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Gastbeitrag: Ein Balanceakt – EZB zwischen Wachstumssorgen und Inflationszielen

Die EZB hat die Zinsen gesenkt, um die Wirtschaft zu stützen – doch neue Risiken könnten das Wachstum bremsen. Was bedeutet das für Europas wirtschaftliche Zukunft?

Konstantin Veit

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat bei ihrer Sitzung im Dezember den Einlagensatz um 25 Basispunkte auf drei Prozent gesenkt. In den neuen Projektionen der EZB-Verantwortlichen, die erstmals Schätzungen bis 2027 umfassen, wird prognostiziert, dass die Inflation ab dem vierten Quartal 2025 das Zielniveau erreicht. Angesichts des schwachen Wachstums und der für nächstes Jahr erwarteten Zielinflation erscheint die Zinssenkung sinnvoll, da sie einen Leitzins nahe dem neutralen Bereich unterstützt.

Flexibles Risikomanagement bleibt entscheidend
Aus der Perspektive des Risikomanagements kann die EZB mit einem weiterhin restriktiven Leitzins von 3% potenziellen Aufwärtsrisiken durch ein langsameres Tempo zukünftiger Zinssenkungen begegnen. Gleichzeitig bietet die jüngste Senkung zusätzlichen Schutz vor Abwärtsrisiken. Die EZB bekräftigte, dass die Entscheidungen weiterhin von Sitzung zu Sitzung getroffen werden und die künftigen Maßnahmen von den eingehenden Daten abhängen. Diese werden über Tempo und Umfang der geldpolitischen Lockerung in den kommenden Sitzungen entscheiden.

Angesichts der Unsicherheiten über die neutrale Zinsrange und einer nach wie vor zu hohen inländischen Inflation wird die EZB die Leitzinsen wahrscheinlich schrittweise in Richtung des neutralen Niveaus bewegen. Die Markterwartungen eines Endzinses von etwa 1,75% für die zweite Jahreshälfte sind weitgehend konsistent mit unseren Schätzungen eines neutralen Leitzinses für die Eurozone und spiegeln im Wesentlichen ein mildes Soft-Landing-Szenario wider. EZB-Präsidentin Christine Lagarde deutete einen potenziellen neutralen Bereich zwischen 1,75% und 2,5% an.

Europäische Anleihen: Schutz vor Abwärtsrisiken
Während der Anleihemarkt einen Zinssenkungszyklus im Einklang mit den positiven Aussichten der EZB weitgehend eingepreist hat, teilen wir weiterhin die Markteinschätzung. Wir sehen jedoch zusätzliche Abwärtsrisiken für das Wachstum im Anschluss an die US-Wahlen. Daher erachten wir europäische Duration als eine attraktiv bewertete Absicherung gegen Abwärtsrisiken und sind derzeit übergewichtet. Für die europäische Zinsstrukturkurve, also die Differenz zwischen kurzfristigen und langfristigen Zinsen, erwarten wir weiterhin, dass das lange Ende der Kurve gegenüber den kürzeren Laufzeiten zurückbleiben wird. Dies ist auf die Zinssenkungen und die Wiederherstellung von Laufzeitprämien zurückzuführen.

Ein schwaches makroökonomisches Umfeld bremst die Erholung
Wir gehen davon aus, dass das Wachstum geringer ausfallen wird als von der EZB erwartet. Während die harten Daten sich besser halten, deuten Umfragen darauf hin, dass die Wirtschaft der Eurozone weitgehend stagniert. Der Composite-Einkaufsmanagerindex (PMI) für die Eurozone, der in den letzten Monaten um die Marke von 50 schwankte, fiel im November um rund zwei Punkte auf 48,3. Besonders stark war der Rückgang im Dienstleistungssektor, der um 2,1 Punkte auf 49,5 fiel und damit erstmals seit Anfang des Jahres unter die Marke von 50 rutschte.

