Wenn Theorie und Praxis aufeinanderprallen
2013 stiegen die Renditen amerikanischer Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit um 127 Basispunkte. Anfang 2013 hätte man erwartet, dass der Wert eines Portfolios aus US-Hochzinsanleihen mit einer mathematischen Duration von 4,1 als Reaktion auf eine solche Renditeänderung um 5,2 Prozent sinkt. Anleger, die in diesem Jahr mit einem Zinsanstieg rechneten, wären der Theorie folgend gut beraten gewesen, ihre Hochzinspapiere abzustoßen. Tatsächlich wäre ihnen auf das Jahr gesehen dann allerdings ein Ertrag von 8,15% entgangen.
Dieses Beispiel ist beileibe kein Einzelfall. Immer wieder beobachten wir, dass sich festverzinsliche Anlageklassen anders als anhand der Theorie vorhergesagt entwickeln (siehe Abb. 1). Wie aber ist zu erklären, dass der Anleihemarkt den Grundprinzipien der Finanztheorie trotzt? Ein Grund ist die mathematische Duration. Sie erfasst nicht alle wesentlichen Elemente, die sich auf den Kurs eines Portfolios festverzinslicher Wertpapiere auswirken. Abhilfe kann hier die empirische oder beobachtete Duration schaffen. Aber zunächst müssen die Elemente identifiziert werden, die bei der mathematischen Duration fehlen.
Abb. 1: Festverzinsliche Anlageklassen entwickeln sich nicht immer so wie anhand der mathematischen Duration prognostiziert
Quelle: Eikon, BofAML: alle britischen GBP-Unternehmensanleihen mit 5-10 Jahren Laufzeit, USD-Schwellenländer-Staatsanleihen, europäische Hochzinsanleihen, per 7. Juni 2017
Was fehlt der mathematischen Duration?
Angewandt auf ein Portfolio aus Anleihen geht die Duration von der Annahme aus, dass die Rendite jeder Anleihe im Portfolio in der gleichen Größenordnung steigt bzw. fällt. In der Realität sieht das hingegen völlig anders aus. Denn bei der Duration unberücksichtigt bleiben:
*Änderungen an der Form der Renditekurve
*Weitung bzw. Verengung von Risikoaufschlägen (Spreads) bei Unternehmensanleihen
*Regionale Unterschiede bei Zinsänderungen und
*Währungseinflüsse
Änderungen an der Form der Renditekurve – Bei Zinsänderungen kommt es nur in den seltensten Fällen zu einer parallelen Verschiebung der Renditekurve. Vielmehr ändert sie ihre Form und flacht sich in der Regel ab, wenn die Zinsen steigen, bzw. wird steiler, wenn sie fallen. Die Duration eines Portfolios erfasst diese komplexe Veränderung der Renditekurve nur unzureichend.
Spreads von Unternehmensanleihen – Ändern sich die Zinsen von Benchmark-Anleihen, geht das in aller Regel nicht spurlos an den Risikoaufschlägen von Unternehmensanleihen vorbei. Üblicherweise sinken sie, wenn die Renditen von Staatsanleihen steigen, bzw. steigen, wenn die Renditen fallen. Auf diese Weise federn Spreads die Auswirkungen von Zinsänderungen auf die Anleihekurse ab. Bei einer einzigen Durationskennzahl für ein Portfolio wird unterstellt, dass sich die Spreads von Unternehmensanleihen nicht verändern – was aber in der Realität nur selten der Fall ist.
Regionale Unterschiede – In einem Portfolio mit Anleihen aus verschiedenen Regionen bewegen sich deren Zinsen meist nicht im Gleichschritt. Grund sind Unterschiede in den Wirtschafts- und Zinszyklen der jeweiligen Länder oder Regionen. Gegenwärtig befinden sich die USA mitten in einem Zinserhöhungszyklus. In Europa, Großbritannien und Japan dagegen stagnieren die Zinsen. Nur eine Durationskennzahl für ein Portfolio kann unmöglich all diese regionalen Unterschiede erfassen.
