Foundation | Welcome

Menu


Dossier: The Missing Middle – Mittelstandskredite für Entwicklungs- und Schwellenländer

Die Diskussion um die Folgen der Finanzkrise hat einen zentralen Punkt in den Fokus gerückt: Der Bankensektor ist auch dazu da, klein- und mittelständische Unternehmen mit Krediten zu versorgen. Angesichts einer drohenden Kreditklemme wurde hierzulande gar ein „Kreditmediator“ eingerichtet. Man weiß genau um die enorme Bedeutung des Mittelstandes: Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) schaffen das Gros der Arbeitsplätze und sind ein wesentlicher Träger von Wohlstand und wirtschaftlichem Wachstum. In Hochlohnländern und in einigen Staaten mit mittlerem Lohnniveau produziert dieser Sektor mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung. In den OECD-Staaten kommen sogar mehr als zwei Drittel der Beschäftigten aus diesem Sektor.

Die Rolle der Unternehmen
Die Rolle von kleinen und mittleren Unternehmen ist in Entwicklungs- und Schwellenländern kaum anders, auch wenn sich die Realwirtschaft dort anders darstellt. Dies lässt sich unter anderem aus den Analysen der International Finance Corporation (IFC) ablesen, einer Organisation der Weltbank. Die IFC engagiert sich mit Beteiligungen und Krediten an Unternehmen in Emerging Markets und übernimmt eine Katalysatorrolle für weitere Investitionen in den privaten Sektor. Die Förderung eines dynamischen Sektors kleiner und mittelständischer Unternehmen spielt auch in den Entwicklungszielen von Schwellenländern eine herausragende Rolle. Mit seinem Wachstum geht zudem eine allmähliche Überführung des informellen Sektors in wirtschaftlich stabilere Strukturen einher. Das ist nicht nur ökonomisch, sondern auch sozial ein wichtiger Faktor. Denn der eher ineffiziente informelle Sektor ist in vielen Entwicklungsländern dominant. Er macht einen wesentlichen Anteil der Erwerbsbeschäftigung und des zumeist geringen Einkommens für einen Großteil der ärmeren Bevölkerung aus. KMUs schaffen eine breitere ökonomische Basis und sorgen für mehr soziale Sicherheit und Stabilität. Das hat auch die IFC in ihren Studien festgestellt: Je entwickelter und prosperierender ein Land ist, desto höher ist der Anteil des KMU-Sektors gegenüber dem informellen Sektor.

Beiden Sektoren ist in den Entwicklungs- und Schwellenländern aber eines gemeinsam: Ihnen fehlt der breite Zugang zu Bankdienstleistungen, insbesondere zu bezahlbaren Krediten, um weiter investieren zu können. Im informellen Sektor geht es in erster Linie darum, sich aus Armut, Abhängigkeit, Wucherkrediten und Subsistenzwirtschaft lösen zu können. Deshalb wurde vor allem dem informellen Sektor in den vergangenen Jahren viel Aufmerksamkeit zuteil. Muhammad Yunus hat hierzu mit der von ihm gegründeten Grameen Bank in Bangladesch die Pionierarbeit geleistet. Der Mikrofinanzsektor hat sich seitdem rapide entwickelt. In Indien wächst die Industrie derzeit nach Branchenschätzungen um 80 bis 100 Prozent pro Jahr. Es gab einen regelrechten Boom von Mikrofinanzinstituten in Entwicklungs- und Schwellenländern, die Haushalten, Gewerbetreibenden und Kleinstunternehmen Kleinstdarlehen anbieten. Inzwischen vergeben auch traditionelle Geschäftsbanken Mikrokredite und lösen zunehmend Nichtregierungs-Organisationen, Stiftungen und Organisationen wie UNO, Weltbank und Entwicklungsbanken als Kreditgeber ab. Ein Grund dafür ist, dass Mikrokredite eine sehr geringe Ausfallrate haben. Somit gilt dieses Geschäft als relativ sicher und stabil, obwohl in der Regel entsprechende Kreditsicherheiten fehlen. Die Kreditnehmer gelten als zuverlässige Schuldner und als relativ resistent gegen Pleiten. Das Geschäft ist sehr regional gebunden und wurde von der globalen Finanzkrise kaum oder gar nicht in Mitleidenschaft gezogen.

Sichtbares Zeichen für die deutlich fortgeschrittene Erschließung dieses Marktes ist der Börsengang des größten indischen Mikrokreditfinanzierers, SKS Microfinance, im August dieses Jahres. Aber auch ausländische Institute engagieren sich. So hat zum Beispiel die Allianz-Gruppe bereits 2008 über das Joint Venture Bajaj Allianz Life Insurance in die SKS Microfinance investiert. Das Geschäft mit Kleinstdarlehen für den informellen Sektor hat weiterhin immenses Potenzial, allerdings sehen einige Experten bereits die Gefahr einer Überhitzung und einer ungehemmten Kreditvergabe, die bei den Kreditnehmern zu einem hohen Überschuldungsrisiko führen kann.

