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Gastbeitrag: Green Energy Credit kann gesellschaftliche und Anlageherausforderungen lösen helfen

Die Energiewende gibt den Anstoß für die größte Umstrukturierung der Wirtschaft, die die industrialisierte Welt je erlebt hat. Der Kapitalbedarf ist enorm und es werden Jahrzehnte vergehen, bis das Ziel der Netto-Null-Emission erreicht ist. Dadurch eröffnen sich langfristige Anlagechancen.

Claudio Vescovo

Zwei fundamentale Treiber
Hinter der Energiewende stehen zwei fundamentale Treiber: der Klimawandel und die Sicherung der Energieversorgung. Durch Investitionen in grüne Energieerzeugung leisten institutionelle Investoren seit langem einen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels. Russlands Einmarsch in die Ukraine hat die Aufmerksamkeit der Investoren – und Regierungen – stärker auf das Ziel der Versorgungssicherung gelenkt. Europäische Regierungen prüfen, wie sie ihre Abhängigkeit von anderen Ländern verringern können. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist eine Ausweitung der Stromerzeugung im Inland. Der Krieg hat gezeigt, dass erneuerbare Energien nicht nur ein „Nice-to-have“, sondern für alle europäischen Volkswirtschaften ein Muss sind.

Die Energiewende geht Hand in Hand mit der Dekarbonisierung der Wirtschaft. An erster Stelle steht der Ausbau der sauberen Stromerzeugung aus Onshore- und Offshore-Windparks, Solaranlagen, Biomassegeneratoren und Wasserkraftwerken. Des Weiteren geht es um die Optimierung und Wartung der Infrastruktur, welche die Versorgung mit sauberer Energie gewährleistet – zum Beispiel die Verbesserung der Stromnetze zur Verteilung von Energie an private Haushalte und Produktionsanlagen. Drittens gilt es, die Elektrifizierung voranzutreiben, zum Beispiel durch eine bessere Verfügbarkeit von Batteriespeichern für überschüssigen Ökostrom. Schließlich geht es um eine Senkung des Gesamtenergieverbrauchs der Länder durch eine höhere Energieeffizienz in allen Bereichen – von industriellen Verfahren bis hin zu Wohnimmobilien.

Enormer Kapitalbedarf
Die EU bezieht bereits rund 40% ihres Stroms aus grünen Energiequellen und will diesen Anteil bis 2050 auf 80 bis 90% erhöhen. Schreibt man die aktuellen Investitionstrends fort, besteht trotz eines bereits beträchtlichen Finanzierungsvolumens für grüne Energie eine erhebliche Lücke zwischen dem erwarteten Gesamtfinanzierungsbedarf und den erwarteten Investitionen. Diese Lücke dürfte im weiteren Verlauf dieses Jahrzehnts noch größer werden. Das eröffnet Chancen für Investoren. Die G20 schätzen den Gesamtbedarf an Investitionen in grüne Infrastruktur in Europa bis 2030 auf rund 5 Billionen Euro. Um die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs) zu erreichen und den regionalen Infrastrukturbedarf im Verkehrs- und Energiesektor zu decken, müssten die Investitionen um 24% bzw. 7% höher ausfallen.

Reifer Sekundärmarkt
Fremdkapital macht in der Regel einen erheblichen Anteil an der Kapitalstruktur von Infrastrukturentwicklungsprojekten aus und spielt neben Eigenkapital eine große Rolle. Neben Direktinvestitionen in Projektfinanzierungskredite gibt es in Europa einen großen Sekundärmarkt für grüne Infrastrukturfinanzierungen. Denn Staaten und Investoren reinvestieren Kapital in neue Infrastrukturprojekte, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

Abbildung 1 zeigt die im Zeitraum 2010 bis 2020 in Westeuropa über den Sekundärmarkt bereitgestellten Finanzierungen für grüne Infrastruktur. Der größte Markt war Deutschland (mit 137 Mrd. Euro), gefolgt von Italien (45 Mrd. Euro für erneuerbare Energie und 30 Mrd. Euro für Infrastruktur), Frankreich (70 Mrd. Euro) und Spanien/Portugal (27 Mrd. Euro für erneuerbare Energie und 29 Mrd. Euro für Infrastruktur).

Abbildung 1: Geschätztes Gesamtfinanzierungsvolumen für grüne Infrastruktur in Westeuropa (in Mrd. €)


Inflations- und Zinsabsicherung
Der russische Einmarsch in der Ukraine hat die Öl- und Gaspreise im Jahr 2022 sprunghaft ansteigen lassen. Dadurch erreichte die Inflation ein Niveau, wie es die Industrieländer seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr erlebt hatten. Durch die Auswirkungen auf die Lebenshaltungskosten und den Aufwärtsdruck auf die Löhne dürfte die Inflation auf kurze bis mittlere Sicht erhöht bleiben. Green Credit-Strategien können eine Inflationsabsicherung bieten, da Infrastrukturprojekte und die Zahlungsströme aus diesen Projekten an die Strompreise der Endnutzer gekoppelt sind.