Währungseinflüsse – Zinsänderungen haben üblicherweise auch Einfluss auf die Wechselkurse. Werden auf verschiedene Währungen lautende Anleihen in eine Währung umgerechnet, wirken sich die Wechselkurse auf den Wert der Anleihen aus. Wenn in den USA die Zinsen steigen, wertet der Dollar im Allgemeinen gegenüber anderen Währungen auf. Deshalb können globale Rentenfonds ohne Absicherung des Währungsrisikos empfindlicher auf Zinsänderungen reagieren als währungsgesicherte Portfolios.
Welchen zusätzlichen Nutzen bietet die empirische Duration?
Bei der empirischen Duration handelt es sich zwar um eine rückgewandte Kennzahl, da sie die tatsächlichen Portfolioerträge mit Renditeänderungen bei Staatsanleihen in vergangenen Zeiträumen vergleicht. Aber auf diese Weise kann sie viele bei der mathematischen Duration nicht erfasste Faktoren berücksichtigen.
So verdeutlicht Abb. 2 die Wechselbeziehung zwischen Renditeänderungen bei 10-jährigen Staatsanleihen und den Spreads globaler Hochzinsanleihen. In den letzten 15 Jahren lag die Korrelation im Schnitt bei -0,5. In diesem Zeitraum gab es jedoch auch einige Ausreißer nach oben, wie etwa auf dem Höhepunkt der Finanzkrise oder während des „Taper Tantrums“ 2013.
Abb. 2: Änderungen bei Spreads von Hochzinsanleihen und Staatsanleiherenditen korrelieren negativ
Quelle: Fidelity International, Bloomberg, Barclays Global High Yield Bond Index (unter Verwendung optionsbereinigter Spreads), per Mai 2017. Über 52 Wochen rollierend, Korrelationskoeffizient, Durchschnitt, Beginn der Finanzkrise, Taper Tantrum
Welche Faktoren sich konkret anhand der beobachteten Duration erklären lassen, zeigt das Beispiel der High-Yield-Anlageklassen. Ihre mathematische Duration bewegt sich in einer Bandbreite von 3,2 bis 4,2. Die in der Praxis beobachtete Duration liegt dagegen bei nahe null oder sogar im negativen Bereich. Das ist nachvollziehbar, handelt es sich bei Hochzinsemittenten in der Regel doch um hoch verschuldete Unternehmen. Tendenziell profitieren sie von steigenden Zinsen in Verbindung mit einem aufgehellten Konjunkturausblick, denn mehr Wachstum kurbelt ihre Umsätze an. Dieses Zusammenspiel lässt die Risikoaufschläge ihrer Anleihen sinken, erfasst anhand der beobachteten Duration.
Letztere ist überdies bei Schwellenländeranleihen deutlich geringer als die mathematische Duration. Das jedoch widerspricht der gängigen Auffassung, nach der sich höhere Zinsen in den USA im Allgemeinen nachteilig auf Schwellenländeranleihen auswirken. Steigende Zinsen in Amerika sind jedoch in der Regel ein Indiz für weltweit stärkeres Wachstum und beschleunigten Preisauftrieb. Und das sind grundsätzlich gute Nachrichten für die meisten Unternehmensanleihemärkte.
Fazit
Die mathematische Duration liefert wichtige Hinweise, wie sich eine Anleihe bei Zinsänderungen entwickelt. Bei einem Anleihefonds zeichnet sie jedoch nur ein unscharfes Bild der Reaktion des Gesamtportfolios auf Zinsänderungen. Ein Vergleich von mathematischer und beobachteter Duration eines Fonds zwingt Anleger, über die Gründe dieser Unterschiede und die Faktoren nachzudenken, die den Wert von Portfolios bestimmen. Das hilft ihnen zu verstehen, wie Zinsen die Anleihekurse beeinflussen und wie sie ihre Portfolios in Erwartung künftiger Zinsänderungen besser positionieren können.
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*) Annika Milz ist Leiterin Institutional Asset Management bei Fidelity International in Deutschland.