Zugangsmöglichkeiten
Der Mikrofinanzmarkt ist durch sein außerordentliches Wachstum der letzten Jahre inzwischen ein globales – auch für kommerzielle Anleger interessantes – Finanzinstrument. Dadurch ergeben sich neue Anforderungen an die Praktiken und Strukturen der Mikrofinanzierung und es treten neue und ungewohnte Entwicklungen und Konflikte auf. Eine stärkere Regulierung des Mikrofinanzmarktes ist in dieser Hinsicht von besonderer Bedeutung. Insofern sind Börsengang und finanzielles Engagement von Großanlegern positiv zu sehen, da sie zum einen eine stärkere Regulierung fördern und zum anderen Mikrofinanzinstituten die Möglichkeit geben, ihren Kreditnehmern Zinssätze anzubieten, die deutlich unter dem aktuell meist sehr hohen Niveau liegen.

Solche Zugangsmöglichkeiten sind im KMU-Sektor von Entwicklungs- und Schwellenländern erheblich weniger vorhanden. Die Situation ist hier eine ganz andere. Klein- und mittelständische Unternehmen haben mangels kritischer Größe keinen oder lediglich eingeschränkten Zugang zu Krediten. Sie sind oftmals zu groß für Mikrokredite und zu klein, um – anders als größere Unternehmen und staatliche Betriebe – von kommerziellen Geschäftsbanken im nötigen Maße bedient zu werden. Das ist angesichts der überragenden Bedeutung dieses Sektors für die wirtschaftliche Entwicklung eine erhebliche Beeinträchtigung der Wachstumschancen eines Landes. Positiv betrachtet aber auch ein Potenzial, das es in jeder Hinsicht zu fördern gilt. Untersuchungen über Entwicklungsländer zeigen auch, dass die aktuellen Wachstumsaussichten von KMUs überdurchschnittlich hoch sind. Damit der KMU-Sektor seine ökonomische Funktion in der Breite entwickeln kann, ist der Zugang zu Bankdienstleistungen und Finanzierungsquellen eine essenzielle Voraussetzung. Man kann dies als weiteren Schritt, als eine nächste Ebene dessen beurteilen, was im Mikrofinanzsektor geschieht und geschehen ist. Hinzu kommt, dass kleine und mittelgroße Unternehmen – anders als Einzelpersonen –  oftmals schon ausreichende Kreditsicherheiten und tieferes Know-how vorweisen können.

Gleichwohl gibt es hohe Hürden, diesen Sektor mit Krediten und Bankdienstleistungen zu versorgen. Der KMU-Sektor in Entwicklungs- und Schwellenländern ist sehr fragmentiert und heterogen. Es gibt wenig verlässliche Daten über die Segmentierung dieses Sektors, über die vorherrschende Wettbewerbssituation sowie über die Charakteristiken in den jeweiligen Marktsegmenten. Auch über die individuellen spezifischen Risiken und Chancen der Unternehmen und Branchen in den einzelnen Ländern stehen zumeist nicht ausreichend Informationen zur Verfügung. Banken und Finanzinstitute stehen daher vor der zusätzlichen Herausforderung, diesen Markt zu verstehen und interessante Marktsegmente zu identifizieren. Eine eingehende Marktanalyse und -bewertung ist daher ein erster wichtiger Schritt, um den Prozess eines Kreditengagements einzuleiten. Denn Reife und Verfassung des Sektors haben bei weitem nicht das Niveau wie in entwickelten Ländern. So kämpfen die Unternehmen teilweise mit ganz einfachen Problemen, angefangen von Materialbeschaffung, über Ersatzteile und Transport bis hin zu IT und Marketing. Daher kommt es vor allem darauf an, ein differenziertes und tiefes Verständnis dieser Unternehmen zu ermöglichen, um die speziellen Bedürfnisse angemessen adressieren und KMU-Risiken adäquat managen zu können.

Trotz dieser Hürden sind in Entwicklungs- und Schwellenländern zahlreiche Aktivitäten zu beobachten, um für den KMU-Sektor Kreditinfrastrukturen und Zugang zu Bankdienstleistungen zu schaffen. Die Entwicklung einer breiten ökonomischen Basis, Wachstum und mehr soziale Stabilität spielen für diese Länder eine tragende Rolle in der Förderung solcher Aktivitäten. Dies gilt trotz aller bestehenden Barrieren und Vorschriften auch für ausländische Kapitalgeber. Inzwischen werden zusätzlich von politischer Seite rechtliche und regulatorische Hemmnisse in einigen Ländern konsequent angegangen. Und das KMU-Segment gilt nicht nur aus der Sicht einiger lokaler Akteure als sehr interessant.

