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„Langweilig ist Trumpf“ – Europäische Immobilienaktien im Fokus

Die weltweiten Aktienmärkte haben es schwer in letzter Zeit. Europäische Immobilienwerte waren zwar nicht immun gegen den allgemeinen Ausverkauf, aber ihre Performance war nicht schlechter als die des Gesamtmarkts, und einige Immobilienaktien haben gut abgeschnitten.

Immobilienwerte setzen sich auf verschiedene Weise vom Markt ab:
* Sie zahlen eine höhere Dividende (unterstützt durch die Gesetzgebung zum Real Estate Investment Trust/REIT).
* Ihre Profite sind transparent.
* Immobilien gibt es in einer großen Bandbreite.

Anlagen in Immobilien bieten eine reiche geografische Auswahl über ganz Europa hinweg, so dass der Anleger Regionen mit wirtschaftlichen Problemen wie etwa Spanien aussparen kann. Stattdessen kann er sein Investment in wiederstandfähigere Märkten lenken, zum Beispiel in die Niederlande.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob man eher in ein spezialisiertes Unternehmen investiert oder in einen Anbieter, der sein Portfolio über verschiedene Sektoren hinweg ausbalanciert. So konzentriert sich zum Beispiel das französisch-holländische Unternehmen Unibail-Rodamco auf Einzelhandelsimmobilien und hält große, marktbeherrschende Einkaufszentren in erster Linie in Frankreich und den Niederlanden. Dagegen setzt das holländische Unternehmen Wereldhave auf eine Mischung aus Einhandelsflächen, Büroraum und Industrieimmobilien in ganz Europa.

Trotzdem ist ein generelles Thema auf allen Aktienmärkten die Bilanzstärke. Sie hat sich zu einem der wichtigsten Performance-Kriterien entwickelt in einer Zeit, in der die weltweiten Kreditmärkte beschränkt bleiben. Unternehmen mit kurzfristiger Finanzierung und solche, die mit starkem Leverage arbeiten, hinken auf den Aktienmärkten hinterher. Im Immobilienbereich litten 2008 besonderes deutsche Unternehmen, weil ihre „Bullenmarktstruktur“ mit hoher Kreditquote auf Investorenseite nicht mehr gefragt war.

Die Einnahmen von Immobilienunternehmen sind typischerweise transparent und stabil im Vergleich zu anderen Anlageformen. Grund dafür ist die Garantie dieser Einkünfte in Form von Miet- und Pachtverträgen mit den Nutzern der Gebäude, die das Unternehmen hält und verwaltet. Außerdem können Miet- und Pachtstrukturen einen Beitrag dazu leisten, das Umsatzniveau zu sichern – weisen doch die Mietspiegel zumindest in Großbritannien immer eine Tendenz nach oben auf, und auf dem Kontinent sind Mieten inflationsindexiert.

Immobilienanlagen können nach der gesündesten Auslastungsrate und den langfristigsten Pachtverträgen ausgewählt werden. Gleichzeitig lassen sich Unternehmen aussparen, die sich stärker im Development-Bereich engagieren und deren Einkünfte von zukünftigen Nutzungsverträgen abhängen und deshalb mehr Risiko mit sich bringen. Tatsächlich steht „langweilig“ hoch im Kurs in diesem Markt. Gewagte Immobilienwerte, die auf Vermögenszuwachs und Leverage spekulieren, sind definitiv nicht in Mode.

Obwohl die Bewertung von Immobilien weiterhin unter Druck steht, ist eine Abwertung schon seit längerem in Immobilienaktien eingepreist. Überall in Europa werden Immobilienaktien zurzeit deutlich unter dem Substanzwert gehandelt. Das heißt, Immobilienaktien sind heute billiger zu erwerben als entsprechende Anteile an den Gebäuden selbst. Britische Unternehmen werden aktuell mit Abschlägen von etwa 55 Prozent gegenüber den letzten veröffentlichten Sachbewertungen gehandelt – die brutalen Wertverluste sind also schon eingepreist.

Europäische Immobilienunternehmen können sowohl als REITs oder Nicht-REITs eingestuft werden. REITs bieten deutliche Steuervorteile. Anleger, die Anteile an Immobilienunternehmen halten, sehen sich einer doppelten Besteuerung ausgesetzt, weil das Unternehmen Körperschaftssteuer zahlt und der Anleger Kapitalertragssteuer entrichtet. Im Gegensatz dazu unterliegen REITs nicht der Körperschaftssteuer, wenn sie (je nach nationaler REIT-Gesetzgebung) zwischen 80 und 100 Prozent ihres besteuerbaren Gewinns als Dividenden ausschütten. In Deutschland schreibt das Gesetz eine Ausschüttung von mindestens 90 Prozent des Gewinns vor.

Wie ist das Verhältnis zu Direktanlagen in Immobilien? Kurzfristig reagieren Immobilienaktien stärker auf die Entwicklungen an den Aktienmärkten als auf die Einflüsse im Immobilienmarkt und unterliegen deshalb einer stärkeren Volatilität. Trotzdem ist langfristig die Korrelation mit dem verhaltener reagierenden direkten Immobilienmarkt stärker. Auch ist der Markt für Immobilienaktien liquider als der direkte Immobilienmarkt und reagiert schneller auf Veränderungen. Typischerweise wird hier eine Erholung einige Monate früher einsetzen.

Der Privatanleger kann sich bei Investitionen in direkte Gewerbeimmobilien Barrieren gegenübersehen, etwa einem Mangel an Liquidität. Bei einer Investition in Immobilienaktien erhöhen die bessere Liquidität und die niedrigen Transaktionskosten seine Flexibilität, die Assetklasse taktisch mit aufzunehmen oder sich wieder aus ihr zurückzuziehen.

Solange der Kreditmarkt schwer zugänglich ist, bleiben alle Anlagemärkte schwierig, auch Immobilien. Fragezeichen hängen über Mietzuwachserwartungen, weil Nutzer aus dem Finanzbereich und Einzelhändler gleichermaßen keine höheren Mieten werden zahlen können, bevor die Kreditkrise nicht überwunden ist. Einzelhandelsinsolvenzen wie die von Woolworths in Großbritannien im November letzten Jahres werden wohl nicht die einzigen Pleiten in dieser Krise bleiben, doch beruhigenderweise sind bereits recht verheerende Nachrichten in die Preise von Immobilienaktien eingerechnet. Die verlässlichen Einkünfte von Immobilien stehen in diesem Markt im Mittelpunkt, und qualitativ hochwertige, konservativ finanzierte REIT- oder Nicht-REIT-Immobilienaktien werden auch weiterhin attraktive Dividenden bieten.

Eines Tages, wenn es mit der Welt wieder bergauf geht, werden risikoreichere Immobilienaktien wieder mit der Aussicht auf Vermögensentwicklung gekauft werden, aber für den Moment ist „langweilig“ die beste Option. 

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*) Vicky Watson, Investment Director für europäische Aktien bei Scottish Widows Investment Partnership, leitet den SWIP European Real Estate fund.

Disclaimer:
Der Wert und die Rendite einer Investmentanlage können sowohl steigen als auch fallen. Eine positive Wertentwicklung in der Vergangenheit ist kein verlässlicher Indikator für eine zukünftige positive Wertentwicklung. Dies ist keine auf die individuellen Verhältnisse des Lesers abgestimmte Handlungsempfehlung.