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EZB-Kommentar: Wachstumssorgen

Die Europäische Zentralbank senkt ihren Leitzins auf 3,25% und verfolgt auch ohne neue Stabsprojektionen eine weniger restriktive Geldpolitik.

Konstantin Veit

Die Wachstumsaussichten haben sich so weit eingetrübt, dass die Europäische Zentralbank (EZB) von ihrem vierteljährlichen Zinssenkungspfad abweicht und nun einen ersten Zinsschritt abseits einer Sitzung mit neuen Stabsprojektionen unternimmt. Da die EZB auf ihrer letzten geldpolitischen Sitzung noch auf den Dezember abzielte und seit der Zinssenkung im September nur wenige neue Daten hinzukamen, dürfte insbesondere der Aspekt des Risikomanagements eine wichtige Rolle gespielt haben.

Die EZB ist wahrscheinlich der Ansicht, dass Aufwärtsschocks bei der Inflation durch ein langsameres Tempo der Zinssenkungen in Zukunft aufgefangen werden können, während die Zinssenkung Schutz gegen Abwärtsrisiken bietet. Zwar könnte die Zinssenkung im Oktober als Wunsch nach einer schnelleren Normalisierung der Geldpolitik gedeutet werden, doch betonte die EZB, dass die Entscheidungen weiterhin von Sitzung zu Sitzung getroffen werden. So wird die Datenlage in den kommenden Monaten darüber entscheiden, wie schnell die Geldpolitik weniger restriktiv gestaltet wird.

Angesichts der weiterhin zu hohen Binneninflation, die vor allem auf den Preisdruck im Dienstleistungssektor zurückzuführen ist, wird die Geldpolitik vorerst straff bleiben. Gleichzeitig dürfte die Diskussion über den angemessenen neutralen Leitzins im nächsten Jahr in den Mittelpunkt rücken. Zwar ist der genaue Kurs aktuell noch nicht kommuniziert, aber wir gehen davon aus, dass die EZB die Zinsen im Dezember erneut senken wird. Ein Zielzinssatz von etwa 1,85% für die zweite Jahreshälfte 2025 erscheint uns realistisch und steht im Einklang mit den meisten externen Schätzungen eines neutralen Leitzinses im Euroraum.

Infolgedessen erachten wir im Einklang mit dem Marktkonsens die aktuellen Marktpreise als fair. Demnach sehen wir für die europäische Duration außerhalb eines Rezessionsumfelds nur ein begrenztes Aufwärtspotenzial und bleiben weitestgehend neutral. In Bezug auf die europäische Zinskurve gehen wir weiterhin davon aus, dass das lange Ende der Kurve aufgrund allmählicher Zinssenkungen und steigender Laufzeitprämien schwächer entwickeln wird als die kürzeren Laufzeiten.

Warten auf die Erholung
Die Daten zur Wirtschaft, zum Arbeitsmarkt und zur Preisentwicklung fielen zuletzt schwächer aus. Zwar wuchs die Wirtschaft des Euroraums im zweiten Quartal um 0,2%, doch war das Wachstum hauptsächlich auf Exporte und Staatsausgaben zurückzuführen. Die private Binnennachfrage hingegen blieb niedrig. Die seit langem erwartete Erholung der privaten Haushalte blieb bislang aus und die Umfrageindikatoren deuten auf anhaltenden Gegenwind hin.

Der Rückgang des Einkaufsmanagerindex der Eurozone im September von 51,0 auf 48,9 Punkte ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass Frankreich nach dem olympiabedingten Boost im August zurückfiel. Doch selbst wenn man dies berücksichtigt, sieht der Index nicht sonderlich gut aus. Zum Teil lässt sich dies durch die anhaltend schwache Performance des deutschen verarbeitenden Gewerbes erklären, was auf eine wirtschaftliche Stagnation in der Eurozone hindeutet. Während der Arbeitsmarkt mit einer Arbeitslosenquote von 6,4% auf einem Rekordtief verweilt, verlangsamte sich das Beschäftigungswachstum im zweiten Quartal auf 0,2%. Die jüngsten Indikatoren deuten auf eine weitere Verlangsamung hin.

Nachdem die Inflation im August noch bei 2,2% lag, sank sie im September auf 1,7% und damit das erste Mal seit drei Jahren unter das EZB-Ziel von zwei Prozent. Wie im Vormonat war der Rückgang hauptsächlich auf einen erneuten Rückgang der Energiepreise zurückzuführen. Die Kerninflation ging nur leicht auf 2,7% zurück, gegenüber 2,8% im August. Aufgrund des anhaltend hohen Preisanstiegs bei den Dienstleistungen, der im September 3,9% betrug, dürfte die Kerninflationsrate auch in den kommenden Quartalen deutlich über dem Zielwert der EZB liegen.

Gleichzeitig hat sich der Anstieg der Arbeitskosten verlangsamt, und die Unternehmensgewinne haben die Inflationsfolgen teilweise absorbiert. Wie die EZB betont hat, werden die Inflationsaussichten durch die jüngsten negativen Überraschungen bei den Indikatoren für die Wirtschaftstätigkeit beeinflusst. Während die Gesamtinflation im vierten Quartal aufgrund von Basiseffekten vorübergehend ansteigen dürfte, scheint die EZB zunehmend zuversichtlich, dass sich die Inflation in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres dauerhaft dem Zielwert annähern wird.

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*) Konstantin Veit, Portfoliomanager und Leiter des European Rates- und Short-Term Desks bei PIMCO