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Kommentar: ESG als Entscheidungskriterium institutioneller Immobilieninvestoren

Environmental, Social und Governance-Themen (ESG) haben für Marktteilnehmer in der Immobilienbranche deutlich an Bedeutung zugenommen. Nachhaltigkeit ist für Investoren, Nutzer und Entwickler ein wichtiger Bestandteil der Entscheidungsfindung geworden, wobei soziale und Governance-Faktoren den früheren energie- und umweltzentrierten Ansatz ergänzt haben. Gleichzeitig werden die Anforderungen des ESG-Reportings von Jahr zu Jahr komplexer. Wie gehen Investment-Manager damit um?

Paul Muno (Photocredit: Principal)

Die Fähigkeit der Immobilienbranche, die ESG-Anforderungen der institutionellen Investoren zu verstehen und zu bedienen, wird immer entscheidender. Projektentwickler sorgen dafür, dass Bauprojekte bereits in der Bauphase den Prüfungsprozess internationaler Bewertungssysteme wie zum Beispiel dem britischen BREEAM-Zertifikat unterliegen. Ebenso nehmen Investment Manager die Anliegen der institutionellen Investoren ernst und unterstützen sie dabei, ihre Investmentkriterien umzusetzen.

Das ist umso entscheidender, als die großen Versicherungen, Versorgungswerke, Stiftungen und Pensionskassen fortschreitend den Immobilienbestand in ihren Portfolios erhöhen. Die durchschnittliche Immobilienquote der deutschen Versicherungen hat 2019 mit 10,3% einen historischen Höchststand erreicht. 51% der Versicherer und 37% der Pensionskassen in Europa haben die Absicht, ihren Anteil an Sachwerten in den nächsten zwölf Monaten zu erhöhen.

Für viele in der Immobilienbranche spielen bislang vor allem die umweltbezogenen ESG-Faktoren eine Rolle. Das hat seinen Grund. Immobilien verbrauchen nach Angaben der UN 40% der globalen Energie. Damit die Erwärmung der Erde unter 2 Grad Celsius bleibt, muss der weltweite Energieverbrauch von Gebäuden bis 2030 um 30% sinken. Tatsächlich nennen viele amerikanische, europäische und asiatische Investment- und Fondsmanager vor allem Kriterien wie Energie, CO2-Emission, Wasser und Abfall als relevante ESG-Kriterien ihrer Investmententscheidung.

In der Immobilienbranche spielen für viele natürlich auch soziale Faktoren und Corporate Governance eine Rolle. Entsprechend empfiehlt beispielsweise der Branchenverband britischer Pensionsfonds seinen Mitgliedern Fragen zum gesamten ESG-Spektrum einschließlich von gesellschaftlichen und Governance-Fragen.

93% der Investoren beziehen ESG-Kriterien in ihre Investitionsentscheidungen ein. Doch bei der Umsetzung und der Vereinheitlichung des ESG-Reportings spielen auch andere Player eine Rolle, wie Branchenverbände und staatliche bzw. europäische Einrichtungen. Im Rahmen der Marktregulation versteht sich die EU dabei in der Rolle eines Verbraucherschützers, der Investoren in den Stand versetzt, informierte Entscheidungen zu treffen. Wer nachhaltig investieren will, soll Produktangebote erhalten, die das auch nachprüfbar erfüllen.

Im Jahr 2019 hat darum der Europäische Rat nach Konsultationen mit Branchenplayern eine wichtige Verordnung zu nachhaltigen Investments erlassen, zunächst mit dem Ziel europaweit einheitlicher Nachhaltigkeitskriterien. Diese „Taxonomie“ beschäftigt nun institutionelle Investoren und Asset Manager.

Die EU-Taxonomie ist ein Klassifizierungsrahmen, um Geschäftsaktivitäten daraufhin zu bewerten, ob sie ökologisch nachhaltig sind. Es geht um vier Eigenschaften: Die Geschäftsaktivität muss einen wesentlichen Beitrag zu den Umweltzielen leisten, nämlich zur Minderung des Klimawandels und zur Anpassung an den Klimawandel; sie darf keinem der Umweltziele erheblichen Schaden zufügen; sie muss unter Einhaltung der sozialen Mindeststandards durchgeführt werden; und sie muss die technischen Screening-Kriterien erfüllen.

Es gibt weitere Rahmenwerke, teils aus der Branche selbst, die je nach Schwerpunkt angewendet werden. Beispielsweise der Global Real Estate Sustainability Benchmark (GRESB) und die INREV Sustainability Reporting Guidelines, die sich noch in der Entwicklung befinden. Die Reporting-Anforderungen entspringen auf Investoren-Seite meistens der Logik des Risikomanagements, so dass Nachhaltigkeit im Ergebnis immer auch eine langfristige Risikoreduzierung bedeutet.

Den vollen Katalog der ESG-Kriterien erfüllen fast nur neue Projektentwicklungen in Spitzenqualität. Auch angesichts möglicher Rezessionsrisiken wären Core-Standorte und neue ESG-Gebäude eine bevorzugte Wahl vieler institutioneller Investoren. Allein, die auf dem Markt verfügbare Menge der Neubauten in dieser Qualität ist begrenzt. Projektentwickler in Europa sind derzeit nicht übermäßig aktiv.

Der Druck zur Ökoeffizienz ist auch auf der Mieterseite meist weniger gering als bei den institutionellen Investoren, sodass es durchaus eine Abnahme für den nicht so ökologischen Altbestand an Immobilien gibt. Angesichts der großen Menge an Altbestand und der geringen Neubautätigkeit ist die Umsetzung der ESG-Normen ein Vorhaben, das einen langen Atem verlangt. Angesichts dieser Situation gibt es in der Praxis auch auf Investorenseite durchaus Kompromissbereitschaft.

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*) Paul Muno, Head of Germany, Principal Real Estate Europe