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„Ein Land, das den Übergang zu Net Zero nicht schafft, wird seine Exportmärkte schrumpfen sehen“

IPE D.A.CH Chefredakteur Frank Schnattinger sprach mit Christian Kratochwil, Country Head Lombard Odier IM, über Herangehensweise der Asset Management Industrie an Net Zero und die Bedeutung von Politik und Zentralbanken auf dem Weg dahin.

Christian Kratochwil

IPE D.A.CH: Es gibt international sehr unterschiedliche Deutungen und Definitionen zu Net Zero. Wie gehen Sie die Sache an?
Kratochwil: Wir haben Target Net Zero (TNZ) für uns ganz klar definiert. Unsere Target Net Zero Strategien verfolgen das Ziel die CO2-Emissionen bis 2030 um 50% und bis 2050 um 100% zu reduzieren. Um dieses Ziel umzusetzen gibt es natürlich unterschiedliche Wege. Unsere Strategien konzentrieren sich auf echte Reduktion in der gesamten Wirtschaft, also über alle Sektoren hinweg. Wir investieren dabei in Unternehmen, die jetzt schon auf dem richtigen Weg sind, das Ziel zu erreichen, aber auch in Unternehmen, die sich in die richtige Richtung bewegen und die Ambitionen haben, diese zu verstärken oder zu beschleunigen. Unsere Strategien sind bereits heute darauf ausgerichtet, die globale Erwärmung auf nicht mehr als 2 Grad zu begrenzen. Durch Engagement und Stewardship werden wir daran arbeiten, dass die tatsächliche Reduktion erreicht bzw. beschleunigt wird, um die Hauptziele zu erreichen. Am liebsten wäre es uns, wenn unser Portfolio nachher sogar unter 1,5 Grad landet, was dem ehrgeizigsten Ziel des Pariser Abkommens entspräche.

IPE D.A.CH: Sie haben gerade das Pariser Abkommen angesprochen. Da ist der Sprung in die Politik gar nicht mehr so weit. Wie sehen Sie die aktuelle EU-Politik – Stichwort Green Deal – jetzt nach Corona. Gibt es Dinge, die Sie an der Politik vermissen? Gerade was Definitionen und gewisse Leitplanken angeht…
Kratochwil: Der Green Deal ist mit Sicherheit hilfreich. Dieser wird zusammen mit weiteren Initiativen und auch öffentlichen Fördermitteln helfen, den Übergang durch Investitionen zu beschleunigen und so auch notwendige Skaleneffekte bei Schlüsseltechnologien zu erzielen. Die Details beim Green Deal sind noch nicht ganz klar und da ist die Politik gefragt. Die Regierungen müssen sich deutlicher verpflichten, einschließlich klarer Fahrpläne für den Weg der Wirtschaft zum Netto-Nullenergieverbrauch und der politischen Rahmenbedingungen, die diesen Wandel vorantreiben werden. Wir als LOIM müssen aber nicht auf die Politik warten, sondern können auf eigenes Research und das unserer Partner zurückgreifen. Unsere Fragestellung ist: Wie können wir die Chancen und Herausforderungen des Übergangs in den einzelnen Sektoren verstehen und wie kann man die Anlagen entsprechend anpassen.

IPE D.A.CH: Haben Sie Befürchtungen, dass sich das seitens der EU noch wesentlich mehr in die Länge zieht, als man jetzt vermuten mag? Da gab es ja auch von einzelnen Professoren den Hinweis, dass man einzelne Energiequellen nochmal genauer anschauen müsse. Ganz direkt gefragt: Haben Sie Angst, dass da die Jahre ins Land ziehen bevor da direkte Auswirkungen spürbar sind?
Kratochwil: Das denke ich eigentlich nicht, weil allen klar ist, dass wir relativ zügig das Ruder herumreißen müssen und dies gemeinsam. Die Politik ist sicherlich eine der treibenden Kräfte des Wandels, aber nicht die einzige. Die Marktkräfte sorgen für eine rasche Senkung der Kosten für umweltfreundliche Technologien, die Vorlieben der Verbraucher ändern sich, und die Investoren erkennen die Notwendigkeit von Veränderungen, um ihre Portfolios gegen Kohlenstoffrisiken abzusichern. Diese Kräfte schaffen eine mächtige und unaufhaltsame Rückkopplungsschleife. Staatliche Maßnahmen können den Übergang beschleunigen und den Weg klarer machen, aber der Übergang zum Netto-Nullenergieverbrauch vollzieht sich bereits unabhängig davon. Wir setzen da große Stücke auf Glasgow COP26 und hoffen das dies zu einer Beschleunigung der gemeinsamen Anstrengungen führt.

