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Kommentar: EZB mit Annäherung an den Zinsgipfel

Nach der jüngsten Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank lautet die zentrale Frage nicht mehr „Wie hoch?“, sondern „Wie lange?“.

Konstantin Veit

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat auf der zurückliegenden Sitzung Ende Juli den Leitzins wie erwartet um 25 Basispunkte erhöht. Gleichzeitig hat sie angedeutet, dass weitere Anhebungen nicht ausgeschlossen sind. Nach dem jüngsten Beschluss geht es nicht mehr um die Frage, wie weit die EZB auf dem Zins-Parkour noch weiter nach oben klettern wird, denn der Zinsgipfel scheint nah. Vielmehr rückt die Frage in den Mittelpunkt, wie lange sie dort oben ausharren möchte. Wir sind der Meinung, dass die Verweildauer länger ausfallen könnte, als es die Future-Märkte aktuell einpreisen.

Die Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Inflation ist nach wie vor groß und erschwert die Entscheidungsfindung der EZB. Zwar hat sich die wirtschaftliche Dynamik im Euroraum deutlich abgeschwächt und zur Jahresmitte dürfte eine Stagnation wahrscheinlich sein. Allerdings erweisen sich die Arbeitsmärkte als ausgesprochen robust, was die Inflation weiterhin hochhalten könnte. Im Juni ist die Gesamtinflation in der Eurozone – gemessen am Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) – gegenüber dem Vorjahresmonat zwar auf 5,5% zurückgegangen (Mai 2023: 6,1%). Problematisch ist allerdings, dass die Kerninflation im gleichen Zeitraum etwas zugelegt hat, auf 5,5% im Juni.

Die Erfahrungen in den USA mit einem robusten Wachstum und einer anhaltenden, über den Erwartungen liegenden Inflation deuten darauf hin, dass die Kerninflation auch in der Eurozone langsamer zurückgehen könnte als das ursprünglich angenommen wurde. Aufwärtsrisiken ergeben sich vor allem aus den nach wie vor starken binnenmarkt- und lohnintensiven Komponenten der Inflation. Damit sich die Teuerung wieder dem 2%-Ziel der EZB annähert bedarf es einer gewissen Abschwächung des Arbeitsmarktes und der Gesamtwirtschaft.

Starker Arbeitsmarkt als Inflationstreiber
Im Gegensatz zu früheren geldpolitischen Sitzungen teilte die EZB ihre Absichten hinsichtlich der Leitzinsen für die nächste Sitzung im September nicht mit. Gleichwohl wurde deutlich, dass die Entscheidung zwischen einer weiteren Zinserhöhung und einer Zinspause liegen wird. Die EZB verfolgt bei ihren geldpolitischen Maßnahmen ähnlich wie die US-Notenbank Fed einen datenabhängigen Ansatz. Bis September dürfte es der EZB aufgrund neuer Zahlen und Projektionen möglich sein, ihre Einschätzungen zur den Inflationsaussichten und der Wirkung ihrer Geldpolitik umfassend zu aktualisieren. Der Markt rechnet aktuell damit, dass die Leitzinsen kumuliert noch um rund 20 Basispunkte steigen werden, bevor die EZB im ersten Quartal 2023 damit beginnen wird, die Zinsschraube wieder zurückzudrehen. Dass die Zentralbank schon zu einem solch frühen Zeitpunkt die Zinswende nach unten einläutet, erscheint uns mit Blick auf die anhaltenden Inflationsgefahren jedoch als nicht wahrscheinlich.

Seit der Veröffentlichung der letzten makroökonomischen Projektionen im Juni sind die Konjunkturdaten in der Eurozone tendenziell hinter den Prognosen der EZB zurückgeblieben. Die jüngsten Daten zum Einkaufsmanagerindex (PMI) des Euroraums lassen eine Stagnation der Wirtschaft zur Jahresmitte erwarten. Als Konsequenz daraus wird die EZB den erwarteten Wachstumspfad in der kommenden September-Projektionen wohl nach unten korrigieren. Die Inflation hat sich dagegen im Einklang mit den Projektionen der EZB entwickelt und könnte sich noch länger als Problem erweisen. Der robuste Arbeitsmarkt sowie Lohnerhöhungen als Inflationsausgleich haben die Dynamik beim Lohnauftrieb erheblich verstärkt. Zwar prognostizierte die EZB im Juni einen Rückgang des annualisierten Lohnwachstums von 5,3% im Jahr 2023 auf 3,9% im Jahr 2025. Allerdings liegt dieser Wert immer noch deutlich über dem langfristigen Durchschnitt von 2,1%.

EZB-Bilanzpolitik: Keine Änderungen im Juli, aber Abweichungen möglich
Auf der Juli-Sitzung hielt die EZB an ihrer Strategie zum Bilanzabbau fest. Diese sieht vor, die Bestände aus dem APP-Programm (Asset Purchase Programme) in einem maßvollen und vorhersehbaren Tempo zu verringern, indem die Tilgungsbeträge von Wertpapieren bei Fälligkeit nicht wieder angelegt werden. Was das Pandemie-Notfallankaufprogramm PEPP (Pandemic Emergency Purchase Programme) betrifft, beabsichtigt die EZB, die Tilgungsbeträge der im Rahmen des Programms erworbenen Wertpapiere mindestens bis Ende 2024 weiterhin bei Fälligkeit zu reinvestieren. Wir erachten es als möglich, dass die EZB bereits früher eine Reduzierung der PEPP-Reinvestitionen anstoßen könnte. Eine solche Abweichung würde allerdings weitere Fortschritte beim Abbau des APP-Portfolios sowie eine größere Gewissheit über den endgültigen Leitzins voraussetzen. Längerfristig betrachtet, wird die Reinvestitionspolitik der EZB wahrscheinlich davon beeinflusst werden, wie sich ein möglicher neuer operativer Rahmen für die Steuerung der kurzfristigen Zinssätze, einschließlich des Umfangs eines strukturellen Anleiheportfolios gestaltet.

Die Entscheidung der EZB, die Mindestreserven der Banken mit null Prozent zu verzinsen, kam zwar etwas unerwartet, hat aber unseres Erachtens keine größeren Auswirkungen auf die Geldpolitik oder die geldpolitische Transmission im weiteren Sinne. Die EZB betonte, dass die Entscheidung zur Mindestreserve dem Ergebnis aus der laufenden Überprüfung des Handlungsrahmens nicht vorgreift.

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*) Konstantin Veit, Portfoliomanager und EZB-Experte bei PIMCO