Die IFC und regionale Entwicklungsbanken zum Beispiel setzen mit ihren Finanzierungsprogrammen wichtige Impulse zur nachhaltigen Entwicklung des privaten KMU-Sektors in diesen Ländern. Die IFC begleitet zudem kommerzielle Geschäftsbanken mit vielfältiger Erfahrung dabei, Chancen dieses Sektors zu erkennen, diese anzugehen und sich dort zu positionieren. Die Investments dieser Organisation in Finanzinstitute, die kleine und mittelgroße Unternehmen versorgen, sind in den vergangenen fünf Jahren um 270 Prozent auf mehr als sechs Milliarden Dollar bis Ende 2009 gestiegen. Man kann in der Tat inzwischen eine Transformation der Finanzindustrie im Hinblick auf den KMU-Sektor konstatieren und eine Stärkung lokaler Finanzmärkte feststellen. Lokale Großbanken haben KMU-Einheiten aufgebaut und sind mit einem maßgeschneiderten Ansatz in dieses Geschäftssegment eingestiegen.

Die Lücke
Das „Missing Middle“, die Lücke in der Finanzierung kleiner und mittelgroßer Unternehmen, ist also eine Thematik, der sich immer mehr Marktteilnehmer annehmen möchten. Die KMU-Finanzierung ist, vor allem in Entwicklungsländern, ein stark wachsendes Geschäft. Es wundert daher nicht, dass dieser Sektor heute von einem breiten Spektrum inländischer Institute bedient wird und inzwischen auch strategisches Ziel von ausländischen Banken geworden ist. Diese Hinwendung ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass das Kreditgeschäft mit kleineren und mittelgroßen Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern von Krisen kaum tangiert wird und daher eine sinnvolle Diversifikation des Kreditportfolios darstellt. Der KMU-Sektor ist in vielen Ländern inzwischen wesentlich transparenter, hat sich vielfach etabliert und stellt aufgrund der vielfältigen Aktivitäten lokaler Finanzinstitute mehr Daten und Informationen zur Verfügung. Die bisherige Erfahrung zeigt zudem, dass die Gefahr des Kreditmissbrauchs sehr gering ist und mit der Stellung von ausreichenden Sicherheiten durch die KMUs das Kreditausfallrisiko deutlich begrenzt werden kann. Gleichwohl erfordern diese Unternehmen ein besonderes, individuelles Herangehen, um der Herausforderung von Kreditrisiken und kostenintensiver Services begegnen zu können.

Aus der Perspektive von Entwicklungsländern ist die Entfaltung und Stärkung des KMU-Sektors also der Treiber, um nachhaltiges Wachstum zu sichern und Arbeitsplätze zu schaffen. Eine flächendeckende Versorgung mit Bank- und Kreditinfrastrukturen auch im ländlichen und agrarwirtschaftlichen Bereich, wo zumeist der Großteil der Bevölkerung ansässig ist, stellt hierbei ein wichtiges Ziel dar. Denn das Wachstum des Agrarsektors hat die höchste Auswirkung auf die Verringerung von Armut. Mit einer Bereitstellung adäquater Bankdienstleistungen in der Breite ist nicht nur die Förderung wirtschaftlicher, sondern auch sozialer Entwicklungsaktivitäten verbunden. Durch gezielte Angebote können zudem Schwerpunkte in bestimmten entwicklungspolitisch relevanten Sektoren und Bereichen gesetzt werden; Kreditprogramme können in eine nachhaltige Richtung, wie zum Beispiel Energieeffizienz, lenken.

Fazit:
Das Investmentthema „KMU Finanzierung“ stößt inzwischen auch bei institutionellen Anlegern im deutschsprachigen Raum auf ein sehr hohes Interesse. Erste Produktangebote, beispielsweise in Form von Anlagefonds die mit Partnerfinanzinstituten in den Entwicklungs- und Schwellenländern zusammenarbeiten, gibt es bereits. Dabei stellen eine dezidierte Länder- und Branchenanalyse, ein betriebswirtschaftlicher Prüfungsprozess der jeweiligen Partnerfinanzinstitute vor Ort sowie die Prüfung verschiedener sozialer und ökologischer Kriterien im Vorfeld der finalen Kreditvergabe wesentliche Kernelemente der Kooperation dar. Auf Fondsebene sollte zudem ein laufendes Risikomanagement implementiert sein, um alle relevanten Risiken permanent zu messen und entsprechend zu adressieren. Durch eine mittel- bis langfristige Investition in entsprechende Vehikel eröffnet sich dem institutionellen Anleger also erstmals ein Zugang zu einem Investment, das sich aufgrund seines Rendite-Risiko-Profils als Rentenersatz im Depot eignen könnte und zusätzlich nachhaltiges Wachstum in Entwicklungs- und Schwellenländern mit unterstützt.


---
*)
Edda Schröder ist Geschäftsführerin von ConCap Connective Capital; Stephan Beismann ist Head of Business Development bei Kepler Capital Markets.