IPE D.A.CH: Sehen sie – gerade unter dem Stichwort Impact Investing - jetzt schon Investoren, die auch gerade auf Unternehmensebene bei Investments auf Net Zero einwirken. Wie ist da die Einschätzung branchenweit?
Kratochwil: Das Engagement ist ein entscheidender Teil des Übergangs. Wir als Investoren können Unternehmen bei der Definition der Strategien zur Dekarbonisierung beeinflussen und unterstützen. Es gab bisher ein paar hochkarätige Fälle bei denen Investorenkoalition z.B. eine Vertretung im Vorstand erreicht haben. Wir können aber auch direkt mit der Unternehmensführung in Kontakt treten. Deswegen haben wir als LOIM uns sehr früh dafür entschieden die Oxford Martin Prinzipien für klimabewusstes Investieren zu übernehmen. Diese Prinzipien konzentrieren sich auf die Zusammenarbeit mit Unternehmen, um diese zu ermutigen sich die Net Zero Ziele und Zwischenziele zu stecken, um eine profitable Net Zero Strategie zu definieren. Daraus ergeben sich auch neue kommerzielle Möglichkeiten und nicht nur Nettokosten für die Unternehmen. Und deswegen sind sowohl Engagement und auch Stewardship wichtige Instrumente.

IPE D.A.CH: Was sind aus Ihrer Sicht die entscheidenden Faktoren in der Herangehensweise?
Kratochwil: Beim Thema Engagement gehen wir zumeist direkt auf die Unternehmen zu und bitten zum Beispiel darum für mehr Transparenz zu sorgen. Diese Transparenz ermöglicht uns dann mehr Datenpunkte und eine bessere Datendichte. Dies hilft uns dabei den Kurs zu analysieren auf dem sich das Unternehmen befindet oder sich vornimmt und wie dieser mit dem Paris Agreement abgestimmt ist. Wir zeigen den Unternehmen die Vorteile dieses Prozesses auf, und auch, dass es für sie sehr nachteilig sein kann, wenn man sich nicht öffnet und nicht genug Transparenz zeigt. Da wir wissen, wie die Umstellung wahrscheinlich aussehen wird, arbeiten wir auch mit den Vorständen der Unternehmen zusammen, um sie bei der Umstellung zu unterstützen und ihnen zu verdeutlichen, dass die Ausrichtung ihres Geschäftsmodells auf Netto-Null nicht unbedingt mit Nettokosten verbunden ist, sondern auch neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen kann.

IPE D.A.CH: Wie sehen sie die Rolle der Zentralbanken? Speziell auch die der EZB. Welche Rolle sollten sie im ganzen Prozess spielen? Ist es sinnvoll so etwas künftig dort auch als Ziel festzuschreiben? Wie ist da ihre Einstellung?
Kratochwil: Wir glauben, dass die Beteiligung der Notenbanken – auch der EZB – sowohl gerechtfertigt als auch notwendig ist. Denn aus dem Klimawandel und diesem Ausmaß an finanziellen Risiken, die sich aus dem Klimawandel ergeben, entstehen potenzielle Risiken für das Finanzsystem. Dann sind EZB und Notenbanken auch wieder gefragt. Die Notenbanken können helfen Bericht- und Offenlegungsstandards für alle Marktteilnehmer zu definieren, um die Risiken und die Verschiebungen in den Märkten zu erkennen und damit den Übergang geordneter zu machen. Denn es gäbe nichts Schlimmeres, als wenn es einen ungeordneten Übergang geben würde. Und da sind die Notenbanken und die EZB in einer Schlüsselrolle um das verankern zu können.

IPE D.A.CH: Sehen sie das dann in letzter Konsequenz auf dem richtigen Weg oder ist hierfür bislang eher zu wenig von den Zentralbanken gekommen?
Kratochwil: Das ist ein Prozess der insgesamt sehr stark in Gange, aber gleichzeitig noch nicht abgeschlossen ist. Da werden immer wieder Beschleunigungen kommen, auch von regulatorischer Seite. Es kann auf Grund der Komplexität auch noch gar nicht zu 100% festgezurrt sein, zumal sich die Klimawissenschaft und die für eine umfassende Bewertung von Unternehmen und Portfolios erforderlichen Daten noch verbessern. Wir hoffen das Notenbanken und Regulatorik hier Hand in Hand gehen.

