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Invesco: Konjunktur und Zentralbankpolitik werden Marktrichtung auch 2023 bestimmen

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat zwar die Schlagzeilen im Jahr 2022 dominiert, für die Märkte waren die Inflation und die Zentralbankpolitik aber von größerer Bedeutung, meint Paul Jackson, Global Head of Asset Allocation Research im Global Market Strategy Office von Invesco.

Paul Jackson

Genauso glaubt der Investmentexperte, dass die Zentralbanken die Marktrichtung auch 2023 bestimmen werden. Mit seiner Anfang Januar 2023 veröffentlichten „Aristotle List“ unwahrscheinlicher, aber möglicher Ereignisse stellt Jackson zehn Ideen vor, die von der allgemeinen Meinung abweichen und mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 30% in den nächsten zwölf Monaten eintreten werden – und so Anlagechancen für Anleger eröffnen könnten, die bereit sind, gegen den Konsens zu investieren.

Jacksons jährliche Aristotle List folgt der Feststellung des griechischen Philosophen, dass es den Menschen im Allgemeinen leichter fällt, an interessante unmögliche Ereignisse zu glauben als an unwahrscheinliche mögliche Ereignisse. „Meiner Ansicht nach lassen sich mit einer erfolgreichen Positionierung gegen den Konsens die höchsten Renditen erzielen – oder die größten Verluste vermeiden“, schreibt Jackson in einem Artikel zu seinen zehn Überraschungen des Jahres 2023 in der aktuellen Ausgabe der Invesco-Publikation „Uncommon Truths“.

Auf seiner letztjährigen Liste überwogen die negativen Überraschungen, da die Märkte nach einem starken Anlagejahr 2021 hoffnungsvoll ins Jahr 2022 gestartet waren. Nach dem schwierigen Jahr 2022 ist das Marktumfeld aktuell von einer größeren Unsicherheit und Volatilität geprägt, sodass seine Liste der zehn großen Überraschungen des Jahres 2023 optimistischer ausfällt.

So glaubt Jackson, dass die Kerninflation im Jahr 2023 deutlich sinken und in den USA unter 4% fallen wird. „Für viele Marktteilnehmer wäre das eine große und positive Überraschung.“. Die Inflation hält er für ein weitgehend zyklisches Phänomen und führt den jüngsten Inflationsschub auf die starke Ausweitung der Geldmenge im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zurück. Nachdem sich das Wachstum der Geldmenge M2 in den USA zuletzt drastisch verlangsamt hat, rechnet er auf Sicht der nächsten Jahre daher auch mit einem geringeren Inflationsdruck. Seiner Ansicht nach wird die Kombination aus sinkenden Inflationsraten und wirtschaftlicher Abschwächung die US-Notenbank (Fed) im zweiten Halbjahr 2023 zu einem geldpolitischen Kurswechsel bewegen.

Jackson zufolge könnten sich Anleihenanleger im Jahr 2023 mit einer Allokation in ukrainische Staatsanleihen gegen den Konsens positionieren und möglicherweise attraktive Renditen erzielen. So würden auf US-Dollar lautende 10-jährige ukrainische Staatsanleihen derzeit eine Rendite von 33,9% abwerfen – doppelt so viel wie 10-jährige türkische US-Dollar-Anleihen, der Top-Performer des Jahres 2022. „Natürlich ist das riskant. Ich bezweifle aber, dass andere Länder einen Zahlungsausfall der Ukraine zulassen würden, und glaube, dass diese Anleihen hohe Renditen erbringen könnten, wenn auch bei einem hohen Risiko“, so der Invesco-Experte.

Im Aktienbereich rechnet Jackson in diesem Jahr mit einer Outperformance des pakistanischen Marktes gegenüber den wichtigsten Indizes. Nach einem Indexrückgang von 9% im Jahr 2022 notiert der pakistanische Leitindex KSE-100 aktuell mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 4,3, bei einer Dividendenrendite von 10,2%. Auf Grundlage der Konsensprognosen für 2023 (Bloomberg, 5. Januar 2023) werden daraus 3,3 bzw. 10,7%. „Normalerweise signalisiert ein derartiges Bewertungsniveau, dass mit einem Rückgang der Gewinne und Dividenden gerechnet wird. Die Konsensschätzungen deuten jedoch auf das Gegenteil hin, was noch ermutigender ist, insbesondere im Vergleich zum deutlich teureren benachbarten indischen Markt“, sagt Jackson.