Warum die EZB-Wachstumsprognosen zu optimistisch wirken
Grundsätzlich wirft die aktuelle Datenlage immer mehr die Frage auf, was das prognostizierte Wirtschaftswachstum antreiben könnte, da keiner der Nachfragekomponenten (Konsum, Investitionen oder Exporte) bislang die von der EZB erwartete Erholung zeigt. Besonders fraglich erscheinen die von der EZB prognostizierten konsumgetriebenen Wachstumsimpulse, da die Daten auf einen deutlichen Anstieg der Sparquote hindeuten. Zudem könnten die Handelsüberschüsse einiger Mitgliedstaaten, wie etwa Deutschland, gegenüber den USA durch Zölle unter der neuen US-Regierung zusätzlichen Belastungen ausgesetzt sein, was das Wachstum weiter gefährden würde. Wir sind daher der Ansicht, dass das Wachstum geringer ausfallen wird als von der EZB erwartet.

Inflation: Anzeichen für Entspannung trotz schwacher Konjunktur
Die tatsächlich gemessene Inflation bleibt über dem Ziel, doch die stagnierende Wirtschaft und neue Anzeichen einer Abschwächung des Arbeitsmarkts sollten das Vertrauen stärken, dass die Inflation zum Ziel zurückkehrt. Die vorläufige Inflationsrate für die Eurozone stieg im November auf 2,3%, angetrieben durch eine Verlangsamung des Rückgangs der Energiepreise und einen Anstieg der Lebensmittelpreise. Die Kerninflation blieb unverändert bei 2,7%. Der größte Beitrag zur Inflation kam weiterhin aus dem Dienstleistungssektor, dessen Rate im November bei 3,9% lag, was teilweise auf das zuletzt hohe Lohnwachstum zurückzuführen ist. Dieses scheint jedoch künftig abzunehmen.

Lohnwachstum: Ein entscheidender Faktor für stabile Preise
Die neuesten Projektionen des EZB-Rats, einschließlich der erstmals vorgelegten Schätzungen für 2027, zeigen eine Inflation, die ab Ende 2025 das Ziel erreicht. Damit sich die Inflation wie von der EZB erwartet entwickelt und nachhaltig das Ziel erreicht, bleibt ein Rückgang des Lohnwachstums auf ein Niveau, das mit einer Inflation von zwei Prozent vereinbar ist, die wichtigste Voraussetzung. Laut den neuen Projektionen erwartet die EZB für das Mitarbeiterentgelt ein Wachstum von durchschnittlich 3,3% im Jahr 2025, 2,9% im Jahr 2026 und 2,8% im Jahr 2027.

Das gedämpfte Lohnwachstum ist dabei entscheidend, insbesondere da die Produktivität schwächer ausfallen könnte als derzeit erwartet. Das ausgehandelte Lohnwachstum in der Eurozone stieg im dritten Quartal um 1,9 Prozentpunkte auf 5,4% im Vergleich zum Vorjahr, was jedoch auf eine Volatilität der deutschen Daten zurückzuführen ist. Da dies auf einmalige, verzögerte und rückwirkende Zahlungen zurückgeht, dürfte es die EZB jedoch kaum beunruhigen. In der übrigen Eurozone war die Lage weitgehend stabil.

Wichtiger ist, dass Umfragen auf ein nachlassendes Beschäftigungswachstum und eine weitere Abschwächung der Arbeitsnachfrage hinweisen. Zudem deuten verschiedene vorausblickende EZB-Umfragen und Lohnindikatoren auf eine Verlangsamung des Lohnwachstums hin. Die jüngsten Tarifverhandlungen in Deutschland fielen schwächer aus als erwartet, was das Vertrauen der EZB in einen Rückgang des Lohnwachstums entsprechend den Projektionen stärkt.

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*) Konstantin Veit, Portfoliomanager und Leiter des European Rates- und Short-Term Desks, PIMCO