Die Verkaufszahlen steigen wieder
Daten des ukrainischen Datenproviders Opendatabot zufolge wurden im Jahr 2023 über 404.000 Wohnungen, Häuser und Grundstücke von Ukrainern gekauft. Rund 173.000 Wohnungen und Häuser haben 2023 die Besitzer gewechselt, was etwa 70% mehr als im Vorjahr sind. Zwar wechselten damit noch immer weniger Wohnungen und Häuser den Besitzer als vor der Eskalation des Krieges, im Jahr 2021 waren es rund 325.000. Doch der Krieg scheint die Ukrainer nicht davon abzuhalten, in Immobilien zu investieren. Ein Grund könnte sein, dass viele Menschen vom Osten in den Westen der Ukraine gezogen sind, da dieser weniger von Angriffen betroffen ist – aber auch die Tatsache, dass zahlreiche Immobilien schlichtweg zerstört wurden. Wohnraum ist bekanntlich kein Luxusgut, sondern gehört zu den Grundbedürfnissen der Menschen, daran ändert auch der Krieg nichts. Interessant zu bemerken ist auch, dass laut Angaben von Opendatabot im Jahr 2023 1,3-mal mehr Grundstücke gekauft wurden als Wohnungen und Häuser. Das erscheint in Anbetracht des anhaltenden Konfliktes auch nachvollziehbar und lässt vermuten, dass die Käufer langfristig planen, die erworbenen Grundstücke auch zu bebauen.
Immobilienmarkt wuchs auch in den 2010er-Jahren
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass sich der Immobilienmarkt in der Ukraine auch in den vergangenen zehn Jahren stetig weiterentwickelt hat. Die ukrainische Wirtschaft ist nicht erst mit dem Angriff durch Russland 2022 in die Krise gerutscht, sie geriet auch schon vorher unter Druck. Vor allem nach den Euromaidan-Protesten von 2013, dem Sturz der damaligen Regierung und der Annexion der Krim im Frühjahr 2014 durch Russland zogen viele internationale Unternehmen ihr Kapital ab – das Wirtschaftswachstum brach kurzfristig ein. Doch bereits Mitte 2015 stabilisierte sich die Wirtschaft etwas und ab 2016 konnte ein leichtes Wirtschaftswachstum verzeichnet werden. Und trotz des anhaltenden Konflikts wuchs der Immobilienmarkt in der Ukraine von 2015 bis 2021, dies geht aus Angaben des Datenproviders Opendatabot hervor. Für Ukrainer gehört der Erwerb einer Wohnung meist fest zur Lebensplanung, die Wohneigentumsquote lag im Jahr laut Statistischem Bundesamt bei über 80%.
Keine neuen Wohnkonzepte trotz demografischen Wandels
Der Markt entwickelte sich jedoch nicht genauso gut wie in vielen anderen Ländern der CEE-Region. Dabei zeigten sich in der Ukraine ähnliche gesellschaftliche Entwicklungen wie im Rest Europas, auch was die Demografie betrifft. Es bildeten sich immer mehr Single- und Zweipersonenhaushalte, der Anteil der Studierenden stieg und New Work gewann an Bedeutung. Die projektbezogene Vor-Ort-Arbeit hielt Einzug ins Arbeitsleben vieler Ukrainer und ukrainische Unternehmen warben um Young Potentials aus aller Welt. Diese Trends scheinen sich trotz des aktuellen Konfliktes auch fortzusetzen. Während jedoch in Westeuropa und vielen Ländern der CEE-Region entsprechende Wohnungsangebote wie Wohnen auf Zeit, moderne Mietwohnungen oder Studentenwohnungen entstanden sind, fehlen diese Konzepte in der Ukraine beinahe vollständig. Professionelle Immobilienentwickler und die hinter ihnen stehenden Investoren haben nun die Chance, das entsprechende Angebot bereitzustellen und somit einen Markt zu schaffen, wo bislang keiner ist. Aber auch die Entwicklung klassischer Wohneinheiten, die im Einzelvertrieb auf den Markt gebracht werden.
Ukrainischer Staat unterstützt beim Erwerb von Wohneigentum
Der ukrainische Staat hat Förderprogramme aufgelegt, die den Menschen beim Erwerb von Wohneigentum helfen sollen. Das sogenannte EoSelya-Programm bietet etwa einen vergünstigten Zinssatz von drei Prozent für Militärangehörige, Ärzte, Lehrer und Wissenschaftler. Seit dem Beginn des Programms haben mehr als 6.000 Familien teilgenommen. Außerdem gibt es das Programm yeOsel, das einen vergünstigten Zinssatz von 7% für Menschen vorsieht, die bisher kein Wohneigentum besitzen.
Ukrainische Projektentwickler gewähren Nachlässe von bis zu einem Viertel des ursprünglichen Verkaufspreises beim Wohnungskauf, um den Markt wieder anzukurbeln – dies berichtet die Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing Germany Trade and Invest (GTAI). Besitzer zerstörter Gebäude erhalten in der Ukraine zudem Zuschüsse für den Neubau. Sie erhalten Zertifikate, mit denen sie überall im Land eine neue Wohnung erwerben können. Die Höhe der Entschädigung richtet sich nach dem Immobilienwert des zerstörten Eigentums. Laut UBR.ua wurden bis Anfang Februar 2023 bereits 320.000 Anträge auf Kompensationszahlungen gestellt. Die Finanzierung erfolgt über den Fonds zur Beseitigung der Kriegsfolgen, der Ende 2022 gegründet wurde. Aktuell konzentriert sich rund ein Drittel der Bauprojekte auf die regionalen Hauptstädte im westlichen Teil des Landes, insbesondere in Lwiw. Nach Schätzungen des Projektentwicklers INSPI Development entfallen zusätzliche 30% der Bauvorhaben auf Kiew, während Odessa 12% und Dnipro 10% der Aktivitäten auf sich vereinen.
