Macrons Wiederwahl sollte jedoch nicht als Bestätigung seiner Innenpolitik oder seiner Vision für Europa gewertet werden. Seinen Sieg hat er größtenteils der sogenannten „republikanischen Front“ zu verdanken, durch die zahlreiche französische Wähler taktisch für einen Kandidaten stimmen, um die Wahl eines rechtsgerichteten Präsidenten zu verhindern. Le Pens Ergebnis von 41,5% im zweiten Wahlgang stellte einen Rekord für ihre Partei dar.
Die französische Wählerschaft ist nach wie vor tief gespalten, trotz der robusten Wirtschaftslage mit Rekordbeschäftigung und einer im Vergleich zu anderen europäischen Ländern relativ niedrigen Inflation (sh. Abb. 1). Diese Kluft zu überbrücken, könnte für Macron schwierig sein. Er steht vor gewaltigen Herausforderungen: Es gilt, die steigenden Lebenshaltungskosten in Frankreich anzugehen, in der EU muss ein Konsens bezüglich russischer Öl- und Erdgasimporte hergestellt werden, und neben der Krisenbewältigung will Macron auch noch seine anderen pro-europäischen politischen und wirtschaftlichen Ziele vorantreiben. Erfolge werden wahrscheinlich nur auf Kosten höherer Staatsdefizite in Frankreich und durch eine größere fiskalische Integration auf europäischer Ebene erreicht werden können.
Abb. 1: Solides wirtschaftliches Umfeld in Frankreich
Brücken bauen in Frankreich...
Innenpolitisch erwarten wir, dass Präsident Macron zurückhaltend und weniger ehrgeizig sein wird. Die Rentenreform ist das schwierigste Vorhaben auf seiner Agenda. Macron hat bei diesem Thema bereits gezeigt, dass er bereit ist, zuzuhören und Kompromisse zu schließen. Die Spaltung der politischen Landschaft macht es notwendig, entweder mit der Linken oder mit der Rechten Bündnisse einzugehen. Dabei gibt es einen großen Unsicherheitsfaktor: Vieles wird vom Ergebnis der Parlamentswahlen im Juni abhängen. Es steht noch nicht fest, ob Macron zu einer „Kohabitation“ mit der Opposition gezwungen sein wird und welche Regierung er ernennen wird.
Macron hat aber bereits ein Paket für den ökologischen Wandel versprochen, ein Schlüsselthema für jüngere, eher linksgerichtete Wähler. Zusätzliche ESG-freundliche Investitionen in Kernenergie und erneuerbare Energien könnten außerdem die französischen Energieexporte ankurbeln. Dies könnte auch das Ziel des französischen Präsidenten, ein stärker integriertes, energiepolitisch unabhängiges Europa zu schaffen (sh. Abb. 2), vorantreiben und das Wirtschaftswachstum in Frankreich stärken.
Insgesamt erwarten wir also weniger ehrgeizige Reformen und höhere Staatsausgaben. Die französische Staatsverschuldung lag Ende 2021 bereits bei rund 115% des BIP und wird wahrscheinlich auch in den kommenden Jahren ein Problem bleiben.
Abb. 2: Frankreich ist einer der größten und umweltfreundlichsten Stromexporteure in Europa
*Die Exporte basieren auf Kernenergie, die gemäß der EU-Taxonomie Stand heute als grün gekennzeichnet ist
... und im Ausland
Auf EU-Ebene erwarten wir, dass Macrons Wiederwahl seine pro-europäische Agenda für eine „strategische Autonomie“ beschleunigen wird. Dazu gehören die Reform des fiskalischen Regelwerks der EU, mehr zentrale Finanzierung aus dem EU-Haushalt und der Übergang zu einer Bankenunion. Die EU hat in ihrer fünften Sanktionsrunde im April die Einfuhr russischer Kohle verboten. In den kommenden Wochen rechnen wir mit einem verstärkten Druck seitens Frankreichs, außerdem ein Verbot von Ölimporten zu verhängen, was Italien voraussichtlich unterstützen wird.