Der Invesco-Experte rechnet für 2023 auch mit einer Outperformance chinesischer Aktien, da Chinas Abkehr von seiner Null-Covid-Politik eine Rückkehr zu einer gewissen Normalität verspreche. Trotz Sorgen über stark steigende Infektionen seien chinesische Aktien in den vergangenen Monaten gut gelaufen, ein Trend, der sich 2023 fortsetzen könne. Mit einem zyklusbereinigten KGV von 14,7 seien chinesische Aktien Ende 2022 deutlich niedriger bewertet gewesen als im historischen Durchschnitt (25,9) und als US-Aktien (30,8) und indische Aktien (37,6). Zudem spreche einiges dafür, dass sich die chinesische Wirtschaft im Jahr 2023 dynamischer entwickeln wird als die Wirtschaft in den USA und Europa, nachdem China Anfang 2022 in eine Rezession gerutscht sei und die chinesische Zentralbank ihre Geldpolitik lockere.

Auf der negativen Seite rechnet Jackson mit einem weiteren Verlustjahr für die zehn Wachstumsaktien, die den NYSE FANG+ Index bilden. Das „Mania Template“ von Invesco, das den typischen Verlauf von Markt-Manien anhand historischer Erfahrungswerte nachzeichnet, legt nahe, dass in den zwölf Monaten nach dem Höhepunkt einer typischen Spekulationsblase ein Verlust von 45% üblich ist. Wie Jackson erklärt, folgte der Rückgang des NYSE FANG+ im Jahr 2022 weitgehend diesem Muster. Außerdem signalisiere das Template, dass es in der Regel weitere zwei Jahre dauert, bis die Luft aus der Blase vollständig entwichen ist, was typischerweise mit einem weiteren Kursrückgang um 20% bis 30% verbunden sei. „Ein weiteres Verlustjahr für den NYSE FANG+ Index mag eine kühne Prognose sein, insbesondere wenn unsere Erwartung eines Rückgangs der Anleiherenditen im Jahr 2023 eintrifft. Spekulationsblasen gehen aber in der Regel mit einem Überangebot an Krediten einher, wie es 2021 auch der Fall war. Daher spricht das inzwischen praktisch bei null liegende US-Geldmengenwachstum meiner Ansicht auch für einen weiteren Abbau dieser Blasen“, so Jackson.

Im Rückblick war die Prognosegüte der Aristotle List 2022 des Invesco-Experten bemerkenswert hoch. Nach einer Erfolgsquote von lediglich fünf von zehn im Jahr 2021 trafen neun seiner zehn Vorhersagen ein – vom Rückgang des S&P 500 bis zu Argentiniens Weltmeistertitel. Unter anderem prognostizierte Jackson ganz richtig, dass die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihe über 2,5% steigen würde, dass der Reise- und Freizeitsektor im Zuge der Wiederöffnung nach der Pandemie outperformen würde und dass türkische Staatsanleihen und brasilianische Aktien überdurchschnittliche Renditen abwerfen würden. Die einzige Fehlprognose betraf den CO2-Preis in der EU: Anders als von Jackson erwartet, stieg dieser nicht über die 100-Euro-Marke, erreichte aber 98 Euro. „Vor einem Jahr haben wir für 2022 ein nachlassendes Wirtschaftswachstum sowie eine Konvergenz – und einen Rückgang – der Kapitalmarktrenditen prognostiziert. Unsere Erwartungen an die Inflation und den Anstieg der Anleiherenditen wurden erfüllt – und übertroffen. Das Ausmaß der Kursverluste an den Kapitalmärkten hat uns dagegen überrascht“, so Jackson.

Mit Blick auf seine diesjährige Aristotle List erläutert Jackson, dass er in den vergangenen Monaten, anders als in den beiden Vorjahren, einen sehr intensiven direkten Austausch mit Investoren hatte, wodurch er die aktuelle Stimmungslage besser einschätzen könne. „Wie gewöhnlich halte ich konjunkturelle Faktoren für den wichtigsten Renditetreiber. Ich glaube, dass die Marktentwicklung im Jahr 2022 vor allem durch die steigende Inflation und die restriktivere Zentralbankpolitik beeinflusst wurde, und erwarte, dass der Rückgang der Inflation und die Beendigung der geldpolitischen Straffung im Jahr 2023 maßgeblich sein werden. Daher bin ich trotz aller Rezessionsrisiken optimistischer, was den Marktausblick für die nächsten zwölf Monate angeht.“ Nachdem die steigenden Anleiherenditen für die Entwicklung der Märkte im vergangenen Jahr von größerer Bedeutung gewesen seien als die sinkenden Unternehmensgewinne, werde der erwartete Rückgang der Anleiherenditen im Jahr 2023 vermutlich auch von größerer Bedeutung sein als sinkende Unternehmensgewinne, und als (positiver) Treiber dienen.