Die Schwellenländer sind derzeit mit 63% für den Großteil der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Das war aber nicht immer der Fall: Kohlendioxid – eines der wichtigsten Treibhausgase – kann nach seinem Ausstoß bis zu 1.000 Jahre in der Atmosphäre verbleiben. Das bedeutet, dass die Emissionen aus der industriellen Revolution in den entwickelten Volkswirtschaften immer noch zur übermäßigen globalen Erwärmung beitragen. Die aktuellen Großemittenten wie China oder Indien hingegen zählten in der Vergangenheit nicht zu den größten Verursachern. Dennoch sind die Schwellenländer, in denen die Emissionen bisher oft am geringsten waren, am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Gleichzeitig sind sie am wenigsten in der Lage, wirksam auf viele der daraus resultierenden Risiken zu reagieren.
Darüber hinaus werden die Schwellenländer schon angesichts ihres Bevölkerungswachstums und der Urbanisierungstendenzen den größten Teil des künftigen Anstiegs der Treibhausgasemissionen verursachen: Auf die aufstrebenden Volkswirtschaften entfielen in diesem Jahrzehnt 98% des weltweiten Bevölkerungswachstums und über 90% der neuen Mittelschichthaushalte. Daher müssen sie nicht nur den Übergang vollziehen, sondern auch den steigenden Energiebedarf der schnell wachsenden und sich in den Städten konzentrierenden Bevölkerung decken. Dies stellt eine große Herausforderung für die rasche Mobilisierung von Fremdkapital dar, zeigt aber auch das erhebliche Investitionspotenzial. Vom Erfolg oder Misserfolg der Schwellenländer wird es in großem Maße abhängen, ob die Welt bis 2050 oder noch früher Netto-Null-Emissionen erreichen wird. Denn, wenn es den aufstrebenden Volkswirtschaften nicht gelingt, den Übergang zu Netto-Null zu schaffen und die SDGs zu erreichen, lassen sich die weltweiten Emissionen nicht ausreichend reduzieren, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen.
Investitionen in Höhe von 94 Billionen US-Dollar nötig
Eine Analyse der britischen Bank Standard Chartered schätzt, dass die Schwellenländer rund 94 Billionen US-Dollar an Investitionen benötigen, wenn sie die Netto-Null-Ziele bis 2060 erreichen und gleichzeitig weiter wachsen wollen. Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) beziffert den jährlichen Finanzierungsbedarf der Entwicklungsländer auf 3,3 bis 4,5 Billionen US-Dollar, um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) bis 2030 zu erreichen. Und das zu einer Zeit, in der gefährdete Länder bereits mit einer übermäßigen Schuldenlast konfrontiert sind und angesichts hoher und steigender Zinskosten praktisch von den öffentlichen Märkten ausgeschlossen sind.
Neben Herausforderungen bietet das aber auch Chancen für alle, die Lösungen finden. Es besteht ein hoher Bedarf an Investitionen in die Infrastruktur, technologischen Innovationen und Verbesserungen in Bereichen wie Bildung, Gesundheitswesen, Erneuerbare Energien, sauberes Wasser und erschwinglicher Wohnraum, um nur einige zu nennen. Die Schwellenländer sind bereits ein globaler Wachstumsmotor für saubere Energien. Allerdings konzentrieren sich diese Investitionen vor allem auf China und Indien – es besteht daher noch Spielraum.
Was bei ESG-Investments in den Schwellenländern zu beachten ist
Im Zusammenhang mit der Eindämmung des Klimawandels und der Anpassung an die Erderwärmung ist ein grundlegendes Überdenken bei der Asset Allokation erforderlich. Investoren müssen zukunftsorientiert und integrativ denken, anstatt nur in „saubere“, bereits ESG-starke Länder und Unternehmen zu investieren.
Anleger müssen mit ihren Fondsmanagern partnerschaftlich zusammenarbeiten, um den Wandel durch durchdachte Analysen, Stewardship-Praktiken und Engagement aktiv voranzutreiben. Die Rahmenbedingungen für ESG-zertifizierte Anleihen müssen überarbeitet werden und idealerweise einen stärker standardisierten Ansatz verfolgen, damit sie auch für Emittenten mit knappen Ressourcen leicht umzusetzen sind. Außerdem müssen die Standards verschärft werden, damit sich die Anleger bei der Finanzierung von Projekten in risikoreicheren (Hochzins-)Ländern wohlfühlen, die mit besonderen Herausforderungen konfrontiert sind – wie etwa mit einem nach wie vor hohen Maß an Korruption, schwachen institutionellen Rahmenbedingungen und unsicheren Wachstumsaussichten.
Für Fondsmanager geht es darum, ihren Kunden Lösungen anzubieten, die auch mit Blick auf die Klimabilanz ihren Vorstellungen entsprechen. Außerdem müssen sie mit ihnen zusammenzuarbeiten, um mehr Transparenz und Berichterstattung über wichtige Klimakennzahlen sowie damit verbundene Aspekte zu schaffen.
Den nachhaltigen Wandel unterstützen
Wir haben mehrere Möglichkeiten identifiziert, wie privates Kapital in Unternehmens- und Staatsanleihen aus Schwellenländern fließen kann, um zum Klimaschutz beizutragen, Klimalösungen zu unterstützen und einen gerechten Übergang zu fördern. Das sollte sich nicht darauf beschränken, nur in Emittenten zu investieren, die auf ihrem Weg zum Klimaschutz bereits weit vorangekommen sind und von einem fortschrittlichen Klimaprofil und -ansatz profitieren.
Der Fokus liegen sollte außerdem auf:
*Emittenten, die mit Hilfe von aktivem Engagement seitens der Anleger zu kohlenstoffärmeren Modellen übergehen
*Emittenten, die Lösungen für eine nachhaltigere Zukunft bieten – einschließlich solcher, die zu einer integrativen Gesellschaft, Kreislaufwirtschaft, sauberer Energie, Gesundheit und Wohlbefinden sowie anderen Zielen beitragen
*Wirkungsvollen Projekten, hauptsächlich, aber nicht ausschließlich über ESG-Anleihen. Dabei darf jedoch ein kritischer Blick auf die Qualität nicht fehlen
Dieser Ansatz bringt viele Herausforderungen mit sich – auch, weil für Emittenten aus Schwellenländern meist keine vollständigen Datensätze mit klimabezogenen Angaben zur Verfügung stehen. Das sollte die Marktteilnehmer aber nicht entmutigen. Sorgfältiges und proaktives Engagement kann die Informationslücke überbrücken und dazu beitragen, sie in Zukunft zu schließen.
Das Zeitfenster für die Wende zur Klimaneutralität schließt sich. Es ist daher an der Zeit, die ganze Palette der zur Verfügung stehenden Instrumente zu nutzen. Die Schwellenländer sind ein wichtiges Teil im Klimapuzzle. Die Welt kann es sich nicht leisten, sie zu ignorieren.
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*) Jana Velebova-Harvey, Senior Portfoliomanagerin, BlueBay Asset Management