Macrons Erfolg auf der europäischen Bühne wird jedoch davon abhängen, inwieweit es ihm gelingt, seine Führungsrolle zu festigen. Er wird die skeptischen europäischen Staats- und Regierungschefs davon überzeugen müssen, dass er die Interessen der EU – und nicht die Interessen Frankreichs – fördern will. Er könnte versuchen, eine engere Arbeitsbeziehung zu Deutschland aufzubauen, die italienisch-französische Zusammenarbeit zu stärken, auf eine offensivere Fiskalpolitik drängen, eine lockere Geldpolitik befürworten und – in Abkehr von der jüngsten Vergangenheit – die Bemühungen um eine Verankerung des westlichen Balkans in den europäischen Institutionen zu unterstützen.
Die Beziehungen zwischen Frankreich und dem Vereinigten Königreich werden dagegen weniger herzlich sein. Frankreich und das Vereinigte Königreich haben als NATO-Mitglieder gemeinsame Interessen, nicht zuletzt im Hinblick auf die Abwehr der militärischen Aggression Russlands. Wir erwarten jedoch andauernde diplomatische Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit offenen Brexit-Fragen, z. B. wenn es um die Umsetzung des Nordirland-Protokolls geht.
Die transatlantischen Beziehungen werden unter Macrons Führung wahrscheinlich unverändert solide bleiben. Dennoch wird die Wahrnehmung Frankreichs als mächtigen, aber nicht ganz vertrauenswürdigen Verbündeten bei einigen Bündnispartnern fortbestehen. Für Macron könnte es schwierig sein, diese Wahrnehmung zu überwinden.
Kontinuität für Investoren
Ein Jahrzehnt schwachen Wachstums nach den globalen und europäischen Staatsschuldenkrisen brachten Politiker an die Macht, die versprachen, ihre Länder aus der EU herauszuführen. Dies veranlasste einige Anleger zur Flucht aus Europa. Während der Pandemie zeigte die EU jedoch bemerkenswerte Geschlossenheit. Die jüngsten Wahlen in Frankreich deuten darauf hin, dass diese neu gefundene europäische Einigkeit von einiger Dauer sein wird.
„Macron 2.0“ bedeutet aber nicht, dass die populistischen und nationalistischen Parteien in Frankreich im Niedergang begriffen sind oder dass die zentrifugalen Kräfte in der EU schwächer werden. Die nächsten französischen Präsidentschaftswahlen finden 2027 statt. Bis dahin wird der Erfolg eines zentristischen, EU-freundlichen Kandidaten davon abhängen, ob sich die Linke bzw. die Rechte des politischen Spektrums des Landes verfestigen kann oder zersplittern wird.
Auf der europäischen Bühne erwarten wir, dass Präsident Macron als selbsternannter Führer Europas gegen Sparmaßnahmen und für fiskalischen Aktivismus kämpfen wird. Für die hoch verschuldeten Länder der Eurozone wird ein expansiver fiskalischer Kurs eine stärkere fiskalische Integration und eine akkommodierende Geldpolitik erfordern. Alles in allem sehen wir die Wahl Macrons als positiv für die Kreditspreads der Peripherieländer, auch wenn ihre relative Performance von anderen Faktoren abhängen wird – zu nennen sind hier insbesondere die sich abzeichnende Energiekrise und die Frage einer Unterstützung durch die EZB.
Macrons Sieg bedeutet Kontinuität und einen Weg in die Zukunft, aber die aktuellen Herausforderungen durch die russische Invasion bleiben bestehen. Wir halten an unserer Prognose für das BIP-Wachstum der Eurozone 2022 von 2,7% im Jahr 2022 fest. Im schlimmsten Fall wäre ein Rückgang um 1,0% plausibel, wenn es zu einer plötzlichen Einstellung der russischen Energielieferungen kommen würde. Nach unserer Analyse wird die HVPI-Inflation in der Eurozone in diesem Jahr durchschnittlich 6,3% betragen und 2023 auf 2,2% fallen.
Dieses Material stellt die Ansichten des Verfassers mit Stand zum 28. April 2022 dar und wird ausschließlich zu Informationszwecken zur Verfügung gestellt.
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*) Katharine Neiss, PhD, Chief European Economist, und Mehill Marku, Lead Geopolitical Analyst, PGIM Fixed Income
Quelle(n) der Daten (soweit nicht anders angegeben): PGIM Fixed Income, Stand: April 2022.
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