Die Ukraine verändert während des Krieges die Bauindustrie
Nun ist auch die ausländische Immobilienbranche gefragt: Die Ukraine bietet nicht nur einzigartige Investitionschancen, sondern auch die Möglichkeit, sich am Wiederaufbau des osteuropäischen Landes zu beteiligen und so den Ukrainern zu helfen. Das Land schafft während des Krieges durch neue Gesetzinitiativen Veränderungen in der Bauindustrie. So wird beispielsweise die Stadt- und Raumplanung reformiert: In Zukunft sollen Entscheidungen in der Stadtplanung nicht mehr von einer zentralen Behörde, sondern durch dezentrale Einheiten mit Unterstützung von privaten Sachverständigen getroffen werden. Ziel des neuen Gesetzesentwurfs ist es, den Sektor sowie die Planungsabläufe transparenter zu gestalten und Korruption zu verhindern. Die Vergabe von Baugenehmigungen soll in Zukunft weniger von einzelnen Personen abhängig sein und durch den Einsatz digitaler Verfahren automatisiert werden.
Und auch in Sachen Nachhaltigkeit plant die Ukraine Neuerungen: Das Regionalministerium hat ein von der Europäischen Investitionsbank (EIB) unterstütztes Programm ins Leben gerufen, das die Energieeffizienz öffentlicher Gebäude verbessern soll. Ziel ist es, in vorwiegend kleineren Ortschaften etwa 1.000 Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Kultur- und Verwaltungsgebäude zu modernisieren. Die Förderung umfasst die Erneuerung von Heiz- und Lüftungssystemen, Installation neuer Beleuchtungstechnik, Isolierung von Wänden und Dächern, den Einbau von Wärmeschutzfenstern und die Installation von Verbrauchsmessgeräten.
Kiew hat Budget für Bauprojekte erhöht
Für das Jahr 2023 hat beispielsweise die Stadt Kiew ihr Budget für Bau- und Renovierungsprojekte auf nahezu 480 Mio. Euro erhöht. Und dieses wird nicht nur Wohnprojekten zu Gute kommen: CBRE Ukraine hat ermittelt, dass sowohl die Neuvermietungen im Logistik- als auch im Bürosegment regional wieder anzieht. In Kiew sei eine gewisse Verdichtung des Büromarktes zu beobachten. Im Westen des Landes gebe es eine große Nachfrage nach Büroflächen, da viele Unternehmen aus anderen Regionen dorthin ziehen. Doch auch in der Hauptstadt seien positive Trends zu beobachten. Nach der Räumung der Kiewer Region und der Rückkehr der Botschaften zahlreicher Länder auf den Markt sei eine gewisse Wiederbelebung der Vermietungsaktivitäten zu beobachten. Viele Unternehmen planen demnach, in die ukrainische Hauptstadt zurückzukehren, so die Experten von CBRE Ukraine. Sollte es dazu kommen, werden die Beschäftigten auch entsprechenden Wohnraum benötigen.
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*) Alexander Wietasch, CEO, Westminster Group
Background zur Ukrainischen Wirtschaft
Die ukrainische Wirtschaft wächst 2024 wieder. Dies berichtet die Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing Germany Trade and Invest (GTAI). Demnach treiben auch staatliche Investitionen das Wachstum voran, das osteuropäische Land beginnt mit dem Wiederaufbau. So stellt der Staatenverbund der Ukraine laut GTAI 50 Mio. Euro für den Wiederaufbau der beschädigten Hafeninfrastruktur zur Verfügung. Ungeachtet der russischen Angriffe hat sich die ukrainische Wirtschaft im Jahr 2023 insgesamt besser entwickelt als von den meisten Experten erwartet. Zwar war das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2022 um fast 30% eingebrochen, seit dem Frühjahr 2023 geht es aber wieder aufwärts. So belief sich das BIP-Plus laut GTAI in den ersten drei Quartalen des Jahres 2023 auf 5,3%. Die ukrainische Nationalbank geht für 2023 von einem realen BIP-Wachstum von 4,9%, die EU-Kommission von 4,8% und der Internationale Währungsfonds (IWF) von 4,5% gegenüber dem Vorjahr aus. Für 2024 prognostiziert die Europäische Kommission ein Wirtschaftswachstum von 3,7%. Es wird erwartet, dass sich das Wachstumstempo ab 2025 weiter beschleunigt, sobald der Wiederaufbauprozess im Land zunehmend an Schwung gewinnt. Die Deutsch-Ukrainische Industrie- und Handelskammer (AHK Ukraine) gibt an, dass das Engagement deutscher Firmen im ukrainischen Markt weiterhin stark ausgeprägt ist. Zahlreiche Unternehmen machen sich bereits daran, sich auf den Wiederaufbau einzustellen und die damit einhergehenden Möglichkeiten zu ergreifen. Damit auch wieder neu investiert wird, legte die Europäische Bank für Wiederaufbau Programme auf: Bereits im ersten Kriegsjahr gewährte sie Kredite im Volumen von 1,7 Mrd. Euro.