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Standpunkt: Welche Frontiermärkte derzeit ein interessantes Chance-Risiken-Verhältnis bieten

Die Frontiermärkte mit ihren jungen Bevölkerungen und historisch hohem Wachstum wurden von der Coronakrise hart getroffen. Dabei gibt es Volkswirtschaften, die stärker betroffen sind als andere. Eine Mischung aus vier Analysefaktoren kann Investoren als Blaupause für die Bewertung der verschiedenen Frontiermärkte dienen.

Peter Becker*

Volkswirtschaften wie Sri Lanka, Angola oder Nigeria gehören zu den sogenannten Frontiermärkten: Kleine Schwellenländer mit einer jungen Bevölkerung und hohen Wachstumszahlen, die jedoch noch nicht so etabliert sind wie die Emerging Markets. Als die Coronakrise im vergangenen Jahr auch diese Länder erfasste, reagierten viele Regierungen mit höheren Staatsausgaben und Lockdowns. Dabei waren diese Reaktionen allerdings oft milder als in den westlichen Industrienationen, obgleich gravierend.

Nun stellt sich die Frage, welche der Ökonomien aktuell ein interessantes Chance-Risiko-Verhältnis für Investoren bieten. Wer sich das Wirtschaftswachstum, die Fiskalpolitiken, die Außenbilanzen sowie die ESG-Faktoren der Frontiermärkte anschaut, wird erkennen, dass einige Volkswirtschaften aussichtsreicher sind als andere. Dabei zeichnet sich ein Trend recht klar ab: Bereits vor der Pandemie gut aufgestellte Volkswirtschaften kommen schneller zu altem Glanz zurück als Länder mit strukturellen Problemen.

Wachstumsmotoren geben Tempo vor
Die Frontiermärkte lassen sich auf Basis ihres Wirtschaftswachstums in drei Gruppen zusammenfassen. Am schnellsten aus der Krise kommen wird voraussichtlich die Gruppe der sogenannten Wachstumsmotoren. Diese meist afrikanischen Länder erholen sich wegen ihres hohen strukturellen Wachstums schnell. Viele von ihnen sind einer Rezession während der Coronakrise gar vollkommen entgangen und haben ihr Bruttoinlandsprodukt (BIP) auch im Krisenjahr 2020 gesteigert. Hierzu zählen Benin und Äthiopien sowie reichere Länder wie der Senegal, die Elfenbeinküste, Kenia und Ghana.

Zu den sogenannten „Emerging Markets von morgen“ zählen höher entwickelte, stärker diversifizierte und reichere Länder wie Nigeria, Kamerun, Gabun, Angola und Sri Lanka. Die Länder dieser Gruppe dürften, bei aufschwingender Wirtschaft und Tourismus, wieder stärker wachsen. Ein BIP wie vor Corona dürften diese Frontier Markets allerdings erst im Jahr 2022 erreichen.

Zuletzt gibt es Länder mit strukturellen Problemen wie Ecuador, Tunesien und Sambia. Diese erlebten 2020 eine heftige Rezession. Vermutlich wird das BIP hier erst nach 2024 wieder so hoch sein wie vor der Pandemie.

Große Unterschiede in den Fiskalpolitiken
Auch die Fiskalpolitiken der Regierungen während der Coronakrise sind ein wichtiges Kriterium zur Bewertung der Frontiermärkte. Hier zeigt sich: Reichere, höher entwickelte Länder gaben über ihre Fiskalpolitik meist mehr Geld aus als ärmere. Die Steuereinnahmen gingen zurück, während die Staatsausgaben stiegen, sodass die Haushaltsdefizite anschwollen. Von dieser Regel gibt es aber einige interessante Ausnahmen. In den ärmeren Ländern Mosambik, Sambia und Ghana etwa war die Fiskalpolitik äußerst antizyklisch, während sich die reicheren Ökonomien Angola und Gabun um besonders niedrige Defizite bemühten – mehr, als man es von Ländern ihrer Einkommensklasse in Krisenzeiten erwarten konnte.

Dieser Zusammenhang gilt auch für die Brutto-Staatsverschuldung vor und die Neuverschuldung während der Coronakrise: Hoch verschuldete Länder nahmen in der Regel mehr Schulden auf, niedriger verschuldete Länder weniger. Aber auch hier gibt es einige interessante Ausnahmen. Das angolanische Haushaltsdefizit etwa war vor Corona eines der niedrigsten der Region. Während der Coronakrise wertete die Landeswährung Kwanza dann stark ab, was die Verschuldung in die Höhe schießen ließ. Zwar stiegen die Einnahmen aus dem wichtigen Ölgeschäft durch den starken US-Dollar, im Gegenzug stiegen aber auch die Ausgaben für alles andere. Äthiopien war die einzige Volkswirtschaft, die sogar Schulden abbaute. Doch die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen im Land und nach wie vor hohe Schulden der Staatsunternehmen sollten Investoren kritisch betrachten.

