IPE D.A.CH: Der Markt für Hochzinsanleihen ist aktuell in einer eher ungewöhnlichen Situation: Die Spreads sind sehr eng und die Zahlungsausfälle könnten in Zukunft zunehmen. Die Marktteilnehmer scheinen darauf aber kaum zu reagieren. Woher rührt diese Diskrepanz?
Phillips: Stimmt, Hochzinsanleihen werden zu diesem Zeitpunkt des Zyklus im historischen Vergleich relativ eng gehandelt. Unsere High-Yield-Kollegen werden sagen, dass dies zum Teil daran liegt, dass der Markt eine wesentlich höhere Qualität aufweist als zum Ende der Finanzkrise. Denn der Anteil an Double-B-Anleihen ist heute deutlich größer. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass es sich um ein sehr großes Marktsegment handelt: Der US-amerikanische und der europäische Markt für hochverzinsliche Leveraged Loans haben ein Volumen von insgesamt dreieinhalb Billionen US-Dollar. Es gibt daher eine große Streuung bei den Spreads und viele Namen, die für uns interessant sind.
IPE D.A.CH: Angesichts höherer Zinsen und makroökonomischer Unsicherheiten schieben viele Unternehmen ihre Refinanzierung auf. Nun ist die Rede von einer sogenannten Maturity Wall in den Jahren 2024 und 2025, wenn besonders viele Anleihen fällig werden. Wird dies Ihrer Ansicht nach ein Stresstest für die Märkte?
Phillips: Ja. Ich denke, das ist eine der Belastungen, die auf uns zukommen werden. Wir beschäftigen uns beispielsweise mit europäischen Immobilien. Die drohende Maturity Wall ist ein echtes Problem für viele große und kleine Unternehmen aus der Branche auf dem gesamten Kontinent. Derzeit ist der Immobilienmarkt in desolatem Zustand. Die Frage ist daher: Können die Unternehmen Vermögenswerte verkaufen? Wie werden die Bewertungen in den kommenden Jahren aussehen? Und werden die Banken einspringen und den Unternehmen helfen, sich zu refinanzieren? Dies ist nur ein Beispiel für die große Bedeutung der Maturity Wall. Die Zeit wird zeigen, ob sie sich wie in der Vergangenheit von selbst auflöst.
IPE D.A.CH: Sie und Ihr Team konzentrieren sich auf Unternehmen im mittleren Marktsegment. Warum ist das Ihrer Meinung nach der „Sweet Spot“ im eben beschriebenen Umfeld?
Phillips: Wir gehen dahin, wo der Stress ist. Und davon gibt es im mittleren Marktsegment am meisten. Die dortigen Unternehmen sind hinsichtlich ihrer Produkte und Zielmärkte naturgemäß weniger stark diversifiziert. Und sie haben weniger Zugang zu den Anleihemärkten, welche die größeren Mitbewerber in den vergangenen drei Jahren für zusätzliche Liquidität angezapft haben. Mittelständische Unternehmen sind viel stärker von den Banken abhängig – und die verschärfen ihre Kreditvergabestandards und schrecken vor Risiken zurück. Wir denken also, dass der Mittelstand insgesamt deutlich mehr Möglichkeiten bietet. Ein weiterer Punkt ist: Die meisten Marktteilnehmer, etwa Hedgefonds und Vermögensverwalter, sind in den vergangenen 10 Jahren stark gewachsen. Sie wollen keine Deals mehr mit einem Volumen von weniger als 100 Mio. US-Dollar. Das lässt das mittlere Marktsegment für uns offen, wo wir Tickets von 20 bis 30 Mio. US-Dollar oder Euro ausstellen können.
IPE D.A.CH: Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Ländern und Sektoren?
Phillips: Ja, ich denke, es gibt einige. Da ist zum Beispiel der Immobiliensektor. Es gibt aber auch andere gestresste Unternehmen, beispielsweise in sehr energieintensiven Branchen wie der Chemie- sowie Papier- und Verpackungsindustrie, aber auch Autoteilehersteller, die viel Energie benötigen. Im Allgemeinen sind die Chancen ziemlich breit gefächert. Wir sehen Gelegenheiten in der Grundstoffindustrie, in der Öl- und Gasindustrie, im verarbeitenden Gewerbe, der Schifffahrt, der Telekommunikation, bei Kinos und im Einzelhandel sowie bei Nahrungsmitteln und Getränken – ich meine, die Liste ist endlos. Aus meiner Sicht ist das ein entscheidender Unterschied zu früheren Zyklen, in denen man sich eher auf bestimmte Sektoren konzentriert hat.
