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Empira-Studie: Klimaziele nur durch massiven Wohnungsneubau zu erreichen

Der Energieverbrauch für privaten Wohnraum ist seit 1990 insgesamt nur um 2,6% gesunken – und damit deutlich langsamer als in Industrie (-14,9%) und Gewerbe (-22,6%). Gemäß Studie spart Neubau 41%Energie gegenüber unsaniertem Bestand, Vollsanierung immerhin noch 24%.

Lahcen Knapp

Die Empira Gruppe, ein Investment-Manager für institutionelle Immobilienanlagen, hat in ihrer jüngsten Studie den Wohnungsneubau und -bestand in Deutschland und Europa hinsichtlich der Energiebilanz untersucht. Kernbefund der Analyse ist, dass die deutschen und europäischen Klimaziele nur durch deutlich mehr privatwirtschaftlichen Wohnungsneubau zu erreichen sind. So ist vor allem der deutsche Wohngebäudebestand deutlich älter als im EU-Schnitt und nur zu 13,8% vollsaniert oder neu gebaut. Neben dem Alter und der Qualität der Bausubstanz betrachtet die Studie auch Faktoren wie Gebäudetyp (Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäuser), Neubauaktivität, Klima und Flächennutzung in ihren Auswirkungen auf den Energiebedarf.

„Wohnungsneubau bringt erheblich größere Energie- und Emissions-Einsparpotenziale mit sich als Bestandssanierung. Deutschland hinkt hierbei den eigenen Ansprüchen – auch im europäischen Vergleich – unvermindert hinterher. Will man dies aufholen, so führt kein Weg an größeren professionell agierenden Immobilienunternehmen, ausgestattet mit umfangreichem privatem Kapital, vorbei. Diese werden auch künftig bei der Realisierung von Wohnraum in Deutschland mit Abstand die wichtigste Rolle spielen“, kommentiert Prof. Steffen Metzner, Head of Research von Empira und Autor der Studie.

Im Kontext technologisch bedingt steigender Energieeffizienz und deutlich verstärkter politisch-gesellschaftlicher Bemühungen um eine Reduzierung des Energieverbrauchs und damit verbundener CO2-Emissionen ist die Entwicklung des privaten Wohnsegments in dieser Hinsicht auffällig. Während seit 1990 der Energieverbrauch in der deutschen Industrie und im Gewerbe um 14,9% respektive 22,6% zurückgingen, sank der Verbrauch im Segment privater Wohnraum um lediglich 2,6%. Diese Diskrepanz erklärt sich aus dem absolut gestiegenen verfügbaren Wohnraum sowie insbesondere der deutlich höheren Wohnfläche pro Kopf. Letztere wuchs von 35 Quadratmeter im Jahr 1990 auf 47 Quadratmeter 2019 und damit um rund 34%.

Deutscher Gebäudebestand deutlich älter als im EU-Vergleich
Zur Verbesserung der Energiebilanz des deutschen Wohnungsbestands ist die Gebäudesubstanz eines der entscheidenden Kriterien. Ein unsanierter Altbau verbraucht in Deutschland durchschnittlich Heizenergie für Raumbeheizung und Wassererwärmung in Höhe von 151 kWh pro m² und Jahr. Dieses Segment macht allein 36% am deutschen Wohngebäudebestand aus. Teilsanierte Gebäude (definiert durch Umsetzung mindestens einer und maximal dreier energieeinsparender Maßnahmen am Objekt) mit einem Anteil von 50 % verbrauchen mit 143 kWh/m² lediglich 5% weniger. Vollsanierte Wohnimmobilien bewirken eine Reduzierung des Heizenergieverbrauchs auf 115 kWh/m² und damit um 24%. Den höchsten Einspareffekt zeigen Neubauten, die nach aktuellen technischen Standards errichtet wurden. Hierunter fallen Immobilien mit Baujahr 2002 oder später mit einem durchschnittlichen Heizenergieverbrauch von 89 kWh/m² und damit 5 % des unsanierten Referenzobjekts. Vollsanierte und neu errichtete Wohngebäude erreichen in Deutschland gemeinsam einen Anteil von lediglich 13,8%.