Ebenfalls wichtig für die Entwicklung der Staatsverschuldung in den Frontiermärkten ist das Verhältnis aus Zinsaufwand und Steuereinnahmen. Je kleiner das Verhältnis, desto gesünder die Volkswirtschaft. Manche gering verschuldeten Länder mit hohen Zinszahlungen, etwa Nigeria, haben hier noch Potenzial. Andere Länder wie beispielsweise Tunesien können die Steuereinnahmen kaum noch steigern und das Verhältnis aus Zinsen und Einnahmen schwerlich senken. In Tunesien liegt das etwa daran, dass die meisten Schulden bislang von Zinszahlungen freigestellt sind und die Steuereinnahmen dort, wo es leicht möglich war, bereits deutlich gesteigert wurden.

Doch Schuldenstand und Zinsaufwand können sich ändern. Investoren sollten daher vor allem auf die Entwicklung der Fundamentaldaten achten. So können auch Länder mit hohen Staatsschulden und Zinsaufwand attraktiv sein, wenn ihre Fundamentaldaten gut sind – so beispielsweise in Angola.

Außenbilanzen durch Rohstoffpreise und Tourismus beeinflusst
Durch die hohen Rohstoffpreise haben sich die Terms of Trade vieler rohstoffexportierender Frontiermärkte verbessert. Nach dem ersten Rohstoffpreisschock hat die Preiserholung die Außenbilanzen vieler Frontiermärkte gestärkt. So war die ghanaische Außenbilanz 2020 etwa deutlich besser als die Fundamentaldaten nahelegten, auch aufgrund von Goldexporten, Überweisungen von Arbeitsmigranten und niedrigerer Importe. Zu den boomenden Rohstoffpreisen kamen umfassende Hilfszahlungen hinzu. Dadurch sind viele der Frontierländer weniger anfällig für externe Schocks geworden.

Die Pandemie hat auch über den Tourismus Auswirkungen auf die Außenbilanzen gehabt. Viele Frontiermärkte sind beliebte Reiseziele. 2021 dürfte für die Tourismusbranche ein besseres Jahr werden als 2020, aber noch immer leidet der Sektor stark unter Corona. Die OECD schätzt, dass der weltweite Tourismus 2020 um etwa 80% abgenommen hat. Die Unterschiede sind groß: In Ländern wie Tunesien, Sri Lanka und Ägypten beträgt der Anteil des Tourismus am BIP rund fünf Prozent. In Kamerun, Angola und Nigeria trägt er nur wenig zum BIP bei. Folglich gibt es Länder wie zum Beispiel Marokko, die Touristen für ihr eigenes Wirtschaftswachstum brauchen.

ESG-Faktoren sind uneinheitlich
Durch die Pandemie ist es für Investoren noch wichtiger geworden, bei Anlageentscheidungen ESG-Faktoren zu berücksichtigen. In den Frontiermärkten ist ein analytischer Ansatz noch dringender nötig als in höher entwickelten Emerging Markets oder Industrieländern. In ihrer Analyse sollten Investoren unter anderem verstärkt auf soziale und Governance-Faktoren, beispielsweise Gesundheit, Arbeitsschutz, Arbeitsplatzsicherheit und den Umgang der Regierung mit der Krise achten. Denn traditionelle ESG-Indikatoren sind vergangenheitsorientiert, was für weniger entwickelte Länder ein Nachteil ist.

Ruanda ist ein interessantes Beispiel dafür, wie sehr sich ESG-Faktoren selbst innerhalb eines Landes unterscheiden können – was einmal mehr zeigt, wie wichtig ein researchorientierter Ansatz ist. Die staatlichen Institutionen sind in Ruanda in vielerlei Hinsicht ähnlich gut wie in Südafrika, wenn nicht sogar besser. Das Wirtschaftsumfeld zählt zu den besten des Kontinents und der Frauenanteil im Parlament ist so hoch wie in nur wenigen anderen vergleichbaren Ländern. Und doch mangelt es an Demokratie und Menschenrechten. Hier schneidet Ruanda nicht besser ab als etwa Äthiopien und Kamerun.

Was die Coronakrise für die Fontiermärkte lehrt
An den Trends der Frontiermärkte hat die Coronakrise insgesamt wenig verändert: In wachstumsstarken Ländern schrumpfte die Wirtschaft in der Regel weniger als in den schon vor der Pandemie wachstumsschwachen Ländern. Unterdessen haben Länder mit hohen Defiziten und Staatsschulden noch mehr Schulden gemacht als niedriger verschuldete Länder.

Interessanter wird es hingegen bei Außenbilanzen und ESG-Faktoren: Stark von Tourismus oder Rohstoffen abhängige Ökonomien können durch die Corona-bedingt gewandelte Nachfrage auch in Zukunft strukturelle Veränderungen ihres Wachstums erleben. Währenddessen wird es für Investoren immer wichtiger, die ESG-Faktoren der Länder zu berücksichtigen – die sich sowohl zwischen den Ökonomien als auch innerhalb eines Landes stark unterscheiden können.

Eine Kombination aus allen vier Analysepunkten bietet Investoren somit eine hohe Chance die Ökonomien der Frontiermärkte zielführend zu bewerten.

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*) Peter Becker, Fixed Income Director bei Capital Group