IPE D.A.CH: Dann würde ich gerne nochmal auf die Investment Seite eingehen. Beim ESG-Investing war es ja am Anfang so, man hat stark auf Ausschluss gesetzt. Dann später kam „Best in Class“, es kam nicht unbedingt auf die Branche an, sondern wer es gut gemacht hat bzw. wer es schlecht gemacht hat. Sehen sie das bei Net Zero genauso?
Kratochwil: Ja, absolut. Wir schließen keine Sektoren aus nur weil sie hochemittierend sind, denn insbesondere Sektoren wie Industrie, Verkehr etc. werden auch in der Net Zero Welt weiterhin benötigt. Wir sind viel eher daran interessiert, die Vorreiter aber auch die Nachzügler in jedem Sektor zu erkennen. Ein Unternehmen, dass im emissionsintensiven Teil der Wirtschaft tätig ist, muss einen gewissen Plan zur Modernisierung vorweisen, dann ist auch die Frage wie glaubwürdig dieser Plan ist. Dieser schützt das Unternehmen oft vor den Übergangsrisiken und öffnet ihm neue Geschäftsmöglichkeiten, indem er CO2-ärmere Versionen seines Produkts verkaufen kann. Wir investieren in diese Unternehmen aus der jeweiligen Peergroup und finanzieren und beschleunigen so ihren Wandel. Wir sind aber auch an Unternehmen interessiert, die gerade dabei sind den richtigen Weg einzuschlagen und vielleicht noch nicht schnell genug sind, aber zumindest das Potenzial dazu haben. Kritisch sehen wir die Unternehmen, die noch gar keinen Plan haben oder gar kein Interesse haben sich da umzustellen, weil die Investition in ein solches Unternehmen mit einem Übergangsrisiko verbunden sind.

IPE D.A.CH: Wenn ich in Deutschland in manche Medien schaue, wird dann der CO2-Ausstoß von Deutschland im Zeitverlauf abgetragen versus China und den USA. Oft mit dem Fazit: Wenn die Großen sich nicht bessern, warum wir? Sieht man das auch auf der Unternehmensseite, das da regional da sehr große Unterschiede vorherrschen – gerade auch mit dem Blick in die USA oder nach China?
Kratochwil: Regionale Unterschiede sind wichtig, aber die vielleicht wichtigste Erkenntnis ist, dass der Übergang zu Netto-Null nicht auf Kosten des wirtschaftlichen Wohlstands gehen muss – eher im Gegenteil. Wir sind davon überzeugt, dass die führenden Unternehmen, Länder und sonstigen Akteure im Klimabereich gut positioniert sind, um die neuen Wachstumschancen zu nutzen. Darüber hinaus positioniert die Vorbereitung auf eine grünere Zukunft diese Akteure für zukünftiges, nachhaltiges Wachstum. Die Verantwortung auf andere Länder zu verlagern, mag zwar kurzfristig die Investitionskosten senken, wird aber auch zu einer veralteten und letztlich nicht wettbewerbsfähigen Infrastruktur führen. Ein Land, das den Übergang nicht schafft, wird seine Exportmärkte schrumpfen sehen, da die von ihm hergestellten kohlenstoffintensiven Produkte in Ländern, die den Übergang vollzogen haben, nicht mehr in gleichem Maße nachgefragt werden. Es liegt also im Interesse eines jeden Landes, den Übergang zu vollziehen.

IPE D.A.CH: Sehen Sie persönlich noch Chancen, dass wir in Richtung 1,5 Grad Ziel kommen können, oder hat sie das Feedback von Portfoliounternehmen in den vergangenen Monaten etwas anderes gelehrt?
Kratochwil: Wir glauben ja. Da spielt natürlich auch ihr Frage von vorhin hinein. 2019 unterlagen 16% der Weltwirtschaft einer Net Zero Verpflichtung. Und heute sagen wir – d das ist jetzt unsere Schätzung – dass es vermutlich nahe 80% liegt. Dasselbe sieht man auch auf der Investorenseite. Gleichzeitig fallen die Kosten für Technologien wie beispielsweise Solar und Windenergie. Dies ändert die Wettbewerbslandschaft und macht es für Unternehmen günstiger umweltfreundlich zu handeln. Dieser Wandel beschleunigt sich und am Ende werden Unternehmen die sich umstellen die anderen überholen.

IPE D.A.CH: Besten Dank für diese Einschätzungen.