Die Zentralbanken, darunter die Europäische Zentralbank und die Bank of England, haben auf die höhere Inflation mit einer Anhebung ihrer Leitzinsen reagiert. Das hat sich in den Zinsstrukturkurven von Staats- und Unternehmensanleihen niedergeschlagen. Ein Zinsstraffungszyklus ist ein Sorgenfaktor für Anleger. Projektfinanzierungskredite sind jedoch mit variablen Zinssätzen ausgestattet, sodass die Rendite steigt, wenn die Zinsen steigen, und die Risiken eines Umfelds steigender Zinsen abgemildert werden. Kredite im Bereich der erneuerbaren Energien sind in der Regel variabel verzinst. Dadurch können Anleger von einem Anstieg der Basiszinsen profitieren.

Asymmetrisches Ausfallrisiko
Im Vergleich zu Unternehmenskrediten weisen Infrastrukturkredite auf risikobereinigter Basis niedrigere Ausfallraten auf. Bei Unternehmenskrediten werden Zahlungsausfälle aufgrund zunehmender Unsicherheit mit der Zeit tendenziell wahrscheinlicher. Bei Infrastrukturkrediten ist es umgekehrt: In der Regel geht das Ausfallrisiko mit der Zeit zurück. In der Bauphase kann das Risiko höher sein. Sobald die betreffende Anlage fertiggestellt und in Betrieb genommen ist, sind die Erlöse in der Regel vorhersagbar, zum Beispiel bei einer Solarfarm mit einer Abnahmevereinbarung.

Untersuchungen von Moody’s zeigen, dass Finanzierungen für Infrastrukturprojekte sowohl in OECD- als auch in Nicht-OECD-Ländern eine resiliente Finanzierungsklasse sind. Wie Abbildung 2 verdeutlicht, entspricht die marginale Ausfallrate (die Wahrscheinlichkeit, dass ein am Jahresanfang nicht ausfallgefährdeter Kreditnehmer im weiteren Jahresverlauf einen Zahlungsausfall erleidet) in Jahr eins der von Unternehmensanleihen mit Ba-Rating. Innerhalb von sechs Jahren sinkt die marginale Ausfallrate von Infrastrukturkrediten jedoch stetig unter die von Unternehmenskrediten mit A-Rating und tendiert über einen Zeitraum von zehn Jahren gegen null.

Abbildung 2: Globale marginale Ausfallraten von Infrastrukturfinanzierungen und Unternehmenskrediten


Die Recovery Rate von Projekten beträgt rund 72% in der Bauphase und 80% in der Betriebsphase. In den westeuropäischen Ländern liegen die Recovery Rates deutlich über diesen Durchschnitten.

ESG-Faktoren als integraler Bestandteil
Die Berücksichtigung von ESG-Faktoren (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) ist ein integraler Bestandteil des Green Energy-Finanzierungsprozesses, von der Überprüfung der Einhaltung von Genehmigungs- und Zulassungsverfahren bis hin zur Prüfung des Projektträgers. In der Umweltanalyse werden die Genehmigungen und geplante Risikomanagement-Maßnahmen bewertet. Bei der Prüfung der Projektmanagement-Strukturen werden etwaige Governance-Defizite adressiert. Die Hauptkreditgeber erhalten regelmäßige Berichte zu den wichtigsten Projektdaten. Dadurch lässt sich die Menge der erzeugten sauberen Energie und der vermiedenen Emissionen ermitteln. Eine wertvolle und transparente Bewertungsmessgröße ist die CO2-Intensität des jeweiligen nationalen Stromnetzes auf der Grundlage des Energieträgermixes. Anhand dieses Werts lässt sich berechnen, wie viele Treibhausgasemissionen durch das finanzierte Projekt eingespart werden.

 

Fazit

Green Energy Credit kann eine Lösung für viele der Herausforderungen darstellen, mit denen sich unsere Gesellschaft auf dem Weg zum Ziel Netto-Null-Emissionen konfrontiert sieht. Zudem kann eine Green Energy Credit-Strategie mit europäischem Schwerpunkt Investoren mehrere potenzielle Vorteile bieten:

•        Inflationsabsicherung und Profitieren von möglichen Zinserhöhungen.

•        Ein hohes Maß an Diversifikation dank einer Vielzahl an Krediten, Ländern und Technologien, aus denen ausgewählt werden kann.

•        Ein langfristiges Anlagethema, das von staatlichen Maßnahmen zur Förderung der energiepolitischen Unabhängigkeit und Eindämmung des Klimawandels und damit langfristigem wirtschaftlichem Rückenwind für grüne Energie profitiert.

•        Ein anleiheähnliches Risiko bei aktienähnlichen Renditen dank innovativer Ansätze zur Finanzierung der Energiewende in Europa.

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*) Claudio Vescovo, Head of Energy Transition Credit Funds bei Nuveen Infrastructure