IPE D.A.CH: Mögen Sie Unternehmen, die einen Strategiewechsel brauchen?
Phillips: Das würde ich nicht sagen. Tatsächlich würde ich eher argumentieren, dass Unternehmen, die ihre Strategie ändern oder umfassende betriebliche Umstrukturierungen vornehmen müssen, wahrscheinlich die schwierigeren Investitionen sind. Die einfachsten Fälle sind: gutes Geschäft, schlechte Bilanz. Derzeit gibt es aus unserer Sicht weniger davon. Aktuell ist meist nicht nur eine finanzielle Umstrukturierung erforderlich. Wir müssen die Ärmel hochkrempeln und uns an einer operativen Neuordnung beteiligen. Die Antwort auf Ihre Frage lautet also: Nein, es zieht uns nicht zu Unternehmen, die sich neu orientieren oder ihre Strategie ändern müssen. Eher das Gegenteil ist der Fall: Wir suchen Firmen, denen es im Idealfall in ihrem Kerngeschäft gut geht, die aber die falsche Kapitalstruktur haben.
IPE D.A.CH: Welche Bedeutung hat für Sie die Liquidität eines Investments?
Phillips: Auf dem Markt für hochverzinsliche Anleihen und Leveraged Loans ist wie gesagt eine Menge los. Das hat zur Folge, dass die Anlagen im Allgemeinen liquider sind. Und Liquidität ist für uns einer der wichtigsten Parameter. Wenn wir uns in illiquideren Investments engagieren, wollen wir natürlich dafür entschädigt werden. Und wenn wir mit liquiden Anlagen 15-20% Rendite erzielen können, kann man als Faustregel sagen, dass wir bei illiquideren Anlagen eine Internal Rate of Return (IRR) von 25-30% erreichen wollen.
IPE D.A.CH: Wie viel Zeit braucht es, um eine Investition in einen liquiden Titel zu tätigen: Hat sich die Spanne verlängert? Oder entspricht sie eher den historischen Werten?
Phillips: Ja, ich würde sagen, sie entspricht den historischen Werten für unser bestehendes, liquideres Portfolio. Unser Zeithorizont liegt zwischen drei Monaten und zwei Jahren. Bei illiquideren Anlagen kann es dagegen zwei bis fünf Jahre dauern, bis eine Investition realisiert ist. Aber ich würde nicht sagen, dass sich das in diesem Zyklus dramatisch geändert hat.
IPE D.A.CH: Unterscheidet sich der heutige Markt Ihrer Meinung nach von dem zur Zeit der Finanzkrise oder der Dotcom-Pleite?
Phillips: Nun, zunächst einmal ist der Markt insgesamt größer. Und ungeachtet der Tatsache, dass es mehr Teilnehmer gibt, hatte natürlich auch das Aufkommen von Private Debt Auswirkungen. Dies war vor 10 oder 20 Jahren weniger verbreitet. Es gibt also mehr Akteure und der Markt ist in gewisser Weise dynamischer. Dazu kommt: Viele der Fonds, die sich mit Sondersituationen befassen, sind deutlich größer als noch vor 15 Jahren. Das ist eine Chance für uns. Denn, wie gesagt, konzentrieren uns auf die kleineren Segmente, in denen der Wettbewerb geringer ist.
IPE D.A.CH: Vielen Dank, Herr Phillips!
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Adam Phillips hat mehr drei Jahrzehnte Erfahrung mit Sondersituationen. Er ist seit drei Jahren bei RBC BlueBay AM und leitet das Team für Sondersituationen in entwickelten Märkten. Davor war er CIO bei Marathon Asset Management. Überdies leitete er in den frühen 2000er-Jahren das europäische High-Yield- und Distressed-Geschäft von Lehman Brothers. Adam verfügt über einen MPhil in Agrarwirtschaft von der Cambridge University und einen BA in Wirtschaftswissenschaften von der Heriot-Watt University.