Ein Interesse-weckender Titel kann ja durchaus verkaufsfördernd sein. Im Fall des neuen Buches von Carl Benedikt Frey kann man aber nicht wirklich ableiten, worum es in dem Buch geht – obwohl alle Schlagworte ziemlich interessant klingen. Der Titel bzw. der Begriff „Technologiefalle“ wird eigentlich nur in einem Satz im Vorwort erläutert, der Untertitel ist zu zwei Dritteln etwas zu ehrgeizig ausgefallen: Der Fokus der knapp 400 Seiten ist „Labor in the Age of Automation“ – mit allen gesellschaftlichen Konsequenzen.
Capital und Power werden nur indirekt behandelt. Treffender wäre noch Human Capital gewesen. Power, also die Machtverhältnisse zum Beispiel in Form von Macht des Einzelnen, der Macht der Gewerkschaften oder der Arbeitgeber (oder des „Kapitals“), werden in dieser soziologisch-historischen Untersuchung nicht wirklich adressiert. Also haben wir unseren Vorschlag für einen – etwas längeren, hoffentlich treffenderen – Untertitel hier als Überschrift für diese Rezension genommen. Da steht eine Menge drin. Genau wie in dem neuen Buch von Carl Frey: ein interessantes, dicht-geschriebenes Buch, keine leichte, aber eine lohnende historische Lektüre mit einigen Ausblicken auf das, was uns durch AI erwartet.
Damit haben wir unsere sehr positive Gesamtbewertung und Leseempfehlung vorweggenommen. Deswegen können wir auch sagen, was uns nicht ganz so gut gefallen hat. Das Buch hat übrigens insofern auch Bezug zum Asset oder Investment Management, weil quantitatives Asset Mangement, Robo-Advisory, und viele automatisierte oder AI-gestützte Investment-Strategien bereits heute eine sich verändernde Situation des aktiven Fondsmanagers anzeigen.
Nun also kurz zum roten Faden des Buches, und zur Technologiefalle: Damit bezeichnet Frey eine historische Situation, in der Akzeptanz und Einsatz einer menschliche Arbeit ersetzenden Technologie auf Grund ihrer vermuteten destabilisierenden Wirkung verhindert wird. Frey will in dem Buch zeigen, dass sich über Jahrhunderte, insbesondere zu Zeiten der Verfügbarkeit der Sklaverei, menschliche Arbeit (früher vor allem körperliche Arbeit) in einer solchen Situation befand. Das hat sich erstmals in England mit dem Aufkommen der Industrialisierung geändert. Darauf folgt Frey's Grundfrage – gerade mit Blick auf AI: „Could countries in the industrial West experience a return of the technology trap in the twenty-first century?”
Die durchgängige Lehre aus der historischen und in dem Buch sehr detailliert präsentierten Analyse ist, dass quasi alle technologischen Innovationen – ob diese nun „enabling“ oder „replacing“ waren – langfristig zum Wohl der Gesellschaft beitrugen. Gleichwohl waren die Widerstände der „Maschinenstürmer“ und andere Vorbehalte in der zeitlichen Perspektive der Betroffenen stets ziemlich verständlich, meistens begründet – denn auch die Produktivitätsschübe, die sich auf „gesamtwirtschaftlicher“ Ebene zeigten, brauchten mitunter Jahrzehnte, bis sie gesamtwirtschaftlich spürbar wurden. Gleichwohl waren die Einzelschicksale der betroffenen Berufe und Gesellschaftsschichten oft im Sinne des eigenen, persönlichen Lebensschicksals ziemlich „disruptiv“. Daher geht es Frey auch konkret darum, für Policymakers aus der Historie zu lernen, wie dieser Spagat bestmöglich – „for the long run“ (but not too long, so we are not dead yet...) – zu bewältigen ist: „how the short term is managed.“
Ich fand besonders interessant, wie sehr sich die kritische Sicht, sozusagen die Motive und Argumente der „Maschinenstürmer“, auf die jeweils vor der Tür stehenden Technologieschübe historisch ähnelten. Frey weist darauf hin, dass jedoch seitens der Politik die Antworten jeweils hätten anders ausfallen können – aber hier keine „Evolution“ erkennbar geworden ist. Mit AI wird das möglicherweise dringender. Das ist sein „Motiv“ für das Buch.
Ein wenig bedauerlich ist, dass das Buch nur aus der britisch/amerikanischen Perspektive geschrieben ist. Unstreitig, ist, dass die industrielle Revolution in der Baumwollindustrie in England ihren Ausgang genommen hat; aber wir hätten uns ein wenig mehr Betrachtung anderer Länder gewünscht. (Gerade im 20. Jahrhundert: Russland, China, Indien, Afrika, u.v.m.) Die Lektüre des detailreichen Buches wäre an vielen Stellen mit einer Abbildung hier und da einfacher und netter gewesen; die Diagramme sind winzig klein und hätten in vielen Fällen eine bessere Erläuterung verdient.
Fazit
Weder Titel noch Untertitel helfen einzuordnen, worum es Frey geht. Man muss schon ein bisschen hartnäckig „am Ball bleiben“ bei diesem nicht immer flüssig geschriebenen Buch. Viele interessante Themenstränge, die wir hier gar nicht ansprechen können, werden aufgegriffen und historisch über 250 und mehr Jahre verfolgt. Spätestens auf Seite 365 wird klar, dass es eine lohnende Lektüre war: „Looking forward, the divide between the winners and losers from automation can be expected to grow further.” Gesellschaftliche Spreizung und die „Wohlstands-Schere“, aufkommender Populismus und die Zukunft unseres Arbeitslebens haben eben doch eine ganze Menge mit Automatisierung, IT und AI zu tun.
Das Buch: The Technology Trap. Capital, Labor, and Power in the Age of Automation Princeton University Press, Princeton & Oxford, 2019. XIV + 465 S.
Der Autor: Carl Benedikt Frey
*Der Rezensent: Dr. Oliver Roll ist Strategie- und Vertriebsberater (4AlphaDrivers) und Niederlassungsleiter von Pareto Asset Management.