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Gastbeitrag: Fixed-Income-Silberstreif am europäischen Horizont

Die europäische Wirtschaft und insbesondere Deutschland haben mit einem stagnierendem BIP zu kämpfen. Hinzu kommen strukturelle Probleme wie die schwache technologischen Entwicklung und hohe Energiepreise. Doch es gibt auch Lichtblicke, wie etwa die Inflationsentwicklung oder die gestärkte Funktion der EZB als Kreditgeber der letzten Instanz. Insbesondere für Anleiheinvestoren ergeben sich daraus attraktive Chancen.

Nicola Mai

Nicht erst seit heute muss sich die Eurozone mit massiven wirtschaftlichen Herausforderungen auseinandersetzen. Das BIP-Wachstum liegt seit Langem deutlich hinter dem der USA zurück. Zurückzuführen ist das vor allem auf die schwache Entwicklung in Deutschland und Frankreich. Die größten Hemmnisse sind unter anderem die wachsende Konkurrenz aus China sowie die hohen Energiekosten. Dennoch wartet Europa aus Anlegerperspektive nicht nur mit Risiken, sondern auch mit Chancen auf.

Die wirtschaftlichen Probleme der Eurozone haben sowohl zyklische als auch strukturelle Ursachen. In die erste Kategorie fallen finanzpolitische Maßnahmen zur Stimulierung der Wirtschaft, welche in Europa im Vergleich zu den USA weitaus geringfügiger ausgefallen sind, was mit ein Grund für die schwächere Entwicklung ist. Daneben schränken strukturelle Defizite das Wachstum ein – hier ist etwa der Technologie- und den Produktivitätsrückstand sowie das niedrige Investitionsniveau zu nennen.

Tatsächlich scheint es auch Anzeichen für eine Konjunkturbelebung zu geben, so haben etwa die jüngsten Daten des Einkaufsmanagerindex (PMI) einen leichten Anstieg verzeichnet. Doch Optimismus wäre hier fehl am Platz. Die Vermutung liegt nämlich nahe, dass saisonale Einflüsse und Lageraufstockungen von US-Unternehmen vor der Einführung neuer Zölle eine Rolle spielen. Darüber hinaus gibt es noch einen weiteren Bremsfaktor für die Wirtschaft: die politische Unsicherheit, vor allem in Deutschland und Frankreich. Denn sie ist der Grund dafür, dass europäische Banken gerade ihre Kreditkonditionen hochfahren. Laut der im Januar 2025 von der EZB veröffentlichten Umfrage zum Kreditgeschäft haben Banken in der Eurozone zuletzt ihre Kreditstandards für Unternehmen erneut verschärft. Ausschlaggebend dafür ist die stärker werdende Risikowahrnehmung mit Blick auf die wirtschaftlichen Aussichten bei gleichzeitig abnehmender Risikobereitschaft der Institute.

US-Importzölle – bloße Gefahr reicht für schwache Wachstumsaussichten
Die wirtschaftlichen Aussichten Europas sind schon so gelinde gesagt herausfordernd. Doch der zunehmend unsichere Welthandel ist eine zusätzliche Belastung für die exportabhängige europäische Wirtschaft. Wie sich die Trumpsche Handelspolitik im Detail weiterentwickelt, ist noch nicht genau abzusehen. Die ersten Handelsmaßnahmen haben sich zunächst klar auf Kanada, Mexiko und China konzentriert. Die jüngsten Äußerungen und Maßnahmen deuten aber auf eine Ausweitung der Handelsbeschränkungen hin – wobei Europa zunehmend ins Visier rückt.

Wie aggressiv die Zollpolitik letzten Endes ausfallen wird, bleibt abzuwarten. Doch allein die Drohung führt wahrscheinlich schon zu vorsichtigerem Verhalten auf Seiten der Unternehmen – das war auch 2018-2019 während der ersten Trump-Regierung zu beobachten. Viele europäische Unternehmen kürzten damals wegen der erhöhten Unsicherheit ihre Investitionspläne. Auf Basis dieses Status Quo ist auch weiterhin mit einem unterdurchschnittlichen Wachstum der Eurozone zu rechnen. Sollte zu den ohnehin sehr fragilen Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum noch ein vollumfänglicher Handelskrieg hinzukommen, könnte Europa schnell in eine Rezession rutschen.

