In ihrem Basisszenario gehen die Invesco-Experten dabei davon aus, dass der militärische Konflikt zwischen Russland und der Ukraine andauern wird, ohne dass es zu einer Eskalation kommt, die eine abrupte Unterbrechung der russischen Energielieferungen nach Europa zur Folge haben könnte. Die Inflation werde Mitte 2022 ihren Höchststand erreichen und dann in den USA und anderen großen Industrieländern langsam nachlassen, wenn die sinkenden realen Einkommen und die geldpolitische Straffung auf die Nachfrage drücken. Aufgrund der hohen Rohstoffpreise rechnen sie im weiteren Jahresverlauf mit einer anhaltenden Wachstumsschwäche, gefolgt von einer Rückkehr zum Trendwachstum im Jahr 2023.
Wie Dr. Henning Stein, Global Head of Thought Leadership & Market Strategy, erläutert, wird das Ausmaß des Abschwungs auch von der Fähigkeit der Zentralbanken abhängen, die Geldpolitik so weit zu straffen, dass die Wirtschaft abgekühlt und die Inflation gesenkt werden, aber nicht so stark, dass ihre jeweiligen Volkswirtschaften in eine Rezession abgleiten.
Bei einer ununterbrochenen Energieversorgung, aber weiterhin hohen Energiepreisen rechnen die Invesco-Experten in Europa im weiteren Jahresverlauf 2022 und bis ins Jahr 2023 hinein mit einer hohen Inflation und einem schwächeren Wachstum – einer schwierigen Kombination, die dazu führen könnte, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen im Jahr 2022 nur ein oder zwei Mal erhöht.
In den USA dürften die anhaltend positiven Impulse durch das Ende der pandemiebedingten Beschränkungen die Wachstumsdynamik stützen, obwohl die US-Notenbank (Fed) im Jahr 2022 so schnell wie möglich einen neutralen Leitzins erreichen und ihre Bilanz verkürzen will. Von der Fed erwarten die Invesco-Experten eine den Markterwartungen entsprechende Straffung der Geldpolitik, durch die der Leitzins im ersten Quartal 2023 in einer Spanne von 2,50 bis 3,00 liefen dürfte. Damit wäre die geldpolitische Ausrichtung der Fed neutral bis leicht restriktiv. In der Folge würde die gesamte Zinskurve bis zum Jahresende flacher werden.
Verglichen mit den großen westlichen Industrieländern befindet sich China – vor allem aufgrund der anhaltenden pandemiebedingten Herausforderungen – weiterhin in einer deutlich anderen Phase des Konjunkturzyklus. Die Invesco-Experten rechnen hier jedoch im weiteren Jahresverlauf mit einer durch geld- und fiskalpolitische Impulse angekurbelten Wachstumsbeschleunigung und einer anschließenden Rückkehr zum Potenzialwachstum.
Für einige Schwellenländer wie Russland, Brasilien und Mexiko, wo die höhere Inflation bereits im vergangenen Jahr zu aggressiven Zinserhöhungen geführt hat, werden weitere Zinsschritte prognostiziert. Dagegen könnten große asiatische Schwellenländer, in denen die Inflation nicht erhöht ist, die Zinsstraffung in diesem Jahr weiterhin begrenzt halten und so ein angemessenes Wirtschaftswachstum aufrechterhalten können.
In ihrem Investmentausblick skizzieren die Investmentexperten von Invesco auch zwei Alternativszenarien, die als weniger wahrscheinlich eingestuft werden. Im Negativszenario käme es durch eine Einstellung der russischen Energielieferungen zu einem Energieschock, der zu einer weltweit höheren Inflation und einem schwächeren Wachstum führen würde und mit einem höheren Rezessionsrisiko verbunden wäre. Im Positivszenario würde eine überraschende Deeskalation des militärischen Konfliktes in der Ukraine die aktuellen geopolitischen Risikoprämien an den Energie- und Rohstoffmärkten reduzieren. Nach Ansicht der Invesco-Experten spräche das für ein höheres globales Wachstum und eine weltweit rückläufige Inflation, aber auch für eine stärkere Straffung der Geldpolitik in den meisten bedeutenden Industrieländern.
Was das Marktumfeld angeht, rechnen die Invesco-Experten im weiteren Jahresverlauf 2022 mit einer im Schnitt höheren Marktvolatilität als 2021, solange die Märkte das restriktivere monetäre Umfeld verdauen. In ihrem Basisszenario prognostizieren sie bescheidene Renditen bei einer geringen Renditestreuung zwischen Anleihen, Kreditanlagen und Aktien.
In diesem Umfeld spräche ihrer Ansicht nach viel für eine Übergewichtung von Aktien gegenüber Anleihen. Angesichts einer nachlassenden Wachstumsdynamik und einer sich ihrem Höchststand annähernden Inflation würden sie eine moderate Outperformance von defensiven Sektoren mit Qualitätsmerkmalen wie IT, Kommunikationsdiensten, Gesundheit, Immobilien und Basiskonsumgütern sowie von Large-Caps erwarten. In der regionalen Betrachtung hätten sie eine Präferenz für US-Aktien gegenüber Aktien anderer Industrieländer, da die globale Wachstumsverlangsamung für eine Konzentration auf Regionen mit einer geringeren Konjunktursensitivität und besseren Kostenstrukturen spräche.
Für Investoren sei es wichtig, auch bei einem Ausverkauf der Märkte Ruhe zu bewahren, meint Henning Stein: „Anleger sollten weiter strategisch vorgehen und taktischen Aktionismus vermeiden. In China sind die Chancen größer als die Risiken. Ich sehe gute Einstiegschancen.“
Bei der Renditesuche im Anleihenbereich setzen die Invesco-Experten eher auf eine längere Duration als auf ein höheres Kreditrisiko. Mit Voranschreiten des Zyklus sei mit einer Ausweitung der Kreditspreads zu rechnen, insbesondere in bonitätsschwächeren Segmenten. Kreditanlagen aus Schwellenländern halten sie für aktuell attraktiv bewertet.
Im Alternatives-Bereich könnten Buyout- und Venture-Strategien durch die relativ hohen Bewertungen und ein zunehmendes „Dry Powder“ (von Anlegern zugesagtes, aber noch nicht investiertes Kapital) unter Druck stehen. Durch das Potenzial für einen anhaltenden Aufschwung des Welthandels, des Personenverkehrs und der Büroauslastung in Verbindung mit relativ attraktiven Bewertungen und Inflationsschutz halten die Invesco-Experten den Ausblick für Sachwerte für insgesamt günstig. Diese würden in der Regel positiv auf die Inflation reagieren, weil höhere Preise normalerweise zu höheren Einnahmen und einer Aufwertung der physischen Vermögenswerte führen.
„In unserem Basisszenario sprechen die überdurchschnittlich hohe Inflation und mehrere Zinserhöhungen für den Aufbau eines Portfolios, das auch in einem schwierigen und ungewohnten Umfeld positive nominale Renditen erzielen kann“, so Stein. „Unserem zukunftsorientierten Risikomodell zufolge kann ein traditionelles 60/40-Portfolio durch eine Beimischung von inflationssensitiven Anlagewerten wie Immobilien und Rohstoffen unter verschiedenen Makro- und Marktbedingungen eine bessere Performance erzielen.“