Hedgework News: Im Ursprung war die Blockchain-Technologie eine strikt dezentrale, für jeden zugängliche Technologie. Jetzt treten immer mehr private oder Corporate Blockchains auf den Plan, Stichwort JP Morgan Coin. Hat der „revolutionäre“ Gedanke einer Beteiligung durch jedermann ausgedient?
Brühl: Aus meiner Sicht war der mit Bitcoin verbundene Grundgedanke zwar eine interessante Vision, aber letztlich auch nicht mehr. Was bleibt ist in der Tat die Weiterentwicklung der dem Bitcoin und anderen Kryptowährungen zugrunde liegenden Distributed Ledger- bzw. Blockchain-Technologie, mit deren Hilfe man Transaktionen in einem dezentralen Netzwerk schnell und sicher durchführen bzw. validieren kann. Dass wir in der Zwischenzeit einige Versuche sehen, mit eigenen Verrechnungseinheiten in geschlossenen Netzwerken zu experimentieren, ist naheliegend. Die JP Morgan Coin ist dafür ein prominentes Beispiel.
Hedgework News: Während in der Wirtschaft immer mehr Blockchain-Projekte starten, scheint das Thema beim Gesetzgeber noch gar nicht angekommen zu sein. Täuscht der Eindruck? Und was müsste Berlin oder gar Brüssel hier vor allem tun?
Brühl: Nach meiner Einschätzung ist das Thema inzwischen durchaus auf der politischen Agenda angekommen. Denn ein verlässlicher regulatorischer Rahmen etwa für Initial Coin Offerings (ICOs) ist essentiell, um auch hierzulande Finanzinnovationen zu fördern, ohne aber den Anlegerschutz zu vernachlässigen. Eine europäische Regelung wäre natürlich wünschenswert.
Hedgework News: Wie schätzen Sie die Expertise deutscher Unternehmen – ob Fintech oder Konzern – im internationalen Vergleich bei Blockchain-Projekten ein?
Brühl: Der deutsche Finanzsektor zählt hier sicher nicht zu den Vorreitern, auch wenn die großen deutschen Geldhäuser in allen nennenswerten Konsortien dabei sind. Andererseits gibt es ermutigende Signale im Trade und Export Finance, wo deutsche Banken schon erfolgreiche Pilotprojekte durchgeführt haben. Deutsche Fintechs tun sich derzeit noch schwer mit der Blockchaintechnologie.
Hedgework News: Der Bitcoin hat in den vergangenen Jahren die Krypto-Diskussion bestimmt, erst mit Hype (2017), dann mit Bust (2018). Hat sich die Krypto-Branche mittlerweile vom Bitcoin emanzipiert?
Brühl: Das kann man durchaus so sagen. Allerdings haben wir in den letzten Jahren sehr viele neue Kryptowährungen gesehen, deren Existenzberechtigung am Markt kaum zu erkennen ist. Viele verzeichnen nur eine geringe Marktkapitalisierung und dürften in absehbarer Zeit wieder vom Markt verschwinden.
Hedgework News: Der neue Modebegriff ist „Tokenisierung“. Sämtliche Assets von der Aktie bis zur Immobilie sollen als Token auf einer Blockchain handelbar sein. Ist das ein Wunschtraum oder eine vorstellbare Entwicklung?
Brühl: Das hängt sehr stark von den künftigen regulatorischen Rahmenbedingungen ab. Noch sind die Token so unterschiedlich ausgestaltet, dass manche von ihnen eher einem Coupon ähneln, andere wiederum eher den Charakter eines Finanzinstrumentes haben. Die BaFin hat jüngst etwas mehr Klarheit in die Debatte gebracht, indem sie Anfang 2019 den ersten Wertpapierprospekt zu einem Security Token Offering in Deutschland gebilligt hat und dadurch aufgezeigt hat, unter welchen Voraussetzungen Token als Wertpapiere einstuft.
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Vita: Professor Dr. Volker Brühl ist Geschäftsführer des Center for Financial Studies an der Goethe Universität. Außerdem ist er Professor für Banking und Finance an der Hochschule für Ökonomie und Management. Er beschäftigt sich intensiv mit Fragen der Digitalen Transformation sowie der Bedeutung der Künstlichen Intelligenz und der Blockchaintechnologie im Finanzsektor. Daneben ist er als Beirat in verschiedenen akademischen und nicht-akademischen Institutionen aktiv.