Und dann ist da noch die Gefahr eines globalen Konjunkturabschwungs, der alle anderen wirtschaftlichen Probleme Europas noch weiter verschärfen würde. Mit entscheidend ist hier nicht nur die US-Politik, sondern auch die chinesische Wirtschaftsentwicklung. Einige Marktteilnehmer hoffen auf eine expansivere Fiskalpolitik der nächsten deutschen Regierung. Ebenso könnte ein Ende des Kriegs in der Ukraine zwar positive Impulse für das europäische Wachstum setzen, die direkten wirtschaftliche Effekte dürften jedoch begrenzt bleiben.

Nun aber zu den wirklichen Hoffnungsschimmern – der größte inmitten der aktuellen Gemengelage ist wohl in der Inflationsentwicklung zu finden. In den Industrieländern bewegt sich die Inflation zunehmend in Richtung der Zentralbankziele, da sich die Arbeitsmärkte normalisieren und die Weltwirtschaft abkühlt. Die Zentralbanken, einschließlich die EZB, dürften so mehr Spielraum für weitere Zinssenkungen im Jahr 2025 haben. Die Märkte gehen derzeit von einem Endzinsniveau von zwei Prozent aus. Wir erwarten allerdings, dass die EZB die Zinsen noch stärker senken wird. Die Prognose stützt sich auf das schwache konjunkturelle Umfeld sowie den rückläufigen Inflationstrend. Es sei aber auch angemerkt, dass die letzten Meter erst noch zu bewältigen sind. Die US-Notenbank wird im Gegensatz dazu wohl vorsichtiger agieren, denn die US-Wirtschaft ist nach wie vor robust und neue Zölle heizen möglicherweise die Inflation an.

Europäische Anleihen als Anker im Meer der Unsicherheit
Für die Geldanlage mit Anleihen sehen wir in diesem unsicheren Umfeld gute Chancen. Die aktuellen Renditen liegen deutlich über dem Niveau vor der Corona-Pandemie, was festverzinsliche Anlagen besonders interessant macht. Vor allem europäische Anleihen mit Laufzeiten zwischen fünf und zehn Jahren erscheinen attraktiv. Längere Laufzeiten sollten mit entsprechender Vorsicht behandelt werden, insbesondere aufgrund zunehmender Staatsanleiheemissionen und nachlassender Unterstützung durch die Zentralbanken. Insgesamt bieten Anleihepositionen in Portfolios allerdings erhebliches Aufwärtspotenzial, falls sich das globale Handelsumfeld weiter eintrüben sollte.

Abseits der Kern-Duration sind die Risikoaufschläge europäischer Staatsanleihen gegenüber deutschen Bundesanleihen historisch betrachtet gering. Doch wir sehen im restlichen Europa heute auch mehr Stabilität als noch vor einem Jahrzehnt. Das liegt unter anderem daran, dass die EZB ihre Rolle als Kreditgeber letzter Instanz für Staaten gefestigt hat. Gleichzeitig hat die fiskalische Zusammenarbeit innerhalb der Eurozone zugenommen, die Euroskepsis hingegen abgenommen.

Was Aktien und andere Risikoanlagen angeht, gibt es gute Gründe für Zurückhaltung – allen voran die etwas selbstgefälligen Bewertungen in einem herausfordernden makroökonomischen Umfeld. Im Währungsbereich bevorzugen wir eine Untergewichtung des Euro gegenüber dem US-Dollar, was den makroökonomischen Aussichten und den fortwährenden Zollrisiken zuzuschreiben ist.

Fazit
Die europäische Wirtschaft, insbesondere Deutschland, leidet unter stagnierendem Wachstum sowie strukturellen Problemen wie einer schwachen technologischen Entwicklung, hohen Energiepreisen und intensiver Konkurrenz aus China. Politische Unsicherheiten verschärfen die Lage zusätzlich und führen zu restriktiveren Kreditvergabestandards der Banken. Und zu guter Letzt stellt die zunehmende Unsicherheit im Welthandel eine erhebliche Belastung dar.

Dennoch gibt es positive Entwicklungen zu vermelden, vor allem im Vergleich zu den letzten zehn Jahre: Die EZB ist nun als Kreditgeber letzter Instanz handlungsfähig, die fiskalische Zusammenarbeit in der Eurozone hat sich verbessert, und die Euroskepsis ist zurückgegangen. Alles in allem hält der Ausblick erhebliche Chancen für Festzinsanleger bereit.

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*) Nicola Mai, Ökonom und Analyst für Staatsanleihen bei PIMCO