Im europäischen Vergleich lassen sich immerhin vier Alterskategorien mit jeweils großen Gemeinsamkeiten hinsichtlich geltender Energieeffizienzstandards unterscheiden – Baujahr bis 1945, Baujahr 1945–1979, Baujahr 1980–1999 sowie Baujahr ab 2000. Deutschland liegt beim Anteil der Altbauten bis 1945 mit 25% nah am EU-Schnitt von 23%. Der deutsche Wohnungsbestand stammt jedoch zu einem deutlich höheren Anteil (49% verglichen mit 42% im EU-Schnitt) aus den Jahren 1945–1979. Unterrepräsentiert sind dagegen die jüngeren und in der Regel deutlich energieeffizienteren Wohnimmobilien aus den Jahren 1980–1999 (19% vergleichen mit 22% im EU-Schnitt) und vor allem nach 2000 (7% verglichen mit 13% im EU-Schnitt). In Staaten wie Finnland beträgt der Anteil seit 1980 errichteter Wohngebäude sogar 46% verglichen mit 26% in Deutschland.

„Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Deutschland und Europa brauchen dringend mehr und schnelleren Wohnungsneubau, gerade in den Großstädten und ihrem direkten Umland. Die öffentliche Hand muss dafür mehr und zügiger Bauland ausweisen“, sagt Lahcen Knapp, Verwaltungsrat der Empira AG. „Institutionelle Investoren schätzen dabei neben dem attraktiven Risiko-Rendite-Profil zunehmend auch explizit die positive Klima- und Energiebilanz von Wohnprojektentwicklungen“, ergänzt Knapp.

Enorme regionale Unterschiede bei Energieverbrauch und Gebäudesubstanz
Entscheidend für die Erneuerung der Bausubstanz sind naturgemäß die Neubau- und die Sanierungsaktivität. Anteilig findet Wohnungsbau besonders in den gefragten Großstädten statt. So wurden in Frankfurt am Main allein im Zeitraum 2011 bis 2019 ca. 8% des Bestands an Wohnungen neu errichtet. München kommt auf eine ähnlich hohe Quote mit ebenfalls knapp 8%. Hamburg erneuerte seinen Bestand um mehr als 6%. Auch Köln, Stuttgart, Berlin und Düsseldorf kommen noch auf eine Neubauquote zwischen 4% und 5%. Auch dies zeigt wiederum die hohe Bedeutung der Großstädte für das Thema Wohnraumversorgung, Qualitätsverbesserung sowie Nachhaltigkeit des Wohnungsbaus.

Im europäischen Vergleich wird in Deutschland wenig Wohnungsneubau realisiert (3,47 Wohnungen/1.000 Einwohner im Jahr 2018). In Relation zur Bevölkerungszahl wurde in den vergangenen Jahren zum Beispiel in Österreich (6,48 Wohnungen/1.000 Einwohner) deutlich mehr gebaut als in Deutschland. Auch Belgien, Frankreich und Polen bauen mehr Wohnungen. Die Niederlande sind in ihrer Bauintensität mit Deutschland vergleichbar. Tschechien und Italien (1,35 Wohnungen/1.000 Einwohner) liegen dagegen am unteren Ende.

Mehrfamilienhäuser deutlich energieeffizienter
Die teils enormen Unterschiede beim durchschnittlichen Energieverbrauch im privaten Wohnsegment zwischen einzelnen Bundesländern geht vor allem auf die Unterschiede der Gebäudetypen zurück. So erklärt sich der mit 35 Gigajoule (GJ) pro Einwohner fast doppelt so hohe Energieverbrauch in Brandenburg im Vergleich zu 20 GJ pro Einwohner in Berlin mit den verschiedenen Anteilen an Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäusern. Letztere verbrauchen 9,6% weniger Heizenergie und 42,0% weniger Strom als Ein- und Zweifamilienhäuser. So sind nur knapp mehr als 40% des Berliner Gebäudebestands Ein- oder Zweifamilienhäuser, während dieser Anteil in Brandenburg bei über 80% liegt.


Quelle: Empira Gruppe