatten (und sie erholte sich dort auch schneller). Dazu zählten Großbritannien und Skandinavien. Dagegen mussten Länder, die den Goldstandard beibehielten, wegen der Goldbindung ihrer Währungen immer mehr sparen und waren zu einer deflationären Wirtschaftspolitik gezwungen. Dadurch wurde nicht nur den eigenen Volkswirtschaften, sondern dem gesamten internationalen Finanzsystem immer mehr Liquidität entzogen. Die Dichotomie zwischen Ländern mit und Ländern ohne Goldstandard führte zu einem üblen und turbulenten Handelskrieg mit vielen Verwerfungen. Außerdem waren die Feindseligkeiten nach dem 1. Weltkrieg ohnehin noch groß. Es gab kaum internationale Zusammenarbeit und viel Misstrauen.

Heute geht es hingegen weniger um den Handel. Vielmehr tun die Zentralbanken alles, um ihre schwächelnden Volkswirtschaften zu stützen und für mehr Inflation zu sorgen. Wenn also die Große Depression der Auslöser für die Währungskriege der 1930er Jahre war, war die internationale Finanzkrise die Initialzündung für die fortwährenden, wenn nicht vorhersehbaren, Währungsabwertungen als Folge des Quantitative Easing.

Die Bemühungen der Länder um eine Schwächung ihrer überbewerteten Währungen haben durchaus den Anschein einer Beggar-thy-Neighbour-Politik. Hinzu kommt der Vorteil des Vorreiters, der an die 1930er erinnert. Nachdem die internationale Finanzkrise überall auf der Welt für massive wirtschaftliche und finanzielle Verzerrungen gesorgt hatte, lohnte es sich, als erster aktiv zu werden. Die am stärksten betroffenen Länder USA und Großbritannien, die schnell zu umfassenden unkonventionellen Liquiditätsprogrammen griffen, erholten sich am schnellsten (auch wenn der Aufschwung im Vergangenheitsvergleich noch immer schwach ist). Wer zu lange gezögert und seine Volkswirtschaft wie einige Euroraumländer an die Wand gefahren hat, hat einen erheblich schwereren Weg vor sich. Aber das sind auch die einzigen Parallelen zu den 1930ern. Unabhängig davon, ob wir es mit einem Währungskrieg oder mit der Deflationsbekämpfung einzelner Länder zu tun haben, ist die ganze Aktion grundsätzlich positiv zu bewerten, wenn die zusätzliche Notenbankliquidität zu einer Konjunkturnormalisierung und stabileren Märkten führt. Auf längere Sicht kann es sicherlich Probleme geben, wenn die überreichliche Liquidität auch die Realwirtschaft beeinflusst. Aber noch ist es nicht so weit.

Oberflächlich betrachtet dürfte die Euro-Abwertung günstig für das exportorientierte Europa sein. Weil aber viele europäische Exporte den Kontinent gar nicht verlassen, sind die Vorteile einer schwächeren Währung kaum spürbar. Der große Gewinner wäre ein Land wie Irland, das vor allem in Länder außerhalb des Euroraums exportiert. Für die USA ist ein starker Dollar eher schlecht, aber angesichts der relativ geschlossenen und flexiblen US-Wirtschaft sind die negativen Auswirkungen einer Währungsaufwertung nicht sehr groß.

Auf die Fundamentaldaten achten
Anstatt die allgemeinen Auswirkungen von Wechselkursschwankungen zu betrachten, halten wir es für zielführender, die Fundamentaldaten der einzelnen Unternehmen im Blick zu behalten. Dabei stellen wir Fragen wie: Würde eine unerwartete Wechselkursänderung die Lohn- und Materialkosten eines Unternehmens so stark senken, dass dies die Wechselkurseffekte mehr als ausgleicht? Sind die Finanzen stabil genug, um einen Wechselkursschock zu verkraften? Wie viel muss ein Unternehmen für die Absicherung von Wechselkursrisiken zahlen? Sind diese Kosten zu rechtfertigen?

Da sich die Wettbewerbssituation immer wieder ändert, muss man ständig die Nachhaltigkeit der langfristigen Fundamentalfaktoren im Auge behalten und kritisch hinterfragen. Die Unternehmen sind heute so global wie nie zuvor. Über ein Drittel der Gewinne amerikanischer und europäischer Unternehmen wird im Ausland erwirtschaftet. Auch die Einzelwertauswahl muss deshalb heute global sein. Mehr als der Standort eines Unternehmens zählt seine Fähigkeit, Wettbewerbsvorteile in langfristige Erträge für seine Stakeholder zu verwandeln. Und bei der Frage nach den Folgen von Währungsschwankungen für Anleger ist es wichtiger, die einzelnen „Soldaten“ im Blick zu haben als sich in Prognosen darüber zu verlieren, ob die Armee am Ende den „Krieg“ gewinnt oder nicht.

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*) Erik Weisman ist Fixed Income Portfolio Manager bei MFS.

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